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Moskau und Berlin üben sich in der Ausweisung von Diplomaten


Berlin hat am 25. April auf die Ausweisung von 40 deutschen Diplomaten als Antwort Moskaus auf die Ausweisung von 40 russischen Diplomaten einige Wochen zuvor reagiert.

Es sei daran erinnert, dass in der Erklärung des russischen Außenministeriums aus diesem Anlass davon die Rede war, dass das Außenministerium dem Botschafter Deutschlands eine Note über die Erklärung von vierzig deutschen Diplomaten zu unerwünschten Personen übergeben hätte. Die Entscheidung sei als Antwortmaßnahme auf die Ausweisung von Mitarbeitern russischer Vertretungen aus der Bundesrepublik Deutschland Anfang April ergriffen worden.

„Die russische Seite hält die in diesem Kontext abgegebene Erklärung der Bundesaußenministerin der BRD Annalena Baerbock, in der dieser Schritt der Offiziellen der BRD mit der absolut verlogenen Behauptung, dass die Arbeit der erwähnten Mitarbeiter auf eine Untergrabung der „Freiheit Deutschlands“ und der „Einheit der deutschen Gesellschaft“ ausgerichtet gewesen sei, aber auch mit Unterstellungen hinsichtlich des Geschehens in der Ukraine motiviert wird, für eine inakzeptable“, betonte man im Außenministerium der Russischen Föderation.

Nach Aussagen der deutschen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hätten die Mitarbeiter der russischen diplomatischen Missionen eine Gefahr für „jene, die Asyl in Deutschland suchen“, dargestellt. „Wir werden dies nicht mehr dulden“, hatte sie unterstrichen. Im Grunde genommen werden in der Pressemitteilung des deutschen Auswärtigen Amtes hinsichtlich der Ausweisung von 40 (von etwa 120) deutschen Diplomaten in Russland die oben zitierten Worte von A. Baerbock über die Gründe für die Ausweisung der russischen Diplomaten wiederholt und erklärt, dass sich die ausgewiesenen deutschen Diplomaten nichts zuschulden kommen gelassen hätten. In solch einem Geist äußerte sich auch der BRD-Botschafter in Moskau, Géza Andreas von Geyr.

Wir lassen einmal die Behauptungen hinsichtlich einer Unschuld der ausgewiesenen Diplomaten auf dem Gewissen beider Seiten. Es ist aber kein Geheimnis, dass in Russland der Auslandsaufklärungsdienst existiert, und in Deutschland der Bundesnachrichtendienst (BND). Und Diplomaten-Funktionen werden von allen Aufklärungsdiensten der Welt aktiv für eine Tarnung ihrer inoffiziellen Tätigkeit genutzt. Sie werden aufmerksam von den lokalen Geheimdiensten beobachtet. Folglich kann man davon ausgehen: Wer von den Diplomaten sich womit befasst. ist für die Behörden der Länder, in denen Diplomaten akkreditiert worden sind, mehr oder weniger bekannt. Die artikulierten Formeln von einer Unschuld sind ein gewisser Standard für diplomatische Missionen aller Länder in derartigen Fällen.

Aufmerksamkeit erregt Anderes. Schließlich hing der Anlass für die massenhafte Ausweisung russischer Diplomaten, denen man die Durchführung einer Aufklärungstätigkeit vorgeworfen hatte, mit den Ereignissen in der ukrainischen Kleinstadt Butscha zusammen, wo am 3. April nach dem Abzug der russischen Truppen von dort Leichen von Einheimischen auf Straßen vorgefunden wurden. Wobei, wie auch deutsche Medien berichteten, mit Kopfschusswunden. Bereits am Abend des 4. April hatte die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben, dass die Bundesregierung die Ausweisung russischer Diplomaten beschlossen hätte. Und diese Ausweisung stehe nach Aussagen von A. Baerbock in einem direkten Zusammenhang mit der Ermordung von Zivilisten in Butscha. In den heutigen Pressemitteilungen des Auswärtigen Amtes und der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland ist nicht ein Wort von den Geschehnissen in Butscha die Rede.

Eine internationale und umso mehr eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse in dem Kiewer Vorort ist nicht vorgenommen worden. Russland bestreitet seine Schuld und lastet sie ukrainischen Militärs an. Im Zusammenhang damit verdienen die in internationalen Medien aufgetauchten Informationen über die Untersuchung von mehr als 400 Leichen, die auf den Straßen von Butscha gefunden worden waren, Aufmerksamkeit. Sie waren laut einer Mitteilung des deutschen Nachrichtenmagazins „SPIEGEL“ von französischen und ukrainischen Pathologen und Gerichtsmedizinern untersucht worden. Es stellte sich dabei heraus, dass diese Menschen nicht mit Schusswaffen getötet worden waren, sondern zu Opfern eines Artillerie- oder Raketenbeschusses geworden waren. In ihren Körpern wurden Flechettes, kleine Metallpfeile, gefunden. Das Magazin behauptet, dass die Tötung noch während des Aufenthalts der russischen Truppen in der Stadt erfolgt sei. Man kann hinzufügen, dass dem wahrscheinlich auch so gewesen war, da es an den Leichen weiße Armbinden gab, ein Erkennungszeichen der russischen Streitkräfte (die ukrainischen Militärs tragen dunkelblaue Armbinden). Augenscheinlich hatten die Passanten sie als Zeichen für ihre Loyalität gegenüber den russischen Militärs, die sich ab Ende März in Butscha befunden hatten, getragen. Es versteht sich, dass die Einwohner nicht vom Abzug der russischen Truppen gewusst und es einfach nicht geschafft hatten, die weißen Armbinden abzunehmen.

Augenscheinlich wurde die Kleinstadt vor dem Rückzug der russischen Militärs oder gleich danach einem Beschuss ausgesetzt, der dem Einrücken ukrainischer Streitkräfte in den Ort vorausgegangen war. Vom Prinzip her ist dies eine übliche Taktik von Kampfhandlungen, um zu verhindern, dass die eigenen Truppen in einen Hinterhalt geraten. Über den begonnenen Abzug konnten Drohnen die ukrainische Armee informieren, die in diesem Konflikt durch beide Seiten eingesetzt werden.

Der „SPIEGEL“ berichtet, dass die Flechettes mit einer Länge von drei Zentimetern in Geschossen seit dem Ersten Weltkrieg eingesetzt werden. Und solche kleinen Metallpfeile sind in Italien erfunden worden. Die Amerikaner hatten sie aktiv im Vietnam-Krieg eingesetzt. Derartige Munition hat man bereits in der Ukraine gefunden – Gefechtsköpfe von Artilleriewaffen oder Raketen mit bis zu 8.000 Flechettes.

Das Magazin beruft sich auf den US-amerikanischen Experten Neil Gibson, der sagte, dass die in Butscha gefundene Flechette-Munition für „russische Geschosse des Typs 122-mm-3Sh1“ charakteristisch sei. Dieser Experte erklärt aber auch, dass dies eine seltene Munition sei. Bekanntlich setzt die ukrainische Armee noch in der UdSSR gebaute 122-Millimeter-D-30-Haubitzen ein. Laut einer Mitteilung des Verteidigungsministeriums in Moskau habe Russland auf den Einsatz solcher Haubitzen bereits vor zehn Jahren verzichtet und sie dementsprechend ausgemustert.

Der „SPIEGEL“ erwähnt dies aber nicht. Und dies ist verständlich, da der Autor des entsprechenden Beitrags der Wissenschaftsredakteur des Magazins Jörg Römer ist, der von diesen Details eventuell auch nichts wissen konnte. Zur gleichen Zeit aber hat das Magazin einen eigenen Korrespondenten in Moskau, der im Grunde genommen verpflichtet ist, diese Details zu kennen. Man hatte ihn aber augenscheinlich nicht gefragt, was für das Magazin seltsam ist, dass in außenpolitischen Fragen auf eine Expertenrolle Anspruch erhebt. Dies ist entweder eine Unterlassung der Redaktion oder die bewusste Entscheidung, überaus wichtige Fakten unter den Teppich zu kehren.

Die ausgewiesenen Angaben belegen, dass der Anlass für eine massenhafte Ausweisung russischer Diplomaten aus den EU-Ländern offensichtlich ein an den Haaren herbeigezogener ist und nicht überprüft worden war. Daher wird er wahrscheinlich auch nicht in den entsprechenden Pressemitteilungen des deutschen Auswärtigen Amtes und anderer Außenministerien erwähnt.