Weißrussland wird eine zweite Tranche von 500 Millionen Dollar des 1,5-Milliarden-Dollar-Kredits, der bereits im vergangenen Herbst zugesagt worden war, erhalten. Gleichfalls werden die weißrussischen Flugzeuge die Anzahl der Flüge nach Russland erhöhen. Derart sind die offiziellen Hauptergebnisse des Treffens von Alexander Lukaschenko mit Russlands Präsident Wladimir Putin.
„Endgültig geklärt ist die Frage nach der Überweisung der zweiten Tranche des staatlichen Kredits. Erzielt wurde eine Vereinbarung über die Organisierung neuer Flugrouten für „Belavia“ nach russischen Städten“, heißt es in einer Mitteilung des Pressedienstes von Alexander Lukaschenko. Dort wird gleichfalls mitgeteilt, dass Lukaschenko und Putin am Freitag fünf Stunden und 15 Minuten miteinander sprachen. Am folgenden Tag fuhren sie mit der Jacht von Wladimir Putin, ergötzten sich an Delfinen, nahmen gemeinsam einen leichten Imbiss ein, und Lukaschenko badete im Meer bei einer Wassertemperatur von 16 Grad. Als Beweis veröffentlichte der Pressedienst ein Foto von Lukaschenko im Wasser. An Bord der Jacht war zusammen mit den Staatsoberhäuptern auch der jüngste Sohn von Alexander Lukaschenko – Nikolaj.
Der Pressedienst des weißrussischen Präsidenten publizierte ebenfalls Video-Protokollaufnahmen der Begegnung, aus denen sich ergibt, dass Alexander Lukaschenko in einem Diplomatenkoffer gewisse Dokumente darüber zum Kennenlernen für Wladimir Putin mitgebracht hatte, wie tatsächlich die Situation mit der Landung des Flugzeugs der irischen Fluggesellschaft Ryanair in Minsk vor einer Woche ausgesehen hatte. Er beklagte sich beim russischen Präsidenten über den Undank der westlichen Länder, die vergessen hätten, wie zu Beginn der Pandemie „Belavia“ „Tausende und Abertausende“ von im Ausland hängengebliebenen Amerikanern, Franzosen, Deutschen, Polen und Litauern (in die Heimatländer) ausgeflogen hätte, und nun die weißrussische Airline „vollkommen abgemurkst“ hätten, indem sie sich weigerten, sie in den Luftraum ihrer Länder zu lassen und selbst nach Minsk zu fliegen. Aus den Worten Lukaschenkos ergab sich, dass dies eine vom Westen organisierte Provokation sei, um die Situation im Land bis zum Grad vom August vergangenen Jahres „hochzuschaukeln“. Der weißrussische Staatschef dankte Russland für die Unterstützung, die sich darin äußerte, dass Moskauer Flughäfen mehrere Flüge aus Europa unter Umgehung des weißrussischen Luftraums nicht angenommen hatten. „Es gibt keine Höhen, die die Bolschewiken nicht eingenommen haben. Und wir werden sie auch nehmen“, sagte Lukaschenko, der sich dessen sicher war, dass die Russische Föderation den Verbündeten nicht im Stich lassen werde.
Detaillierter informierte der Pressesekretär von Wladimir Putin, Dmitrij Peskow, die Öffentlichkeit über die erörterten Themen. Nach seinen Worten habe man Alexander Lukaschenko bezüglich des Schicksals der russischen Staatsbürgerin Sophia Sapega befragt, die zusammen mit dem Journalisten und Blogger Roman Protesawitsch nach der ungeplanten Landung des Ryanair-Jets in Minsk festgenommen worden war. Man habe ihn (Alexander Lukaschenko – „NG“) gewarnt, dass das Schicksal des Mädchens Russland „nicht gleichgültig“ sei und „alles im Rahmen des Gesetzes sein muss“. Aus den Worten Peskows ergab sich, dass Russland bisher keine eindeutige Position auch in Bezug auf den Zwischenfall mit dem (Ryanair-) Flieger einnehme. Dort warte man „eine ernsthafte und konstruktive Untersuchung ab, ohne übereilte Schlussfolgerungen“. Unterstützung wurde nur in Form einer Beförderung der Weißrussen, die im Ausland sitzengeblieben sind, aber auch in Form einer Eröffnung russischer Destinationen anstelle der verlorengegangenen europäischen für „Belavia“ versprochen.
Wie auch im Vorfeld der Gespräche von Sotschi die Experten der „NG“ vorausgesagt hatten (siehe „NG“ vom 28.05.2021 – https://www.ng.ru/cis/2021-05-27/1_8159_belorussia.html), hat man keinerlei detaillierte Informationen über den Inhalt der Gespräche zu den zum gegenwärtigen Zeitpunkt aktuellsten Themen der Öffentlichkeit mitgeteilt. „Als eine große Errungenschaft wirst du diese 500 Millionen Dollar nicht bezeichnen“, meinte der politische Kommentator Alexander Klaskowskij zu den offiziellen Ergebnissen. Der Experte erinnerte daran, dass dies der zweite Teil des Kredits von 1,5 Milliarden Dollar sei, der Alexander Lukaschenko bereits im September vergangenen Jahres versprochen worden war. Überdies würden sie in Form einer Bezahlung für das russische Gas an den Gläubiger zurückkommen. Zuvor hatten Experten vermutet, dass sich Russland nicht mit der dritten Tranche beeilen werde, da es den Wunsch habe, zuerst irgendwelche Handlungen in Richtung einer Verfassungsreform mit einem anschließenden Machttransit zu sehen. „Wenn die Version stimmt, kann man annehmen, dass der Führer des weißrussischen politischen Regimes in Sotschi gewisse Garantien diesbezüglich gegeben hat“, vermutet Alexander Klaskowskij. „Unbekannt bleibt, was Putin auf die Frage zu den Erdöllieferungen antwortete (Lukaschenko hatte versprochen, sie anzusprechen), die im Mai angeblich aufgrund dessen reduziert wurden, dass die russischen Unternehmen Sanktionen der USA befürchteten“, konstatierte der Experte. Er lenkte das Augenmerk auch darauf, dass Lukaschenko nicht die Frage nach einer zusätzlichen Wirtschaftshilfe für Weißrussland gestellt hätte, was seiner Meinung erstaunlich sei, da er verzweifelt Geld bräuchte. Möglicherweise ist der Preis der neuen Kredite für Minsk ein sehr hoher und aus diesem Grunde nicht akzeptabel.
Bei der Erörterung des Themas der Eröffnung neuer russischer Destinationen für „Belavia“ lenkt der Experte die Aufmerksamkeit auf die sich ergebende Intrige – werden die weißrussischen Flugzeuge auf die Krim fliegen. Schließlich würden, wie Dmitrij Peskow unterstrich, die neuen Flüge „unter Berücksichtigung der großen Anzahl von Bürgern Weißrusslands, die an die Schwarzmeerküste Russlands kommen wollen“, aufgenommen werden. Bisher seien keine Krim-Flüge geplant, erklärte Igor Tscherginez, Generaldirektor der Fluggesellschaft „Belavia“. Nach seinen Worten müsse diesem Schritt „die politische Anerkennung der Krim als Teil Russlands“ vorausgehen.
Auf das faktische Ausbleiben einer Unterstützung für die Position von Minsk mit dem Ryanair-Jet lenkt der Leiter des Belarus Free Theatre, Nikolaj Khalezin, die Aufmerksamkeit. „Die russischen Offiziellen haben die Position Europas und der USA unterstützt, die gegen das Lukaschenko-Regime gerichtet ist. Sie haben den ausländischen Fluggesellschaften erlaubt, Flugkorridore um Belarus herum zu nutzen, die auch russische Airlines zu nutzen begonnen haben“, schreibt er in seinem Telegram-Kanal. Der Politologe Dmitrij Bolkunez, der sich durch radikalere Wertungen auszeichnet, ist der Meinung, dass Lukaschenko in Sotschi mit Putin den Prozess seines Abtritts erörtert habe, da sein Verbleib an der Macht ernsthafte finanzielle, politische und Ansehensverluste für Moskau mit sich bringe.
Die Internationale Initiative zur Abwehr hybrider Bedrohungen für die Demokratie in Osteuropa (iSANS) veröffentlichte dieser Tage den Report „Der Kreml-Einfluss in Belarus“. In dem Dokument, das noch vor dem Zwischenfall mit dem Ryanair-Flieger vorbereitet wurde, ist auch die Rede davon, dass der Kreml in Lukaschenko keinen langfristigen zuverlässigen Partner sehe und an dessen Abtritt interessiert sei. Die Autoren des Reports sind der Auffassung, dass Moskau Lukaschenko schwächen werde, wobei es auf einen passenden Zeitpunkt für dessen Ablösung warte.