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Moskau wird seine Währung durch Gaslieferungen stärken


Russlands Entscheidung, zum Rubel beim Handel mit seinem Erdgas und dementsprechend bei der Bezahlung dafür mit den sogenannten unfreundlichen Ländern hat in Europa und in Japan eine Schockwirkung verursacht. Einige Länder haben bereits die Bereitschaft bekundet, zu Rubeln überzugehen, andere sehen in diesem Übergang Probleme. Experten sind der Annahme, dass es keine technischen Hindernisse für eine Ersetzung des Euros durch Rubel in den Bezahlungen geben werde. Aber einige Länder werden von der russischen Währung Abstand nehmen. Die EU wird erhebliche Summen ausfindig machen müssen. Innerhalb des Monats ab Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine hat Europa von der Russischen Föderation Gas für beinahe zwölf Milliarden Euro oder für rund 400 Millionen Euro am Tag gekauft.

Europa muss sich darüber Gedanken machen müssen, woher es die erforderlichen Rubelsummen nehmen kann, um russisches Gas zu kaufen. Die Europäische Union hatte im vergangenen Jahr einen erheblichen negativen Saldo im Handel mit Russland. Die Lieferungen in die Russische Föderation aus den EU-Ländern beliefen sich laut Eurostat-Angaben auf 89,3 Milliarden Euro, der russische Export nach Europa hatte aber 158 Milliarden Euro überstiegen.

Laut Angaben von „Gazprom Export“ wurden im Jahr 2020 174,9 Milliarden Kubikmeter Gas in die europäischen Länder geliefert. Und 78 Prozent dafür entfielen auf die Länder Westeuropas (inkl. der Türkei), und 22 Prozent – auf die zentraleuropäischen Staaten. Damals hatte Deutschland 45,8 Milliarden Kubikmeter Gas erhalten, Italien – 20,8, Österreich – 13,2, Frankreich und die Niederlande – jeweils zwölf, Polen – 9,7, die Slowakei und Ungarn – jeweils 8,6, Großbritannien – sechs, Tschechien – fünf und Bulgarien – 2,3 Milliarden Kubikmeter.

Nachdem am vergangenen Mittwoch Wladimir Putin die Zentralbank und das Ministerkabinett beauftragte, innerhalb einer Woche die Modalitäten für die Abwicklung der Zahlungen für die Gaslieferungen nach Europa in Rubeln zu bestimmen, sind die Käufer russischen Erdgases mit widersprüchlichen Erklärungen aufgetreten.

Bulgarien (als EU-Mitglied), aber auch Armenien und Moldawien erklärten sofort, dass sie bereit seien, zu Rubelzahlungen überzugehen. Dass sie dies nicht zu tun bereit seien, erklärten Vertreter Japans und Österreichs. Japans Finanzminister Shun’ichi Suzuki erklärte, dass er bisher keine Vorstellung habe, auf welche Art und Weise in der Praxis die Bezahlung des russischen Gases in Rubeln abgewickelt werde.

Deutschland, das von den Energieressourcen aus Russland stark abhängt, erklärte, dass die Entscheidung Moskaus zu einer Verletzung von privaten Verträgen mit den Unternehmen werde, da sie „üblicherweise in Euro bezahlen“, und im Wirtschaftsministerium prüfe man derzeit Varianten, „wie man damit fertig wird“, wobei man sich sowohl mit den deutschen Unternehmen als auch auf der Ebene der Europäischen Union konsultiert.

Sich festlegen muss sich möglicherweise auch die Ukraine, denn sie erhält Devisen für den russischen Gastransit über ihr Territorium. Und die Meldungen für eine Nutzung des ukrainischen Transit-Gaskorridor seitens des russischen Gaskonzerns „Gazprom“ liegen seit Tagen auf dem Höchststand. Der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba ist der Auffassung, dass die Länder, die russisches Gas importieren, der Forderung des Kremls, die Zahlungen in Rubeln vorzunehmen, nicht zustimmen dürften. Der Vorstandschef des polnischen Öl- und Gaskonzerns PGNiG Paweł Majewski erklärte gleichfalls, dass er keine Möglichkeit sehe, für das russische Gas in Rubeln zu zahlen.

Dass Russlands Entscheidung, die Bezahlung für Gas in Rubeln anzunehmen, sei zu einem Problem geworden, erklärte Serbiens Präsident Aleksandar Vučić. Gerade im Zusammenhang mit seinem Statement erläuterte der Kreml, wie jetzt die Erfassung der Anmerkungen und Vorschläge hinsichtlich der neuen Zahlungsmodalitäten erfolgen werde. Die Besorgnisse Serbiens hinsichtlich dieser Frage würden zu den erstrangigen für eine Prüfung in Russland werden, erklärte der Pressesekretär des russischen Staatsoberhauptes, Dmitrij Peskow. „Dies ist absolut normal. Er hat Recht. Dies kann wirklich eine problematische Situation sein. Natürlich werden die Besorgnisse Serbiens für uns erstrangige sein“, sagte Peskow. Er erklärte gleichfalls, dass die Bedingungen der Gasverträge zur Bezahlung in Rubeln entsprechend der Erörterung mit den Käufern des russischen Erdgases erläutert werden würden. Somit kann man annehmen, dass die Zahlungsdetails die Ausländer mit „Gazprom“-Chef Alexej Miller diskutieren müssen. (Freilich ist bisher nicht gemeldet worden, dass entsprechende Verhandlungen zur Änderung der bestehenden Lieferverträge begonnen wurden. Und wie schnell diese erfolgen können, ist gleichfalls unklar. – Anmerkung der Redaktion)

Die Entscheidung über den Übergang zur Bezahlung des Gases in Rubeln hat ein neues Element an Unbestimmtheit auf den bereits chaotischen europäischen Gasmarkt gebracht. Zuvor hatte der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Energie und Klimaschutz Klaus Ernst (von der Partei Die Linke) erklärt, dass die EU-Länder technisch für die russischen Gaslieferungen in Rubeln zahlen könnten. Dies nötige sie jedoch, ihre eigenen Sanktionen zu unterlaufen. Nach seinen Worten könne dies noch mehr „die Diskussionen über einen Boykott russischer Energieträger anheizen“.

Analytiker lenken allerdings die Aufmerksamkeit darauf, dass es in der Erklärung des Kremls nur um eine Änderung der Zahlungswährung gehe, die allgemeinen Vertragsbedingungen würden sich jedoch nicht ändern. Die Experten der „NG“ sehen insgesamt keine Probleme für den Übergang zu einem neuen Bezahlungssystem.

Ein Embargo in Bezug auf russisches Erdgas sei in der nächsten Zeit nicht real, da es in der Welt einfach keine freien Brennstoffmengen gebe, die die russischen Liefermengen ersetzen könnten, erklärte Sergej Prawosudow, Direktor des Instituts für nationale Energiewirtschaft, gegenüber der „NG“. Was die Bezahlung in Rubeln angehe, so gebe es damit theoretisch keine Probleme, meint er. Die Fragen seien rein technische. „Die erste Variante ist: Die Unternehmen stimmen einem Übergang zu Rubeln bis zum Auslaufen der geltenden Verträge zu. Da werden sie an der Börse oder bei der Zentralbank die nötige Rubelmenge kaufen und mit „Gazprom“ die Zahlungen vornehmen. Die zweite Variante ist eine Übergangsvariante. Solange die Verträge gelten, können die Unternehmen weiterhin an „Gazprom“ die Zahlungen in der Währung und in den Umfängen vornehmen, die durch die Verträge vorgesehen worden sind. Und „Gazprom“ wird sie vollkommen über jene Kanäle verkaufen, die die Regierung bestimmen soll. Auf jeden Fall wird dies eine für alle geltende einheitliche Regel sein, jedes Land wird sich nicht einzeln mit „Gazprom“ einigen werden. Wahrscheinlich wird irgendeine Übergangsperiode erforderlich sein. Und das neue System wird nicht für alle schnell wirksam werden. Die importierenden Unternehmen können sich sträuben, können sich als unwillige zeigen, die geltenden Verträge zu ändern, vermutet Prawosudow.

Man dürfe die Situation nicht vereinfachen, schlägt der Senior-Analytiker des Unternehmens „Esperio“ Anton Bykow vor, obgleich er auch positive Momente für Russlands Finanzmarkt und insbesondere für den Rubel sieht. „Den Erklärungen des Präsidenten der Russischen Föderation nach zu urteilen, geht es um einen sehr schnellen Übergang. Bis Ende der Frist von sieben Tagen sollen die Zentralbank und Russlands Finanzministerium Varianten für die Vornahme solcher Operationen vorlegen. Und im Verlauf des Aprils soll entweder der Übergang staatfinden oder eben jene kollektive Demarche der EU-Länder erfolgen, die eine zyklische Krise in Gang setzen wird“, sagte er der „NG“.

„Den Umfang der Gaslieferungen in die unfreundlichen Länder kann man mit mehr als 40 Milliarden Dollar im Jahr beziffern. Das heißt: Wenn der Übergang zum Regime „Gas für Rubel“ erfolgt, werden an der Moskauer Börse rund 3,3 Milliarden Dollar im Monat verkauft. Dies ist eine erhebliche Summe für den russischen Markt, die imstande ist, nicht nur die negativen Kursschwankungen des Rubels zu dämpfen, sondern auch einen stabilen Trend für seine Stärkung zu schaffen“, fuhr Bykow fort. (Inwiefern die Zahlen des Experten der Realität entsprechen, ist fraglich, da die russische Nachrichtenagentur „Interfax“ am Samstag unter Berufung auf offizielle Quellen meldete, dass die russischen Gasexporte im Monat einen wertmäßigen Umfang von ca. zehn Milliarden Dollar ausmachen würden. – Anmerkung der Redaktion)

„Selbst wenn der Übergang zum Regime „Gas für Rubel“ relativ sanft erfolgt, wird das Gas für die Verbraucher aus den unfreundlichen Ländern dennoch teurer, da die europäischen Unternehmen zusätzliche Ausgaben für das Hedging der Kursrisiken des Rubels übernehmen müssen. Wie stark solch eine Verteuerung werden kann, wird von der weiteren Dynamik des Rubelkurses abhängen. Wenn die Volatilität zur Norm zurückkehrt, wird sie keine fünf Prozent übersteigen“, meint Anton Bykow.

„Wenn man die politischen Motive der unfreundlichen Länder, die russisches Erdgas importieren, ausklammert, können sie zweifellos aus wirtschaftlicher Sicht nicht auf die Gaslieferungen aus Russland verzichten, einfach weil ihr Anteil am Gesamtumfang der Lieferungen in die EU-Länder 30 Prozent übersteigt und keiner solch einen Umfang kompensieren kann“, erklärte Bykow. „Folglich, wenn die Position der russischen Führung eine prinzipielle ist, und allem Anschein nach ist dem gerade so, werden die europäischen Länder an der Moskauer Börse Rubel kaufen und sie auf die Konten der russischen Exporteure in russischen Banken überweisen müssen, womit sie so für das an sie gelieferte Gas bezahlen werden. Wenn der Verkauf des Gases doch in Rubel erfolgen wird, so könnte zum nächsten logischen Schritt eine Erweiterung des Börsenhandels mit Rubelverträgen für Gaslieferungen in die unfreundlichen Länder werden“.

„Wenn sich aber die EU-Länder auf eine kollektive politische Demarche einlassen, wird dies zu einem wirtschaftlichen Selbstmord, denn dann werden die Preise für Energieträger für kurze Zeit bis auf die Rekordwerte hochschnellen. Für Erdöl auf 160 bis 180 Dollar für einen Barrel der Marke Brent, für Erdgas – bis auf 4000 bis 4500 für 1000 Kubikmeter, warnt der Experte. Doch selbst diese wenigen Wochen oder ein Monat mit Energieträgern zu Rekordpreisen werden ausreichend sein, um den Mechanismus einer globalen zyklischen Krise nach dem Vorbild von 2008 in Gang zu setzen“.

„Gegenwärtig ist „Gazprom“ verpflichtet, 80 Prozent der Devisenerlöse innerhalb von drei Tagen zu verkaufen. Den genauen Anteil der „unfreundlichen“ Partner am Devisenerlös kann man schwer abschätzen. Doch in realen Zahlen sind dies mehr als 80 Prozent des gesamten Exports ins ferne Ausland. Jetzt werden die „unfreundlichen Länder“ die Devisen für diese Lieferungen eigenständig verkaufen. Die Transaktionskosten werden sie tragen. Insgesamt wird das gesamte Kräftegleichgewicht auf dem Devisenmarkt wahrscheinlich keine wesentlichen Veränderungen erleben, sagte der „NG“ der Expert für den Effektenmarkt des Investitionsunternehmens „BKS – Welt der Investitionen“, Igor Galaktionow. Für „Gazprom“ werde sich im Großen und Ganzen auch nichts ändern, meint er. „Jetzt wird die Konvertierung des Devisenerlöses in Rubel automatisch erfolgen, was die Transaktionskosten des Unternehmens für die Konversionsoperationen etwas verringern kann. Im Gesamtmaßstab des Business sind dies jedoch keine so wesentlichen Summen“, sagte der Experte. „Um die 80 Prozent der „Gazprom“-Verträge sind an die Preise an den europäischen Gas-Hubs gekoppelt, wo die Preisbildung in Euro erfolgt. Die restlichen 20 Prozent sind an die Ölpreise gekoppelt, die in US-Dollar gebildet werden. Wenn die Preisbildungsmechanismen die bisherigen bleiben, wird der Übergang zu Rubeln einen ausschließlich technischen Charakter besitzen“, erklärte Galaktionow. „Die europäischen Abnehmer können beispielsweise Rubel zum Kurs am Tag der Bezahlung erwerben und sie sofort an „Gazprom“ als Bezahlung überweisen. Bisher ist dies aber lediglich eine Annahme. Der genaue Mechanismus für die Bezahlungen und die Bestimmung des Wechselkurses wird später bekannt werden“ (entsprechend der Aufforderung von Wladimir Putin bis zum kommenden Mittwoch – Anmerkung der Redaktion).

„Durch diesen Schritt Russlands können die Risiken dafür verringert werden, dass die Zahlungen für das russische Erdgas aufgrund neuer EU-Sanktionen oder anderer Maßnahmen politischer Art blockiert werden können“, betonte der Experte. „Nunmehr werden die Bezahlungen für das Gas in der Rubel-Jurisdiktion erfolgen, und die Risiken für Nichtzahlungen werden theoretisch auf den europäischen Abnehmern liegen. In Europa laufen jedoch derzeit Diskussionen zum Thema der Möglichkeit einer schrittweisen Reduzierung der Gaslieferungen aus Russland. Die Änderung der Zahlungswährung kann vielen Vertragspartnern nicht passen, was eine Belebung dieser Diskussion befördern kann“.

Freilich wird dabei Qatar Europa derzeit nicht helfen können. In der gegenwärtigen Etappe gibt es keine Alternative zu Russland. Dies erklärte am Samstag in Doha bei der internationalen Konferenz „Forum Doha“ der Staatsminister für Energiefragen des Emirats Saad Sherida Al-Kaabi. „Ich denke nicht, dass wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt helfen können. Keiner kann Russlands Stelle bei den Lieferungen von Energieträgern einnehmen“, sagte er (siehe u. a. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/qatars-energie-minister-ueber-gaslieferungen-an-deutschland-17908896.html).

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Die anstehenden Veränderungen für die Gaslieferungen aus Russland haben auch Autoren russischer gesellschaftspolitischer Telegram-Kanäle kommentiert. „Der deutsche „Kühlschrank“ ist, wie wir sehen, bereits undicht geworden. Die Unterstützung für die Idee, ein Embargo in Bezug auf russisches Erdgas zu verhängen, ist innerhalb von drei Wochen um ein Drittel zurückgegangen. Was soll man da sagen: eine beeindruckende Ernüchterung, deren Konsequenzen die Politiker der BRD ins Kalkül ziehen müssen“, schreibt „Meister“ (https://t.me/maester).

„Die österreichischen Industriellen sind ernsthaft besorgt“, schreibt der „Dunkle“ (https://t.me/polittemnik). „Sie prognostizieren die Vernichtung ihrer ganzen Branche, wenn das Land auf russische Öl- und Gaslieferungen verzichtet. Darüber schreibt „Die Presse“ unter Berufung auf den Präsidenten der österreichischen Industriellenvereinigung Georg Knill. Dort gibt es wirklich etwas, worüber man sich Sorgen machen muss. Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) erklärte, dass das Land zu 80 Prozent vom Gas aus der Russischen Föderation abhänge. Und ein unverzüglicher Verzicht vom Import der Energieressource komme einer Katastrophe gleich. Eine derartige Asymmetrie der Abhängigkeit von russischen Energieträgern innerhalb der EU erschwert spürbar das Erreichen eines Konsenses über ein neues Sanktionspaket gegen die Russischen Föderation. Nicht alle wollen, wie wir sehen, einen Zusammenbruch ihrer Wirtschaft“.