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Nach der Lösung des Bergkarabach-Problems braucht Aserbaidschan die PACE nicht mehr


Russland ist nicht mehr das einzige Land, das die Parlamentarische Vollversammlung des Europarates (PACE) verlassen hat. Ihrem Beispiel ist Aserbaidschan gefolgt, freilich wegen eigener Gründe. Die Vollversammlung war aber auch so bereit, sich von ihm zu verabschieden. Doch Baku hat entschieden, dem zuvorzukommen.

Die Winter-Tagungsserie der PACE hatte mit einer Konfrontation der Organisation mit Aserbaidschan begonnen. Der Leiter der Gruppe der Sozialisten, der Abgeordnete Frank Schwabe aus Deutschland, hatte erklärt, dass Baku die Hauptprinzipien für die Zusammenarbeit des Europarates verletzt hätte, indem es keine PACE-Beobachter zu den Wahlen des aserbaidschanischen Präsidenten einlud, die für den 7. Februar geplant sind. Gleichfalls warf er den Offiziellen der Republik vor, dass Vertreter der Organisation im Jahr 2023 keine politischen Gefangenen in Aserbaidschan besuchen konnten und nicht in den Latschin-Korridor während seiner Blockade gelangten. „Die ist eine unverzeihliche Verletzung unserer Regeln für die Zusammenarbeit“, unterstrich Schwabe.

Im Zusammenhang damit entzog man Baku bis Ende Januar das Stimmrecht und drohte an, die Sanktionen für das gesamte Jahr 2024 zu verlängern. Aserbaidschan lehnte es ab, einen Kompromiss zu suchen. Delegationsleiter Samad Seidov, der die Republik seit dem Jahr 2001 in der PACE vertritt, warf den Europäern Korruption und eine Nichterfüllung der übernommenen Pflichten vor. Später informierte Baku über die Aussetzung seiner Tätigkeit in der PACE.

„Die Republik Aserbaidschan ist ein stolzes, unabhängiges, souveränes, demokratisches und multikulturelles Land. Die Demokratie ist unsere bewusste Entscheidung… Nach dem historischen Sieg Aserbaidschans über der Aggression, der Okkupation und dem gewaltsamen Separatismus, aber auch nach Wiederherstellung seiner territorialen Integrität und Souveränität werden wir mit einer organisierten Verleumdungskampagne zum Anschwärzen Aserbaidschans konfrontiert, die einen Schatten auf die Errungenschaften der Republik bei der Wiederherstellung der Gerechtigkeit wirft, die dem aserbaidschanischen Volk so lange verwehrt wurde… Die Delegation Aserbaidschans fasst den Beschluss, ihr Zusammenwirken und ihre Präsenz bis auf eine weitere Benachrichtigung einzustellen“, heißt es in einer Erklärung.

Der Leiter des aserbaidschanischen Zentrums für politische Studien „Atlas“, Elkhan Sahinoglu, sagte der „NG“, dass die Angriffe der PACE auf sein Land die Beziehungen Aserbaidschans mit den europäischen Strukturen noch mehr beeinträchtigen würden. „Nachdem Aserbaidschan seine territoriale Integrität und Souveränität über Karabach wiederhergestellt hatte, verstärkte sich der Druck der europäischen Organisationen auf die Republik. Das Parlament Frankreichs, das Europa-Parlament und die PACE begannen, antiaserbaidschanische Resolutionen zu verabschieden. Die PACE verabschiedete unter anderem ein Dokument gegen Aserbaidschan etwa 20 Tage nach der Sonderoperation in Karabach. In ihrer Resolution rief sie Baku auf, „eine Atmosphäre des Vertrauens und materielle Bedingungen“ für eine Rückkehr der Armenier aus Karabach in die Region zu schaffen. Sie wollen aber nicht zurückkehren und Bürger Aserbaidschans werden…“, meint Elkhan Sahinoglu.

Seinerseits nimmt der armenische Politologe Boris Navasardjan an, dass Aserbaidschan beschlossen habe, sich der Gruppe der Länder anzuschließen, die aktiv gegen die Weltordnung auftreten, die sich endgültig nach dem Zerfall der UdSSR herausgebildet hat. Er bezeichnete unter anderem den Europarat als eines der tragenden Elemente dieser Konstruktion. „Seitens Baku bleiben kein Interesse am Funktionieren derartiger Institute und an einer Teilnahme an ihnen, da die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass dort für Aserbaidschan unerwünschte Beschlüsse gefasst werden. Es wird nicht gelingen, sie für eine Realisierung der eigenen Außenpolitik zu nutzen“, betonte Navasardjan.

Nach Meinung des Experten sei zu einem Wendepunkt die Wiederherstellung der Kontrolle über Bergkarabach durch Aserbaidschan geworden. Die Ereignisse der letzten mehr als drei Jahre hätten Baku erlaubt, auf die Gewinnung von Hilfe der internationalen Öffentlichkeit im Konflikt mit Armenien zu verzichten. Dabei würden die Angelegenheiten und Fälle, die sich zur Behandlung in internationalen Gerichtsinstanzen inkl. des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes befinden, Baku keine Erfolge verheißen.

„Aserbaidschan trat zeitgleich mit Armenien, im Jahr 2001 dem Europarat bei, noch zu Zeiten von Geydar Alijew. In jenen Jahren folgte die Republik den Empfehlungen des Europarates hinsichtlich der Reformen, unter anderem der Justizreformen. Das Hauptziel Bakus war es aber, eine Unterstützung Europas in der Bergkarabach-Frage zu bekommen“, erklärte der Politologe und Doktorand der Karlsuniversität Bachruz Samadov der „NG“.

„Wenn Aserbaidschan aus dem Europarat ausscheidet, werden vor allem für die Aktivisten und Vertreter der Zivilgesellschaft schlechte Konsequenzen folgen, die zumindest irgendeine Unterstützung vom Europarat und Europäischen Menschenrechtsgerichtshof erhielten. Viele junge Menschen beteiligten sich an Projekten des Europarates zu Fragen der Genderpolitik oder des Peace-Buildings. Insgesamt beginnen für die Zivilgesellschaft Aserbaidschans schlechte Zeiten“, vermutet der Politologe.