Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Nawalny-Vertreter versuchen, Verfolgungen zu entgehen


Der frühere Leiter der Bewegung „Offenes Russland“ (OR) Andrej Piwowarow ist am 2. Juni auf Beschluss eines Gerichts in Krasnodar für zwei Monate in U-Haft genommen worden, damit er sich nicht einer Verfolgung aufgrund der Tätigkeit für eine unerwünschte Organisation entziehen kann. Die Duma-Wahlkampagne startet mit zweifelhaften Strafverfahren und Versuchen der Opposition, die Anhänger nicht in Gefahr zu bringen. Die Nawalny-Vertreter haben vorgeschlagen, nur in Form von Kryptowährungen für Politik zu spenden. Und vor diesem Hintergrund sehen die Aufrufe des Anführers der „Linken Front“ Sergej Udalzow an die Nichteinverstandenen, für eine Erhöhung der Wahlbeteiligung zu arbeiten, inaktuell aus.

Die Untersuchungsbehörden vermuten eine Flucht von Piwowarow gerade aus Krasnodar, wohin ihn gerade die Vertreter der Rechtsschutzorgane selbst auch aus Petersburg in Handschellen gebracht hatten. Das Gericht des Perwomaiskij-Stadtbezirks dieser Stadt hat die Entscheidung über eine Inhaftierung des Oppositionellen für zwei Monaten getroffen.

Damit wird, selbst wenn der Fall für die Offiziellen floppen sollte, Piwowarow schon nicht an den Wahlen zur Staatsduma teilnehmen können. Theoretisch hat er natürlich das Recht, direkt aus der U-Haft zu kandidieren. In der Praxis ist dies aber früher nur ganz wenigen gelungen, und hinsichtlich der heutigen Zeiten in Russland sieht dies überhaupt völlig phantastisch aus.

Zu eben jenem Genre gehört allerdings auch der „Fall von Piwowarow“ an sich – entsprechend dem Artikel 284.1 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation wegen der Teilnahme an der Tätigkeit einer ausländischen Nichtregierungsorganisation, die auf dem Territorium der Russischen Föderation als eine unerwünschte eingestuft worden ist. Erstens ist OR, für deren Unterstützung durch Posts in den sozialen Netzwerken Piwowarow jetzt zur Verantwortung gezogen werden soll, offiziell nicht als eine ausländische Struktur anerkannt worden, was Rechtsschützer Russlands höchsten Ranges mehrfach erklärt haben. Zweitens, Piwowarow hat ganz und gar nicht an der Tätigkeit von OR teilgenommen, er hat sie vom Wesen her geleitet, was auch Ende Mai bestätigt wurde, als gerade er die Selbstauflösung dieser Bewegung bekanntgab. Somit ist irgendwie seitens der Vertreter der Rechtsschutzorgane nicht alles mit der Fabel des durch sie eingeleiteten Verfahrens in Ordnung.

Noch schwachbrüstiger sehen die Argumente der Untersuchungsbeamten zugunsten der strengsten Sicherungsmaßnahmen für Piwowarow – einer Inhaftierung – aus. Bei der Gerichtsverhandlung am Mittwoch bat die Verteidigung die Anklage, zumindest einen Beweis dafür vorzubringen, dass Piwowarow sich Untersuchungen zu entziehen versuchte. Denn dies war gerade eines der Argumente zugunsten seiner Inhaftierung. Als Antwort folgte solch eine: Alles sei in den Unterlagen des Falls. Die dürften aber nicht preisgegeben werden, da sie mit dem Vermerk „Für den Dienstgebrauch“ versehen seien. Üblicherweise bedeutet dies, dass dies Angaben operativer Art sind – Abhörprotokolle, verdeckte Videoaufnahmen, Berichte über eine Beschattung oder von eingeschleusten Agenten. Doch das Hauptargument der Untersuchungsbeamten für eine unverzügliche Inhaftierung Piwowarows war solch eines: Er könne in Krasnodar nirgends unter Hausarrest gestellt werden. Und dies bedeute, dass er fliehen werde. Die Versicherungen der Verteidigung, dass, wenn dem auch so sein sollte, so doch nicht weiter als bis nach Moskau oder Petersburg, hielt das Gericht (erwartungsgemäß) für unbegründete und schaute sich obendrein nicht einmal den Vertrag über das Mieten von Wohnraum in Krasnodar durch Piwowarow und dessen Inhaber, der zur Gerichtsverhandlung gekommen war, an.

Die Festnahme eines Bürgers der Russischen Föderation für einen angenommenen Umzug aus einer Stadt des Landes in eine andere – dies ist bereits der Gipfel juristischen Formalismus, der allerdings durch eine harte politische Zweckmäßigkeit erklärbar ist. Piwowarow hatte sich nicht geirrt, als er erklärte, dass dies vom Wesen der Sache her ein Strafverfahren im Vorfeld der Wahlen sei. Er ist jedoch vergebens der Meinung, dass der Artikel des Strafgesetzbuches persönlich gegen ihn und gerade gegen seine Wahlpläne angewandt wird. Tatsächlich soll sein Prozess sogar ganz im Anfangsstadium zu einem belehrenden Beispiel für andere Anhänger von Chodorkowski und Nawalny werden. Der Anführer letzterer – der Politemigrant Leonid Wolkow – hat scheinbar schon begriffen, dass das entscheidende Problem der Nichteinverstandenen, das alle elektoralen Pläne zunichte zu machen droht, die Angst der einfachen Anhänger ist, die nicht aus Russland können und genauer gesagt vorhaben, Russland zu verlassen.

Daher trat Wolkow am 2. Juni auf YouTube mit einem speziellen Appell an die oppositionell eingestellten Bürger Russlands auf. Er erklärte, dass, da die Nawalny-Anhänger den Kampf gegen das Regime fortsetzen, man diesen finanzieren müsse, wie auch früher durch kleine private Spenden. Folglich rief er die Menschen auf, sich nicht von ihren Pflichten loszusagen. Und um sich vor Verfolgungen aufgrund der Spenden abzusichern, merkte Wolkow an, müssten alle die Zahlungen in einer Kryptowährung vornehmen. Man könne da zwar natürlich die Geldbewegungen verfolgen, doch die Anonymität würde dabei dennoch gewährt werden. Wolkow hat in seinem Video bereits eine Reihe von Börsen angepriesen, wobei er versicherte, dass die Nawalny-Vertreter für die Anhänger die zugänglichsten und verständlichsten ausgewählt hätten. Folglich sei die Losung des Tages: „Bürger, nutzt Bitcoins!“.

Vor diesem Hintergrund der phantastischen Strafverfahren gegen die Opposition und des nicht weniger phantastischen Grades ihres merkantilen pragmatischen Vorgehens sehen die Aufrufe von Udalzow zu gemeinsamen Aktionen der Rechten und Linken zwecks Propagierung eines obligatorischen Erscheinens der Wähler an den Wahlurnen vollkommen archaisch aus. Er beharrt darauf, dass die Offiziellen angeblich für eine Verringerung der Wahlbeteiligung bis unter 50 Prozent arbeiten würden. Und folglich müssten die Gegner der Herrschenden versuchen, die Aktivität der Bürger für eine Beteiligung von bis zu 60 bis 70 Prozent zu stimulieren. Udalzow demonstriert mit seinen Erklärungen sowohl eine gute Kenntnis der Theorie als auch, dass er weit von der Praxis entfernt ist.

Die Sache ist die, dass es für die Herrschenden keinen Sinn hat, eine gewisse abstrakte Wahlbeteiligung insgesamt zu dämpfen, um das eigene Elektorat zu mobilisieren und das konkurrierende zu demotivieren. Die Instrumente für eine Umsetzung dieser Aufgabe sind bereits in der Praxis erprobt worden. Es haben Trainings in Form einer experimentellen elektronischen Abstimmung und die Primaries der Kremlpartei „Einiges Russland“ stattgefunden. Die Oppositionellen aber bestraft und inhaftiert man entsprechend dem zweiten Teil des Programms. Die Opposition aber muss, besonders wenn sie sich dabei vereinigt, an maximal breite Massen appellieren. Ohne einen Zugang zu den staatlichen Massenmedien ist so etwas unmöglich. Und im Internet wird man alles Derartige mit der Formulierung „illegale Agitation“ verbannen und blockieren.