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Nawalny wollte man das Treffen mit Gattin Julia nicht verderben


In der Strafkolonie Nr. 2 der Kleinstadt Pokrow, wo Alexej Nawalny eine Haftstrafe verbüßt, hat am 15. Februar ein neuer Gerichtsprozess gegen den Oppositionellen begonnen, der am 21. Februar fortgesetzt wird. Man wirft ihm Missachtung des Gerichts und Betrugshandlungen mit Geldern, die Bürger für die Tätigkeit der Nawalny-Strukturen gespendet hatten. Die Anhörungen hinter den Mauern der Strafkolonie erschweren die Arbeit der Verteidigung. Doch dem Angeklagten an sich schafft man scheinbar bewusst Bedingungen für eine Rückkehr zum Publikum. Am ersten Tag hatte man Nawalny nicht daran gehindert, harte Erklärungen abzugeben, und versprochen, ein mehrtägiges Zusammensein mit Ehefrau Julia auf dem Gelände der Kolonie nicht zu canceln.

Nawalny habe den Materialien der Untersuchungsbeamten von seinen Anhängern über zwei Millionen Rubel gestohlen, aber freilich nicht jene 350 Millionen oder gar eine Milliarde, von denen anfangs die Staatsanwaltschaft vollmundig und selbstsicher gesprochen hatte. Sowohl die Anhänger als auch die Anwälte des Oppositionspolitikers haben bereits umfangreich ihre Version verbreitet: Zwei der angeblich vier betroffenen „Nawalny-Opfer“ seien Strohmänner. Und die beiden anderen hätten angeblich die Aussagen unter Druck auf sie selbst und ihre Verwandten gemacht (was in der russischen Strafverfolgung durchaus eine gängige Praxis ist – Anmerkung der Redaktion).

Für die Anklage ist dies allerdings zu keinem Hindernis für die Vorstellung der Materialien der Untersuchungsbeamten geworden. Die Verteidiger aber beklagten sich, dass man ihnen beim Zutritt zum Straflager alle technischen Arbeitsmittel verwehrte, und beantragten eine Verlegung des Prozesses an einen bequemeren Ort. Macht es da Sinn darauf zu verweisen, dass durch das Gericht sowohl dieser Antrag als auch die Forderung Nawalnys, die Gefängniskleidung abzulegen, abgewiesen wurden?! Das dreitägige Zusammensein mit Gattin Juli, das der Häftling zwei Monate lang erwartet hatte, ist vom Gericht nicht abgesagt worden.

Die Nawalny-Vertreter an sich sprechen im Prozessverlauf demonstrativ nicht mit der Anklage. Alle Anträge laufen über das Gericht. Damit wird demonstriert, dass das Schicksal des 45jährigen durch die Herrschenden vorentschieden ist. Es erfolgt simpel ein Schauprozess. Dies belegt auch die Rede des Oppositionspolitikers an sich, der bereit ist, sich für die Interessen des Volks zu opfern: „Da ich nun Ihren Putin beleidigte, da ich nicht bloß überlebte, sondern zurückkehrte, bedeutet dies: Ich werde im Gefängnis sitzen. Und es wird diesen Fall geben, einen zweiten, einen dritten… Nun denn, ich denke, dass meine Tätigkeit, das Wirken meiner Kollegen doch wichtiger sind als einfach das konkrete Schicksal eines Menschen. Und ein wahres Verbrechen, das ich begehen kann, ist, Ihnen allen Angst zu machen, und jenen, die hinter Ihnen stehen“.

Kurz gesagt: Aus Nawalny macht sein Team weiterhin einen moralischen Führer der Nation, einen gewissen russischen Nelson Mandela. Scheinbar wollen aber die Offiziellen durch das Wesen des neuen Strafverfahrens diese Richtung vorab wirkungslos machen.

Der Präsident der Russischen Assoziation politischer Berater, Alexej Kurtow, bestätigte der „NG“, dass „es augenscheinlich die Aufgabe gibt, Nawalny aus dem öffentlichen Raum zumindest im Verlauf des Jahres 2024 zu nehmen, um die Steuerbarkeit und Voraussagbarkeit der Wahlperiode zu sichern“. Der Experte bezweifelt, dass aus Nawalny ein neuer moralischer Führer in der Art von Mandela hervorgehen werde, da die Unterstützung für den Oppositionellen begrenzt sei. Er werden von der Mehrheit der Bürger Russlands nicht als der ihrige wahrgenommen. Das heißt: Es gebe einen bestimmten Kreis von Anhängern und Sympathisanten, deren Meinung über Nawalny sich unter keinerlei Umstände ändere, doch es werde wohl kaum gelingen, ihn aufgrund der Beschränktheit der Informationsressourcen und der Verbindungen des Häftlings mit der Außenwelt zu erweitern.

Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, ist gleichfalls der Auffassung, dass es allem nach zu urteilen oben den Wunsch gebe, Nawalny sowohl für das Jahr 2024 als auch gar länger unter Verschluss zu halten. „Es gibt noch Extremismus-Paragrafen, denen entsprechend man ihn noch verurteilen kann. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass dieser Prozess nicht der letzte ist. Den Nichteinverstanden zeigt man, dass Nawalny und seine Strukturen außerhalb des legalen politischen Raums sind. Sein Einfluss auf die Politik ist vom Prinzip nicht akzeptabel“, betonte der Experte. Dabei nimmt Makarkin an, dass, obgleich Nawalny heute bestimmt keine moralische Führungsfigur für die meisten ist, es allem nach zu urteilen seitens der Herrschenden Befürchtungen hinsichtlich der Perspektive gebe, denn Mandela sei auch nicht sofort zu solch einer Autorität in seinem Land geworden. „In der oppositionellen Subkultur fühlt man mit Nawalny mit. Und für einen bestimmten Teil der Bürger ist er wirklich ein moralischer Führer. Im Volk dominiert derweil politische Apathie. Die Herrschenden aber handeln vorausgreifend, damit auch keine neuen Anhänger auftauchen. Schließlich gibt es in der Gesellschaft eine sehr schlechte Haltung gegenüber Betrügern. Und da gibt man den Menschen auch zu verstehen, dass Nawalny, der Beamte entlarvte und bloßstellte, selbst dank Spendengelder auf großem Fuße gelebt habe. Wie dies aber alles letztlich enden wird, dies ist eine unvorhersehbare Sache“, unterstrich Makarkin.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow erinnerte die „NG“ daran: „Die heutige Agenda zum Nawalny-Fall hat die internationale Agenda in den Hintergrund gedrängt, die Meldungen über den teilweisen Abschluss von Manövern an den Westgrenzen der Russischen Föderation zur Ukraine und die Staatsduma, die ein Dokument über die Notwendigkeit einer Anerkennung der DVR und LVR verabschiedete“. Dabei werde den Menschen klar zu verstehen gegeben, merkte der Experte an, dass Nawalny ein Staatsfeind sei, der die herrschende Macht stürzen wolle. Und da er aus der Sicht der Offiziellen eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstelle, werde auch die Aufgabe gestellt, ihn für einen möglichst langen Zeitraum einzusperren. Derweil sei Nawalny für die oppositionelle Subkultur ein politischer Häftling. Und die Offiziellen würden befürchten, dass nicht nur zweifelnde und schwankende Bürger Russlands auf seine Seite übergehen, sondern auch noch heute unpolitische Bürger. „Natürlich, wenn die Ratings der Offiziellen nicht bloß absacken, sondern einbrechen, so werden die Menschen eine Alternative suchen. Die Offiziellen agieren freilich vorausschauend, indem sie Nawalny keine Positionen eines moralischen Führers und eines Symbols von Veränderungen überlassen. Gegen ihn wird eine Politik der Dämonisierung und einer Diskreditierung als Mensch angewandt. Folglich wird aus ihm wohl kaum ein zweiter Mandela werden. Er wird eher dazu verdammt sein, für andere die Bresche zu schließen und eine Mauer zu durchbrechen“, meint Kalatschjow.

Am Montag, dem 21. Februar wird der Nawalny-Prozess fortgesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft wird sich da erneut in einem unschönen Licht präsentieren, denn es werden Informationen zu den Kontenbewegungen Nawalnys in den letzten fünf Jahren verlesen, wobei – wie auch am ersten Prozesstag – keine Verbindung zu den Spendenkonten ausgewiesen wird, von denen der Oppositionspolitiker angeblich für persönliche Zwecke Gelder genutzt haben soll.