In Russland ist erneut eine Diskussion über das Angebrachtsein des Tragens von Niqabs – von Kopfbedeckungen, die praktisch vollkommen das Gesicht islamischer Frauen bis auf einen schmalen Schlitz für die Augen – losgetreten worden. Dieses Mal hat das Thema der Leiter des Untersuchungskomitees der Russischen Föderation, Alexander Bastrykin, aufgeworfen. Er erklärte, dass er nicht wissen, warum man in einigen Ländern keine Niqabs tragen dürfe, während man dies in Russland könne. Und er rief dazu auf, ein Verbot für ihr Tragen zu verhängen.
„Was passiert heute? Den letzten Terrorakt in Dagestan hat wer verübt? Islamistische Terroristen. In einem Gefängnis von Rostow, wer hat da solch einen verübt? Islamistische Terroristen. Daher muss die Staatsduma kurzfristig auf diese Erscheinungen reagieren! Da wir Leute hierherholen (ich bin der Auffassung, dass man dies nicht tun darf), müssen wir ihr Verhalten regeln, darunter durch die Annahme neuer Gesetze“, erläuterte der Chef des Untersuchungskomitees.
Öl ins Feuer gießen die Skandale, die mit einem Tragen von Niqabs verbunden sind. Dieser Tage wurde bekannt, dass im dagestanischen Chassawjurt eine Ärztin während der Sprechstunde eine dagestanische Patientin gebeten hatte, die Kopfbedeckung abzulegen. (Pseudo-) Aktivisten waren aufgetreten, schalteten sich in den Fall ein, und die Ärztin musste sich entschuldigen. Angeblich wurde sie gar aus der Privatklinik, in der sie tätig war, entlassen, meldeten Medien. Einen spektakulären Charakter hatte dem Skandal die Nationalität der Medizinerin verliehen. Sie ist Russin. (Das Oberhaupt der Republik Sergej Melikow hat jedoch bereits öffentlich erklärt, dass die junge Ärztin unter staatlichen Schutz gestellt werde. – Anmerkung der Redaktion).
Brisanz verleiht dem Thema eines Verbots für das Tragen von Niqabs der Umstand, dass diese Maßnahme von ihren Anhängern als eine Regel im national-religiösen Kontext angesehen wird. Aus den Worten von Alexander Bastrykin ergibt sich, dass man diese Kleidung verbieten müsse, da es Einwanderinnen aus moslemisch geprägten Ländern vorziehen würden, sie zu tragen, und sie damit eine Herausforderung für die russischen Bräuche darstellen. Derweil sind im bereits erwähnten Dagestan auch einige einheimische Bürger für die Niqabs eingetreten. Dabei war schon mehrfach erläutert worden – darunter durch moslemische Spitzenvertreter -, dass die Niqabs keinerlei religiöse Relevanz besitzen würden, dass dies einfach in den heißen sandigen arabischen Ländern bequem sei. In Russland gebe es keinerlei klimatische Grundlagen für einen derartigen Stil in der Kleidung.
Andererseits wird die Auffassung vertreten, dass die Menschen sich für Niqabs entscheiden würden, die sich durch einen bestimmten religiösen Eifer auszeichnen würden, vielleicht sogar eines radikalen Charakters. Dies kann aber nicht als eine zuverlässige Grundlage für ein Verbot dienen. Man kann ja schließlich nicht das Tragen von Niqabs als ein Propagieren von Extremismus ansehen. Durch was unterschiedet sich dies von einem Kampf gegen Hippies, die sogenannte Stilyagi-Subkultur (Jugendkultur im stalinistischen Russland, die auf ein auffällig modisches Erscheinungsbild setzte – Anmerkung der Redaktion), Punker, Rocker zu Sowjetzeiten?
Es muss unterstrichen werden, dass in einem weltlichen Staat die Regeln für alle und überall die gleichen sein müssen – sei es in Moskau oder in Dagestan. Derweil gibt es aber in letzterer russischen Teilrepublik Liebhaber, die nicht nur Niqabs tragen, sondern beispielsweise auch die zulässige Länge von Shorts bei Touristen messen und sie nötigen, sich (geziemter) zu kleiden.
Es ist wichtig, sich dessen zu erinnern, dass wir, indem wir die Frage des Tragens von Niqabs in einen kulturellen Kontext verlagern, ein soziales Problem schaffen. Nationale und religiöse Spitzenvertreter treten gegen ein Verbot auf, nicht weil sie die Niqabs unterstützen, sondern weil sei in dem Verbot eine Diskriminierung spüren.
Es gibt aber einen Faktor, der in der Lage ist, Befürchtungen solcher Art auszuräumen. Dies sind Sicherheitsanforderungen. Wenn wir auf der Straße einen Menschen mit einer Strumpfmaske sehen, so machen wir in ihm einen Räuber aus. Wie einige Medien berichteten, habe man bei einem der dagestanischen Terroristen einen Niqab gefunden. Ergo hatte er angeblich vor, einer Verfolgung zu entgehen. Es ist unbekannt, wie lange es ihm gelungen wäre, Abdullah aus dem sowjetischen Spielfilm „Die weiße Sonne der Wüste“ (kam 1970 in die Kinos – Anmerkung der Redaktion) zu spielen. Dies ist aber schon ein ernsthaftes Argument für die Verfechter eines Niqab-Verbots. Auch wenn man verbieten will, so jegliche beliebige Kleidung, die vollkommen das Gesicht verschleiert bzw. verhüllt (darunter beispielsweise Schlupfmützen). Und diesen Schritt muss man dann ausschließlich mit Sicherheitsanforderungen begründen.
Post Scriptum:
Bereits nach Redaktionsschluss wurde bekannt, dass am Montag der Mufti von Dagestan, Achmad Abdulayev, bei einem Treffen mit Vertretern des öffentlichen Lebens, die Veröffentlichung einer Fatwa (islamisches Rechtsgutachten) gegen das Tragen von Niqabs in der Republik in den nächsten Tagen ankündigte.