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Nuland hat den Augiasstall in den russisch-amerikanischen Beziehungen nicht ausgemistet


Der dreitägige Russland-Besuch der US-Vizeaußenministerin für politische Fragen, Victoria Nuland, ist abgeschlossen worden. Entgegen den Erwartungen, die viele Experten mit ihm verknüpft hatten, ist er von keinerlei wichtigen Vereinbarungen zumindest hinsichtlich er der schwierigen Probleme in den russisch-amerikanischen Beziehungen geprägt worden. Möglicherweise hängt dies mit der Situation in den Vereinigten Staaten an sich zusammen. Das Team von Joseph Biden ist in den Möglichkeiten für ein Manövrieren in der russischen Richtung zu sehr eingeschränkt.

Nuland hatte sich vom 11. bis einschließlich 13. Oktober in Moskau aufgehalten. Hier führte sie Gespräche mit dem russischen Vizeaußenminister Sergej Rjabkow, dem Berater des Präsidenten der Russischen Föderation Jurij Uschakow, aber auch mit dem stellvertretenden Leiter der Präsidialadministration Dmitrij Kosak. Hinsichtlich der Ergebnisse all dieser Begegnungen gab es keine gemeinsamen Briefings. Ein wahres Anzeichen dafür, dass es nicht gelang, konkrete Ergebnisse während des Besuchs einer der markantesten Figuren der Biden-Administration zu erreichen. Allerdings hat Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, aufgerufen, nicht dies „zu beklagen“, dass die Verhandlungen mit Victoria Nuland zu keinen „bahnbrechenden Vereinbarungen“ geführt hätten. „Dies ist wohl kaum möglich. Zu groß ist der Augiasstall in den bilateralen Beziehungen. Den mistest du nicht mit einem Mal aus“, sagte er.

Bezeichnend ist im Übrigen, dass die Resultate der Gespräche mit Nuland nur von deren russischen Teilnehmern konkret erörtert wurden.

So konnten Journalisten aus dem Bericht von Kosak über sein Gespräch mit der amerikanischen Vizeaußenministerin die Schlussfolgerung ziehen, dass sie keinerlei neuen Vorschläge bezüglich des Konflikts im Südosten der Ukraine mitgebracht hatte. Nach seinen Worten hätten die Seiten vereinbart, dass die Grundlage für eine friedliche Konfliktregelung nur die Minsker Vereinbarungen sein könnten (dies hatten auch früher weder die USA noch die Russische Föderation bestritten), und sich geeinigt, die Konsultationen fortzusetzen. „Im Verlauf der Gespräche war die in Genf formulierte Position der USA bestätigt worden, dass ohne eine Abstimmung der künftigen Parameter für eine Autonomie oder – anders gesagt – für einen Sonderstatus des Donbass im Bestand der Ukraine ein wesentlicher Fortschritt bei der Konfliktregelung kaum möglich ist“, sagte Kosak, wobei er das Juni-Treffen von Wladimir Putin und Biden in Genf im Blick hatte.

Derweil hätte man zur ukrainischen Thematik von Nuland neue Vorschläge erwarten können. In der kommenden Woche wird US-Verteidigungsminister Lloyd Austin in Kiew eintreffen. In der ukrainischen Hauptstadt wird er die Möglichkeit einer Erweiterung der amerikanisch-ukrainischen militärischen Zusammenarbeit erörtern, die bisher eine recht bescheidene ist. Dennoch war dem nach zu urteilen, was die russischen und amerikanischen Offiziellen für nötig hielten, über den Nuland-Besuch mitzuteilen, nichts Neues zur ukrainischen Thematik gesagt worden. Die stellvertretende Chefin des State Departments selbst, die die Moskauer Gespräche kommentierte, beschränkte sich auf allgemeine Worte, wobei sie es vorzog, sie nicht persönlich zu äußern, sondern über den Twitter-Account der USA-Botschaft in Moskau. „Ich bin dankbar für das offene und produktive Gespräch über die amerikanisch-russischen Beziehungen“. So kommentierte Victoria Nuland beispielsweise ihr Gespräch mit Uschakow.

Die größte Enttäuschung aufgrund des Besuchs der stellvertretenden US-Außenministerin hängt aber damit zusammen, dass er nicht klar machte, wann die Arbeit der Botschaften beider Länder normalisiert wird. Es sei daran erinnert, dass die amerikanische Botschaft in Moskau seit August keine Visa ausstellt, wobei sie darauf verweist, dass aufgrund des von Russland verhängten Verbots für das Einstellen ausländischer Bürger das Personal für die Bearbeitung der Dokumente nicht ausreiche.

Ausnahmen haben die Amerikaner nicht einmal für Sportdelegationen gemacht. Im September war Russlands Auswahl im Bogenschießen, die zur Weltmeisterschaft in dieser Sportart nach Yankton, South Dakota, reiste, gezwungen gewesen, die Visa in der US-Botschaft in Usbekistan zu erhalten. Und einen Monat zuvor mussten die russischen Leichtathletinnen Maria Lassizkene und Anschelika Sidorowa die Etappe der Diamond League, die in den Vereinigten Staaten stattfand, auslassen. Sowohl die eine als auch die andere konnten keine amerikanischen Visa in der US-Botschaft in Moskau erhalten. Und die Varianten des Einreichens von Dokumenten in amerikanischen Botschaften in anderen Ländern hatte damals das State Department nicht zugelassen.

Bei der Kommentierung der Ergebnisse des Nuland-Besuchs erklärte der offizielle Sprecher des State Departments Ned Price bei einem Briefing in Washington, dass die Erörterung der Frage der Botschaften fortgesetzt werde, aber auf einer niedrigeren diplomatischen Ebene. „Wir haben noch einer Verhandlungsrunde zugestimmt, und wir hoffen, dass die Fortsetzung der Gespräche zum Treffen einer Entscheidung führen kann, dass unsere Mission in Moskau ihre normale Tätigkeit wiederaufnehmen kann“, sagte er.

Wladimir Wassiljew, wissenschaftlicher Oberassistent am Institut für Fragen der USA und Kanadas der Russischen Akademie der Wissenschaften, bekundete in einem Gespräch mit der „NG“ die Vermutung, dass Nuland möglicherweise gewisse Vorschläge von Biden mit nach Moskau gebracht hatte, die die Beziehungen beider Länder betreffen. „Möglicherweise ging es um eine Veränderung der Zusammensetzung der Black Lists oder irgendeinen Kompromiss hinsichtlich der Arbeit der Botschaften. Jedoch hat sich im letzten Moment, als es bereits zu spät war, den Besuch zu canceln, irgendetwas ereignet“, urteilt der Experte.

Als einen möglichen Grund, der den Charakter der Verhandlungen von Victoria Nuland veränderte, nannte Wassiljew den Appell von US-Senatoren an Biden. Darin fordern Vertreter der Republikaner- und der Demokratischen Partei, 300 Mitarbeiter der russischen diplomatischen Mission aus den Vereinigten Staaten auszuweisen, wenn der Kreml eine Vergrößerung des Personalbestands der amerikanischen Botschaft in Moskau nicht billigt. Die Initiative der beiden Parteien kann Präsident Biden nicht so einfach über den Haufen werfen. Jedoch will die Biden-Administration auch nicht in der Sprache von Ultimaten mit Russland sprechen. Auf jeden Fall hatten die Senatoren nicht den besten Hintergrund für Kompromisse Moskaus und Washingtons geschaffen. „Der Nuland-Besuch demonstrierte, wie sehr derzeit die außenpolitischen Möglichkeiten Bidens eingeschränkt sind. Seine Administration wird von allen Seiten attackiert. Allein dies erschwert die Gespräche mit ihr“, meint Wassiljew.