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Nur Peter der Große hat Putin als bedeutsamste Figur in Russlands Geschichte den 1. Rang weggeschnappt


Wladimir Putin, der Präsident der Russischen Föderation, hat ja selbst ein Faible für Geschichte, vor allem für die Geschichte des Landes und die des Großen Vaterländischen Krieges. Dabei spricht er sich vehement gegen jegliche Versuche aus, die offizielle Geschichtsschreibung zu verzerren. Sogar Strafen werden für entsprechende Anstrengungen angedroht. Da er nun selbst mehr als 20 Jahre das Ruder fest in seinen Händen hält und wohl auch im Jahr 2024 noch einmal für das höchste Amt im russischen Staat kandidieren wird, ist seine Rolle als historische Figur eine durchaus bedeutende. Bestätigt wurde dies erneut durch eine am Mittwoch vorgestellte Untersuchung der in Moskau beheimateten Russischen staatlichen sozialen Universität. Die Soziologen dieser Institution befragten Studenten danach, welche Persönlichkeiten den relevantesten Einfluss auf die Landesgeschichte ausgeübt haben. Das Ergebnis ist mehr als interessant.

Peter der Große, Wladimir Putin und die in Zerbst geborene Katharina II. bilden die Top-3 bei der Umfrage, deren Ergebnisse der Pressedienst der Russischen staatlichen sozialen Universität veröffentlichte. Der unbestrittene Spitzenreiter ist dabei aber nicht der Kremlchef, sondern Peter I., den über 72 Prozent der Befragten nannten. Deutlich abgeschlagen kam Wladimir Putin auf Platz 2 mit 54 Prozent. Er ließ dafür aber Katharina II. hinter sich, die sieben Prozent weniger erhielt. Schaut man sich die Top-10 an, so sind da alles Figuren, die Zeichen gesetzt haben. Stalin (40,1 Prozent) und Iwan IV. (der Schreckliche) mit 32,7 Prozent. Aber nicht dabei sind solche Persönlichkeiten wie die Nobelpreisträger Andrej Sacharow oder Alexander Solschenizyn. Beide litten unter Repressalien, politischen Verfolgungen, die von den befragten Studenten angedeutet wurden, als man die Frage stellte, welche Zeit die schwierigste Periode in der russischen Geschichte gewesen sei. Zur schwierigsten wurde die Epoche des Großen Vaterländischen Krieges (47,8 Prozent), die heutige Zeit u. a. mit der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine sowie der damit verbundenen westlichen Sanktionen (über 14 Prozent). Weiter wurden unter den Top-10 die Oktoberrevolution von 1917 und der Bürgerkrieg Anfang der 1920er Jahre, die Zeit der Stalinschen Repressalien, die Wirren Zeiten und das mongolisch-tatarische Joch.

Vor diesem Hintergrund – die Stalinschen Repressalien und das heutige Russland unter Präsident Putin – ist diese Woche gar eine tragische. Am Mittwoch fällt das Moskauer Stadtgericht die Entscheidung, die Moskauer Helsinki-Gruppe, Russlands älteste Menschenrechtsgruppe, aufgrund formaler Gründe zu liquidieren. Eines der Gründungsmitglieder war die Sacharow-Gattin Jelena Bonner. Und einen Tag später wurde in der russischen Hauptstadt bekannt, dass das Sacharow-Zentrum mit seiner Bibliothek und seinen Versammlungsräumen und Ausstellungssaal sowie die letzte Wohnung des berühmten Atomphysikers den Todesstoß erhielt. Innerhalb von drei Monaten müssen all diese Räumlichkeiten auf Verlangen des Moskauer Departments für städtisches Eigentum geräumt werden. Als Grund wurde genannt, dass sich die Beamten lediglich an das am 1. Dezember 2022 in Kraft gesetzte Gesetz „Über die Kontrolle der Tätigkeit von Personen, die sich unter ausländischem Einfluss befinden“ halten würden. Die neuen Normen dieses repressiven Gesetzes untersagen den Erhalt jedweder staatlichen Unterstützung durch sogenannte ausländische Agenten, zu denen leider auch das Sacharow-Zentrum gehört. Für Russlands Studenten ist dies alles jedoch historisch wenig relevant oder gänzlich kein Thema.