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Paschinjan bezeichnete man erneut als einen Verräter


Der Präsident des Europarates Charles Michel hat das trilaterale Treffen in Brüssel mit Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew und Armeniens Premier Nikol Paschinjan als ein „offenes und produktives“ bezeichnet. Baku kommentierte bis Redaktionsschluss noch nicht die Ergebnisse des Treffens in der belgischen Hauptstadt. In Jerewan fing die Opposition an, über einen erneuten Verrat der Herrschenden zu sprechen.

Zu den Ergebnissen der Diskussion wurden Vereinbarungen über den weiteren Verlauf der Arbeit zur Öffnung regionaler Verbindungen und zur Arbeitsaufnahme der Kommission zu Fragen einer Demarkation und der Sicherheit der Grenzen. Michel, Alijew und Paschinjan erörterten Fragen im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Verhandlungsprozesses zwecks Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern und mit humanitären Problemen, aber auch mit der Regulierung des Bergkarabach-Konfliktes. Die Seiten vereinbarten, die trilateralen Treffen in solch einem Format fortzusetzen. Das nächste soll im Juli oder August stattfinden.

Charles Michel teilte mit, dass „in den nächsten Tagen an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze die erste gemeinsame Sitzung der Grenzkommissionen stattfindet. Erörtert werden alle Fragen, die mit der Delimitation der Grenzen und Gewährleistung der Stabilität zusammenhängen“. In der Abschlusserklärung ging der Präsident des Europäischen Rates ausführlicher auf die erzielten Vereinbarungen ein.

Nach seinen Worten seien sich Alijew und Paschinjan hinsichtlich der Notwendigkeit einig gewesen, die Blockierung der Transportwege aufzuheben. „Sie haben Prinzipien abgestimmt, die den Transit zwischen dem westlichen Aserbaidschan und Nachitschewan und zwischen verschiedenen Teilen Armeniens durch Aserbaidschan, aber auch die internationalen Transporte über die Verkehrsinfrastruktur beider Länder regeln. Sie einigten sich unter anderem über Prinzipien für die Verwaltung der Grenzen, der Sicherheit und Bodengebühren, aber auch über Zollreglungen im Kontext der internationalen Transporte. In den nächsten Tagen werden die Vizepremiers diese Arbeit fortsetzen“, sagte Michel.

Er teilte mit, dass die beiden Staatsmänner die Erörterung des künftigen Friedensvertrages fortsetzen würden, der die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan regeln werde. Der Chef des Europäischen Rates betonte gleichfalls, dass die EU gemeinsam mit beiden Seiten die Arbeit der Konsultativen Wirtschaftsgruppe voranbringen werde. Sie sei bestrebt, die wirtschaftliche Entwicklung zum Wohle beider Länder und deren Bevölkerung zu unterstützen.

In Jerewan bezichtigte die Opposition erneut Paschinjans eines Verrats. Unter anderem schrieb die einstige Parlamentsabgeordnete Naira Karapetjan in den sozialen Netzwerken: Fünf katastrophale Stunden in Brüssel haben uns zu erneuten Verlusten gebracht. „In der Abschlusserklärung steht überhaupt nicht die Frage nach dem Status von (Berg-) Karabach. Es gibt keine Erwähnung über das Recht auf Selbstbestimmung. Anstatt dessen ist „von Rechten und der Sicherheit der Armenier in Karabach“ die Rede. Und dies hat nicht der armenische Führer unterstrichen, sondern der Vorsitzende des Europäischen Rates Charles Michel“, betonte Karapetjan.

Sie konzentrierte die Aufmerksamkeit darauf, dass in den nächsten Tagen in der Grenzzone Armeniens und Aserbaidschans eine Tagung der Kommission zur Delimitation der Grenzen erfolgen werde. „Dies bedeutet, dass Russland mit seinen Karten von den ursprünglichen Positionen verdrängt wurde. Dieses Mal ist es vollkommen aus dem Wortlaut der Erklärung herausgefallen. Die Behauptungen Armeniens, wonach unsererseits die Kommission nicht gebildet worden sei, haben sich als eine erneute Lüge erwiesen… In der gegenwärtigen Situation verheißt eine Zusammenarbeit mit Aserbaidschan nichts Gutes“, vermutet Naira Karapetjan. Die ehemalige Abgeordnete hält gleichfalls die Nichterwähnung der Minsker OSZE-Gruppe – des einzigen Formats, wo das Recht auf Selbstbestimmung als ein Prinzip genauso wie auch der Ausschluss einer Anwendung von Gewalt verankert worden sind, für eine besorgniserregende. „Dies ist das Ende. Die Frage ist scheinbar ad acta gelegt worden. Wenn auch jetzt keinerlei Schlussfolgerungen gezogen werden, so sind wir es nicht würdig, ein unabhängiges Karabach oder unabhängiges Armenien zu haben“, schrieb die Oppositionspolitikerin.

Mit einer ähnlichen Meinung trat der Turkologe Dr. hist. Waruschan Gegamjan auf. Nach seiner Auffassung gebe Armenien den Kampf um den Status von Bergkarabach außerhalb des Bestands von Aserbaidschans auf. Er denkt, dass bei der gegenwärtigen Lage der Dinge Karabach eine vollständige De-Armenisierung erwarte. Nichts Gutes würden ebenfalls sowohl die Demarkation der Grenzen als auch die Deblockierung der Transportarterien verheißen. Nach Meinung von Gegamjan werde dieser Prozess zu einer Übergabe aller Enklaven-Territorien an Aserbaidschan und Schaffung von Transportkorridoren durch Armenien führen, während wenig klar sei, was Armenien selbst im Gegenzug erhalten werde.

Gegamjan ist der Auffassung, dass die Frage über den Status von Bergkarabach wohlbehalten „vergessen“ worden sei. „Mit Aserbaidschan wird ein „Friedensvertrag“ vorbereitet, dessen Hauptbestimmung die Anerkennung dessen territorialen Integrität inklusive Karabachs ist“, erklärte der Turkologe. Nach seiner Meinung könne nur ein Kampf gegen die Realisierung dieser Punkte die Situation retten. Dafür müsse man aber gegen die „derzeitigen kapitulierenden Herrschenden kämpfen, eine Regierung der nationalen Eintracht bilden und den Prozess einer gemeinsamen Mobilisierung beginnen“.

Als Gegengewicht zu den Oppositionspolitikern erklärte der Politologe Armen Chanbabjan gegenüber der „NG“, dass das Treffen in Brüssel wohl kaum den Zustand der Dinge in der Region wesentlich beeinflussen werde. „Vom Wesen her gibt es bisher keinerlei Vorankommen in Richtung realer Handlungen zur Verringerung der Spannungen und einer Deblockierung der Grenzen. Allerdings werden die Begegnungen in solch einem Format fortgesetzt werden. Und möglicherweise wird dies schrittweise in der Perspektive konkrete Fortschritte und Ergebnisse bringen. Bisher kann man nicht so sehr über eine praktische als vielmehr über die ideologische Komponente der Veranstaltung sprechen. Die Seiten der Konfrontation und die Führung der Europäischen Union versuchen zu zeigen, dass ungeachtet des faktischen Ausscheidens von Russland aus der Minsker OSZE-Gruppe für Bergkarabach das bisherige Verhandlungsformat noch immer existiert, wenn auch in einer äußerlich veränderten Form“, meint Chanbabjan.