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Paschinjan fährt zu Friedensgesprächen nicht nach Moskau, sondern nach Brüssel


Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew und Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan werden unter Vermittlung des Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel in Brüssel die Aufnahme von Verhandlungen über einen Friedensvertrag erörtern. Am Vorabend hatte der amtierende OSZE-Vorsitzende, Polens Außenminister Zbigniew Rau, die Positionen von Baku und Jerewan geklärt. Er bekundete die Hoffnung, dass die Seiten zu einem Kompromiss gelangen werden. Die armenische Opposition ist der Auffassung, dass Paschinjan die Interessen des armenischen Volkes verrate, und ruft die Bürger auf, am 5. April zu einer Kundgebung mit der Forderung nach Paschinjans Rücktritt zu kommen.

Wie Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew erklärte, würden die anstehenden Verhandlungen mit Armenien fruchtbar verlaufen, meldete die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS. Nach seinen Worten erhalte Baku von armenischen offiziellen Vertretern Angaben darüber, dass sie die Vorschläge der aserbaidschanischen Seite hinsichtlich eines Friedensvertrages für akzeptable halten würden.

„Die ist eine sehr gute Nachricht, und ich hoffe, dass das Treffen in Brüssel mehr Klarheit in dieser Frage verschaffen wird“, betonte er bei den Verhandlungen mit dem OSZE-Vorsitzenden Zbigniew Rau. Nach Aussagen Alijews sollten Baku und Jerewan so schnell wie möglich ein Friedensabkommen unterzeichnen. Alijew unterstrich, dass die von Baku vorgeschlagenen fünf Prinzipien für eine Friedensregelung die Normen des Völkerrechts reflektieren würden und Jerewan keine Einwände gegen sie habe. „Die armenische Seite hält unsere Vorschläge für annehmbare. Jedoch folgte keine offizielle Antwort“, sagte das aserbaidschanische Staatsoberhaupt bei den Gesprächen mit Rau.

Nikol Paschinjan dementierte die Behauptungen der aserbaidschanischen Seite, wonach Armenien nicht auf den Vorschlag Aserbaidschans aus fünf Punkten geantwortet hätte. 2Sie hat uns das Land übergeben, das Ko-Vorsitzender der Minsker OSZE-Gruppe ist. Wir haben die Antwort über die Länder übergeben, die in der Minsker OSZE-Gruppe den Ko-Vorsitz führen. Überdies haben wir öffentlich erklärt, dass es in den Vorschlägen von Aserbaidschan nichts Unannehmbares für uns gibt“. Somit sei Armenien nach Aussagen Paschinjans zum Beginn von Friedensverhandlungen mit Baku bereit.

Es sei daran erinnert, dass die Vorschläge eine gegenseitige Anerkennung der Souveränität, der territorialen Integrität, Unantastbarkeit ihrer internationalen Grenzen und eine gegenseitige politische Unabhängigkeit umfassen. Aber auch die beiderseitige Bestätigung des Nichtbestehens gegenseitiger territorialer Ansprüche der Staaten, den Verzicht auf eine Bedrohung der beiderseitigen Sicherheit in den zwischenstaatlichen Beziehungen, die Delimitation und Demarkation der Staatsgrenze sowie die Herstellung diplomatischer Beziehungen. Außerdem sind die Öffnung und der Bau von Transportwegen sowie die Anbahnung einer Zusammenarbeit in anderen Bereichen, die von gegenseitigem Interesse sind, vorgesehen.

Nikol Paschinjan äußerte sich Ende letzter Woche in der Nationalversammlung (dem Landesparlament) zu all diesen Punkten, wobei er betonte, dass „alles in ihnen gut ist. Es gibt nur keine Konkretheit in Bezug auf Bergkarabach“. Jerewan spreche nach seinen Worten im Kontext der armenisch-aserbaidschanischen Konfliktregelung auch vom Bergkarabach-Konflikt. „Im Begreifen darum, dass sich die Bergkarabach-Frage auf der internationalen Agenda befindet und immer mehr auftauchen wird, versucht Aserbaidschan, die Frage nicht zu klären, sondern ad acta zu legen. Darauf sind auch seine Handlungen in Paruch ausgerichtet (ein Dorf im Verantwortungsbereich der Friedenstruppen der Russischen Föderation, das aserbaidschanische Militärs gewaltsam unter ihre Kontrolle zu bringen versucht hatten – „NG“). Laut Aussagen des armenischen Regierungschefs besitze die Zuspitzung in Bergkarabach „die offensichtliche Tendenz zu einer Fortsetzung“. „Wenn wir uns irren, so mag Aserbaidschan konkretes Interesse an einer Erörterung der Rechte und Sicherheitsgarantien für die Armenier von Bergkarabach an den Tag legen. Dies ist eine Frage, die nicht nur Armenien aufwirft, sondern auch die gesamte internationale Staatengemeinschaft“, unterstrich Paschinjan.

Der armenische Premier berichtete den Abgeordneten gleichfalls über andere Problemfragen, beispielsweise über Pläne zur Aufhebung der Blockade von Transportwegen in der Region. Nach seinen Worten schlage Jerewan vor, die Bahnstrecke Jerasch-Dscholfa-Ordubad-Meghri-Horadiz zu rekonstruieren, die über Armeniens Territorium die westlichen Regionen Aserbaidschans mit der Autonomie Nachitschewan verbindet, oder eine neue Fernverkehrsstraße zu bauen, an der Grenz- und Zollkontrollposten funktionieren werden. Baku wendet nichts gegen solch eine Fragestellung ein, aber unter der Bedingung, dass genau solch ein Regime auch im Latschin-Korridor wirken soll, der Bergkarabach mit Armenien verbindet. Für die armenische Seite sei diese Variante nach Paschinjans Worten inakzeptabel, da Bergkarabach im Unterschied zu Nachitschewan, dass einen Landkorridor mit Aserbaidschan über den Iran und die Türkei und eine Flugverbindung über diese gleichen Länder besitzt, mit Armenien nur über den Latschin-Korridor verbunden sei. „Eine Kontrolle des Latschin-Korridors durch Aserbaidschan bedeutet eines: eine Vertreibung der Armenier aus Bergkarabach“, ist Paschinjan überzeugt. Er unterstrich, dass ein Vergleich des Latschin-Korridors mit der Straße, die über das Territorium von Armenien verlaufen werde, inakzeptabel sei.

Paschinjan betonte gleichfalls die Risiken beim Bau von Straßen. Daher halte er es für notwendig, zuerst ein Abkommen mit Baku zu unterzeichnen. Andernfalls könne es sich so ergeben, dass „Armenien eine Fernverkehrsstraße und eine Bahnlinie baut und Aserbaidschan sich weigert, die Grenze zu öffnen“. Da würden weder Armenien noch Aserbaidschan und dritte Länder die Infrastruktur nutzen können, die Investitionen von mehreren Hundert Millionen Dollar erfordere, erläuterte der armenische Kabinettschef.

Was aber die Demarkation der Grenze angeht, so hat Jerewan auch hier Beanstandungen gegenüber Baku. Diesem Prozess müssten Schritte vorausgehen, „die auf eine Erhöhung des Grades an Stabilität und Sicherheit an der Grenze abzielen“. Zum Beispiel müssten eine Berührungslinie und die Pflichten der Seiten, sie nicht zu überschreiten, fixiert werden. Oder es müssten im Bereich der Berührungslinie die Gefechtspositionen entfernt und eine demilitarisierte Zone geschaffen werden. Nach Aussagen Paschinjans seien jedoch diese Vorschläge nicht angenommen worden. Dies bedeute nach seiner Meinung, dass „Aserbaidschan die Spannungen an der Grenze bewahren wird“. Damit dies nicht geschieht, schlägt Jerewan vor, den Mechanismus eines internationalen Grenzmonitorings anzuwenden. „Für uns wird jegliche Variante eines Monitorings akzeptabel sein, die Aserbaidschan annimmt“, unterstrich Paschinjan.

Derweil ist die armenische Opposition über den Auftritt Paschinjans unzufrieden geblieben und verlangt, dass er der Nationalversammlung das vollständigere Paket von Vorschlägen, das durch Aserbaidschan an Armenien gesandt worden war, und die Antwort Jerewans vorstellt. Nach Aussagen des Vorsitzenden der Partei „Leuchtendes Armenien“ Edmon Manukjan hätte Paschinjan bei seinem Parlamentsauftritt nicht die präzisierenden Fragen beantwortet, beispielsweise über die Zukunft von Arzach (Bergkarabach) im Bestand Aserbaidschans. Nach seinen Aussagen würden die Herrschenden einer direkten Antwort auf diese Frage ausweichen. Und ihre Handlungen würden von etwas Anderem zeugen. „Wir werden nicht anfangen, an diesem Spiel teilzunehmen, an dieser Show. Wir brauchen klare Antworten, damit die Öffentlichkeit versteht, worüber die Verhandlungen erfolgen, was die Offiziellen wollen und wie sie sich die Zukunft von Arzach, die Zukunft von Armenien vorstellen“, erklärte Manukjan. Der Abgeordnete rief diejenigen auf, die dem Problem von Bergkarabach nicht gleichgültig gegenüberstehen würden, am 5. April zu einem Meeting in Jerewan zu kommen. Nach seinen Worten „ist ein Frieden um jeglichen Preis und zum Preis jeglicher Zugeständnisse für die Öffentlichkeit inakzeptabel“. Die Abgeordnete von der Parlamentsfraktion „Armenien“ Agnessa Chamojan ist der Meinung, dass dies keine einmalige Aktion werde, sondern ein langer Prozess, da das Ziel der Opposition sei, einen Machtwechsel in der Republik zu erreichen.