In Jerewan hat am 23. November ein Gipfeltreffen der Staatschefs der Mitgliedsländer der OVKS (der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit) stattgefunden. Parallel erfolgten Tagungen der Räte der Außen- und Verteidigungsminister sowie des Komitees der Sekretäre der Sicherheitsrate der Mitgliedsländer der von Russland dominierten Allianz. In Jerewan ist der Vorsitz in der OVKS von Armenien an Weißrussland übergegangen, und zum neuen Generalsekretär wurde der Vertreter Kasachstans, Imangali Tasmagambetow. Das Gipfeltreffen erfolgte vor einer erneuten militärischen Zuspitzung zwischen Aserbaidschan und Armenien. Die armenische Seite informierte über einen Beschuss ihrer Positionen. Folglich wurde die Entscheidung von Premier Nikol Paschinjan in den Abendstunden des vergangenen Mittwochs, den Deklarationsentwurf des Rates für kollektive Sicherheit der OVKS und den Entwurf über gemeinsame Maßnahmen zur Gewährung von Hilfe für Armenien nicht zu unterschreiben, eine herbe Überraschung für viele. Und Russlands staatliche Medien gerieten in eine Erklärungsnotstand, hatten sie doch vorab die Moskauer Anstrengungen für eine Konfliktregelung in der Region über allen Klee gepriesen.
Im Vorfeld des Summits der OVKS hatte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew erklärt, dass seitens dieses Blocks seinem Land nichts drohe, da Baku in der OVKS mehr Freunde als Jerewan hätte. Armenische spitze Zungen reagierten sofort darauf: Alijew sei ungenau. Armenien habe in der OVKS überhaupt keine Freunde.
Eine derartige Haltung ist erklärbar. Die OVKS hatte ständig einen Vorwand gefunden, um sich vom armenisch-aserbaidschanischen Konflikt zu verschiedenen Zeiten seiner Zuspitzung zu distanzieren. Beim vorletzten Gipfeltreffen der OVKS, der im Online-Regime erfolgte, hatte Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko Jerewan maximal klar „verklickert“: Keines der Mitglieder der Allianz beabsichtige, aufgrund Armeniens die Beziehungen mit Aserbaidschan zu verderben. Und Jerewan müsse sich mit Baku zu jedem beliebigen Preis über einen Frieden einigen, „andernfalls wird es noch schlimmer werden“.
Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan hatte kurz vor dem Summit der OVKS vom 23. November durchaus klar skizziert, was er von der OVKS im Konflikt mit Aserbaidschan erwarte. Nach seinen Worten müssten die Mitglieder Allianz den diplomatischen Druck auf Baku zwecks Räumung der armenischen Territorien, die von aserbaidschanischen Einheiten besetzt worden sind, verstärken. Wenn dies nicht gelinge, so müsse die OVKS nach Meinung Paschinjans eine Roadmap für die Gewährung von Hilfe für Armenien erstellen, bis hin zu einer gewaltsamen Variante zwecks Befreiung der armenischen Territorien.
Der Summit in Jerewan sollte Antworten auf die Fragen geben, die von der armenischen Seite aufgeworfen worden waren. Zur gleichen Zeit konnte die OVKS ein Licht auf den eigenen Zustand werfen. Schließlich verhält sich dieser von Moskau dominierte militärpolitische Block nicht nur zum armenisch-aserbaidschanischen Konflikt indifferent, sondern auch zum kirgisisch-tadschikischen und schon ganz zu schweigen vom russisch-ukrainischen.
Moskau hatte bereits angedeutet, dass es nichts gegen größere Aktivitäten seiner Partner aus der OVKS hat. Das einzige Mal hatte die Organisation lediglich bei den Januar-Ereignissen in Kasachstan Flagge gezeigt. Einheiten der OVKS hatten für einige Tage mehrere strategische Objekte während der von der Opposition ausgelösten Unruhen in diesem Land unter ihre Kontrolle gestellt.
Bis in den Abendstunden des 23. November hätten – schenkt man dem Generalsekretär der OVKS, Stanislaw Sas, Glauben – es die Beteiligten der Allianz insgesamt geschafft, Maßnahmen zur Gewährung von Hilfe für Armenien abzustimmen. Der Weißrusse begann jedoch nicht, über Details dieses abgestimmten Dokumentenentwurfs zu sprechen, der auf der Grundlage von Schlussfolgerungen und Vorschlägen einer Monitoring-Mission der OVKS vorbereitet worden war. Sas bestätigte nur, dass die Spannungen an der Grenzen Armeniens und Aserbaidschans andauern würden, womit er im Grunde genommen nichts Neues mitgeteilt hatte.
In Jerewan waren mehrfach Aufrufe laut geworden, die Organisation aufgrund ihrer Nutzlosigkeit zu verlassen. Mehrere Experten bezeichnen aber einen derartigen Schritt als einen fehlerhaften. Ein Ausstieg aus der Allianz werde zweifellos die Eigenliebe Russlands antasten, und dies könne nichtvoraussagbare Konsequenzen nach sich ziehen. Daher war eher eine andere Variante wahrscheinlich: Wenn die Erwartungen Jerewans nicht aufgehen, kann Armenien zwar in den Reihen der OVKS bleiben, aber eine absolut passive Position zu jeglichen Fragen einnehmen, die für das Land kein direktes Interesse darstellen. Und dabei kann Jerewan dies stets mit der schwierigen Lage im Grenzgebiet mit Aserbaidschan rechtfertigen.
Nikol Paschinjan teilte mit, dass das Amt des Generalsekretärs der OVKS entsprechend dem Rotationsprinzip an Kasachstan gehe, und ab dem kommenden Jahr werde es der frühere Premier Kasachstans, Imangali Tasmagambetow, für die Dauer von drei Jahren bekleiden. Der Politologe und Experte für den postsowjetischen Raum Arkadij Dubnow ist der Auffassung, dass in der gegenwärtigen Situation, einer absolut chaotischen und unvorhersehbaren, die Entscheidung, Tasmagambetow ins Amt des Generalsekretärs zu bringen, eine recht überraschende gewesen sei. „Sein politisches Gewicht ist weitaus größer als diese Position, eine recht technische und abhängige. Dennoch halte ich dies für einen ernsthaften Kompromiss, der die Organisation zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor einer Erosion und gar mehr – vor der Gefahr eines Auseinanderbrechens – bewahrt. Gerade solche Trends sind in Armenien aus verständlichen Gründen auszumachen, in Kasachstan und selbst in Kirgisien. Sowohl da als auch dort ist man begründet unzufrieden über die Impotenz der OVKS, über das nicht zu realisierende Funktional ihrer Tätigkeit, das angeblich im Statut dieser Struktur verankert wurde“, sagte Dubnow der „NG“.
Der Experte erläuterte, dass der Kompromiss darin bestehe, dass einer der Toppolitiker Kasachstans das Amt des Generalsekretärs der OVKS übernehmen wird, der vor kurzem noch zu den Anwärtern auf das Präsidentenamt gehörte sowie nicht nur in Kasachstan Ansehen genoss, sondern auch Loyalität in Russland verspürte. „Erstens ist dies ein Kompromiss zwischen Russland und Kasachstan, der die Verbindung zwischen Moskau und Astana verstärkt. Dieser Kompromiss wird gleichfalls Armenien beeinflussen, das den Vorsitz in der OVKS in einem äußerst frustrierten Zustand abgibt, worüber Paschinjan bei der Tagung gesprochen hatte. Daher wird die Ernennung von Tasmagambetow die Allianz stärken. Besonders unter den Bedingungen des Vorsitzes von Weißrussland. Das Ziel des weißrussischen Vorsitzes ist es, die OVKS zu veranlassen, zu einem Verbündeten von Minsk in dessen Konfrontation mit dem Westen zu werden. Daher ist dies eine wichtige Entscheidung. Und die Jerewan-Reise des russischen Präsidenten Wladimir Putin wird in einem gewissen Sinne diesen Kompromiss „heiligen“, der der die Allianz vor einem Zerfall bewahren wird. Bei weitem nicht bei jedem Summit der Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit war der russische Präsident persönlich zugegen“, unterstrich Dubnow.
Post Scriptum
Dennoch bleibt ein unangenehmer Beigeschmack nach dem Jerewaner Gipfel zurück. Vor allem für Moskau, da Armeniens Premier Nikol Paschinjan aus seiner Enttäuschung über die vorbereiteten Dokumente keinen Hehl machte. Er hatte daraufgesetzt, dass die Partner in der Allianz einen schärferen Ton gegen Baku anschlagen werden. Herausgekommen sind aber die sattsam bekannten unverbindlichen Erklärungen, so dass Paschinjan sich dessen sicher sein kann, dass der Druck auf ihn im Land nicht nachlassen wird.