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Patriarch Bartholomeos I. verstärkt den Druck auf die Westgrenzen der Russischen orthodoxen Kirche


Der Ökumenische Patriarch Bartholomeos I. (von Konstantinopel) ist nach Tallinn gekommen, um den 100. Jahrestag der Eigenständigkeit der estnischen orthodoxen Kirche zu feiern. Der zweideutige Charakter der Situation bestand aber darin, dass die russische Kirche der estnischen Orthodoxie die Autokephalie gewährt hatte. Aber um dieses Erbe konkurrieren derzeit die Estnische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats und die Estnische apostolische orthodoxe Kirche, die durch Konstantinopel 1996 etabliert worden war.

Am Mittwoch, dem 13. September feierte Patriarch Bartholomeos I. eine festliche Liturgie in der Kirche des Heiligen Simeon und der Prophetin Hanna in Tallinn (auch: Simeon-und-Anna-Kathedrale), die dem 100. Jahrestag der Autonomie der estnischen Kirche gewidmet war. Zuvor hatte er sich mit Estlands Präsident Alar Karis, der Premierministerin des Landes, Kaja Kallas, aber auch mit Lauri Hussar, dem Vorsitzenden des Riigikogu (des Parlaments Estlands) unterhalten. Wie in einer offiziellen Pressemitteilung ausgewiesen wurde, hatte bei allen Begegnungen den Ökumenischen Patriarchen der Metropolit von Tallinn und Ganz Estland Stephanos (Charalambides) begleitet. Estnische Medien unterstreichen, dass während des Gesprächs mit Karis Bartholomeos I. „die Rolle und das Wirken der orthodoxen Kirche in der estnischen Gesellschaft erörterten“.

Auf der Seite der Estnischen Apostolischen Orthodoxen Kirche ist erklärt worden, dass der Besuch des Vertreters aus Konstantinopel in den ersten drei Tagen (bis zum 15. September) einen staatlichen Charakter trage und er eine Reihe von Treffen mit Politikern des Landes durchführen werde. Und danach, also ab Samstag, dem 16. September wird die Reise zu einer „pastoralen“. Und bis zum 20. September wird Bartholomeos I. eine Reihe estnischer Städte besuchen.

Die Estnische Apostolische Orthodoxe Kirche war 1996 nach der Spaltung mit der Estnischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats entstanden. Letztere hatte bereits 1920 von Moskau das Recht auf eine Selbstverwaltung erhalten. Konstantinopel hatte dies jedoch damals nicht anerkannt. Die eigene Autokephalie gewährte sie erst im Juli 1923 der zu jener Zeit noch einheitlichen orthodoxen Kirche Estlands. Seit Ende der 1990er bestehen aufgrund der Spaltung im Land zwei orthodoxe Jurisdiktionen. Und die zwei Patriarchate – das Moskauer und das von Konstantinopel – hatten damals sogar für einige Monate die eucharistischen Kontakte abgebrochen. Nachdem Bartholomeos I. im Jahr 2018 einen Tomos über die Bildung der Orthodoxen Kirche der Ukraine unterzeichnet hatte, brach die Russisch-orthodoxe Kirche erneut die Kontakte mit der Kirche von Konstantinopel ab und begann, ihr eine Spaltung vorzuwerfen, wobei sie auch an die estnische Geschichte erinnerte.

Seit Februar letzten Jahres (aufgrund der sogenannten militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine – Anmerkung der Redaktion) beschlossen die Regierungen der Länder des Baltikums, sich so weit wie möglich von Russland zu distanzieren, und forderten von den Oberhäuptern der orthodoxen Kirche, die zur Russisch-orthodoxen Kirche gehören, sich aus dem Unterstellungsverhältnis in Bezug auf das Moskauer Patriarchat zu lösen. Im Herbst vergangenen Jahres drohte Estlands Innenminister Lauri Läänemets dem Oberhaupt der Estnischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, Metropolit Eugeni (Reschetnikow), an, die Aufenthaltserlaubnis zu entziehen und ihn aus dem Land auszuweisen, wenn er nicht die Haltung von Patriarch Kirill in Bezug auf die Handlungen der Russischen Föderation in der Ukraine verurteilt. Reschetnikow hat dies getan. Und im Juni dieses Jahres hat Tallinn dem Oberhaupt der Russisch-orthodoxen Kirche eine Einreise ins Land verboten. Metropolit Eugeni war auch nicht auf der Bischofsversammlung, die im letzten Juli im Dreifaltigkeitskloster des Heiligen Sergius vor den Toren Moskaus stattfand.

Der Patriarch von Konstantinopel war bereits im Juni dieses Jahres in Tallinn, im Rahmen der Arbeit der Vollversammlung der europäischen Kirche, bei der er mit einer antirussischen Rede aufgetreten war.

Im März hatte Patriarch Bartholomeos I. ebenfalls eine der drei baltischen Republiken – Litauen – besucht. Nach der Begegnung mit der Regierungschefin des Landes, Ingrida Šimonytė, signalisierte er die Notwendigkeit der Schaffung eines Exarchats unter der Leitung des Ökumenischen Patriarchats dort. Kurz zuvor hatte er fünf Geistlichen, die aufgrund des Ukraine-Konflikts die Litauische orthodoxe des Moskauer Patriarchats verlassen und in die Jurisdiktion von Konstantinopel übertreten wollten, die Priesterweihe gewährt. Patriarch Kirill wurde im Sommer des letzten Jahres zu einer Persona non grata im Land. Und der Metropolit von Wilna und Litauen Innokentij (Wassiljew) hatte bereits im Frühjahr des Jahres 2022 die Russisch-orthodoxe Kirche um die Gewährung des Status einer selbstverwalteten für die orthodoxe Kirche in Litauen erbeten. Gegenwärtig wird im Landesparlament eine Gesetzesvorlage „über das Verbot religiöser Gemeinschaften und Vereinigungen zwecks Gewährleistung der Sicherheit, öffentlichen Ordnung oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer Personen“ zur Behandlung vorbereitet.

Es kann angenommen werden, dass Bartholomeos I. auch nach Lettland reisen wird. Die Saeima (das Parlament) dieses Landes hatte im vergangenen September die von Präsident Egils Levits vorbereiteten Änderungen am Gesetz über die Lettische orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats mit einer Stimmenmehrheit bestätigt. Ihnen entsprechend war sie zu einer autokephalen erklärt. In der nationalen Kirche hatte man sich dieser Entscheidung nicht widersetzt und wandte sich am 20. Oktober an die Russisch-orthodoxe Kirche mit der Bitte um die Gewährung einer vollständigen Unabhängigkeit. Seitdem sind die Beziehungen zwischen der Lettischen orthodoxen Kirche und der Russisch-orthodoxen Kirche zu angespannten worden. Der Synod der Russisch-orthodoxen Kirche verurteilte am 24. August dieses Jahres die Handlungen des Oberhaupts der Lettischen orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, Alexander (Kudrjaschow), der eigenmächtig einen der Erzpriester zum Bischof geweiht und auch erlaubt hatte, den Namen von Patriarch Kirill bei Gottesdiensten in den Kirchen des Landes nicht zu erwähnen. In der Republik wirkt gleichfalls die Lettische orthodoxe autonome Kirche, die sich zur Jurisdiktion des Patriarchats von Konstantinopel rechnet, bisher aber von ihm offiziell nicht anerkannt worden ist.