Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Patriarch Kirill hat der Armee die Verantwortung für das Schicksal des russischen Volkes übertragen


Patriarch Kirill hat in der Hauptkirche der Streitkräfte der Russischen Föderation einen Sonntagsgottesdienst zelebriert und eine Predigt gehalten. Das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche rief die Militärangehörigen auf, die Treue zum Fahneneid zu wahren und – egal, was passiert — ihr Vaterland zu verteidigen. Der Hierarch erklärte, dass in diesen Tagen über das historische Schicksal des russischen Volkes entschieden werde. Die Haltung der Russischen orthodoxen Kirche driftet immer mehr vom christlichen pazifistischen Mainstream im Westen ab.

Das Hauptgotteshaus der russischen Armee, in der es freilich auch Vertreter anderer Religionen gibt und die keine solche zentrale Kultstätte haben, ist in dem vor Moskaus Toren gelegenen Vorort Kubinka zu Ehren der Auferstehung von Jesu Christi geweiht worden. Jedoch ist nicht nur damit die Auswahl des Ortes für das Patriarchen-Gebet zu erklären. Das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche erklärte seinen Aufenthalt gerade in dieser Kathedrale mit der bewussten Absicht, sich an die Militärangehörigen zu wenden. Seine Predigt war im Geiste der vorangegangenen Auftritte, die der Situation in der Ukraine gewidmet waren, gehalten. Nach Meinung des Patriarchen würden gewisse mächtige Kräfte die Brudervölker gegeneinander aufzuhetzen. Und zwischen Russland und dem Westen erfolge ein „metaphysischer Krieg“, wie er dies früher bezeichnet hatte. Wobei dieses Mal der mobilisierende Appell noch deutlicher erklang.

„Der Dienst in den Streitkräften ist eine wahre Heldentat“, erklärte das 75jährige Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche. „Er verlangt von jedem, der den Fahneneid abgelegt hat, die Bereitschaft, die Heimat zu verteidigen, ohne sein Leben zu schonen. Daher ist heute unser Gebet ein besonderes, eins über die Streitkräfte, über unsere Krieger, mit denen die Hoffnung auf Sicherheit, auf Freiheit und auf eine wahre Unabhängigkeit unseres Landes verbunden ist“. „Die meisten Länder der Welt befinden sich unter dem kolossalen Einfluss einer Kraft, die heute leider zu einer Kraft geworden ist, die unserem Volk entgegensteht“, erläuterte er. „Da dies dort eine große Kraft ist, müssen auch wir sehr starke sein. Wenn ich sage „wir“, so meine ich in erster Linie die Streitkräfte. Aber nicht nur. Unser ganzes Volk muss sozusagen erwachen, sich zusammenreißen und begreifen, dass eine besondere Zeit begonnen hat, von der das historische Schicksal unseres Volkes abhängen kann“.

Dabei bezeichnete der Patriarch Russland als ein friedliebendes Land. „Ich höre nicht auf, Sorge um all jene Menschen zu empfinden, die an jenen Orten leben, wo sich militärische Zusammenstöße ereignen. Denn dies sind alles Menschen und Völker der Heiligen Rus. All dies sind unsere Brüder und Schwestern. Wie auch im Mittelalter und mit dem Wunsche, die Rus zu schwächen, haben unterschiedliche Kräfte die Brüder aufeinander losgehen und in eine brudermordende Schlacht versinken lassen, so dass man auch heute alles tun muss, was getan werden kann, um das Blutvergießen zu beenden und damit es keine Gefahr für eine brudermordende Schlacht gibt“, sagte gleichfalls das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche. „Aber dabei müssen wir treu sein – wenn ich „wir“ sage, meine ich in erster Linie die Militärangehörigen – treu unserem Eid sein“, rief er abschließend auf.

Die Predigt des Moskauer Patriarchen erklang vor dem Hintergrund der Zunahme der Spannungen in den internationalen und zwischenkirchlichen Beziehungen. Immer größere Bedeutung hat die moralisch-ethische Bewertung des Geschehens in der Ukraine. Dabei gerät die Haltung von Patriarch Kirill, der zu einer Stärkung des Geistes der Streitkräfte der Russischen Föderation aufruft, in einen Widerspruch zur Meinung der bedeutsamsten Figuren im internationalen Christentum.

Beispielsweise geht Papst Franziskus in seinen Predigten allmählich von akkuraten Formulierungen und den Versuchen, zwischen den verfeindeten Seiten zu manövrieren, ab. Am 2. April tauchten Informationen auf, dass der Pontifex einen Besuch von Kiew nicht ausschließe. Der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba bestätigte, dass eine Vorbereitung für solch einen Besuch schon lange erfolge. Am Samstag hatte sich Papst Franziskus während seines Malta-Besuchs recht scharf über das Geschehen zwischen den beiden christlichen Völkern ausgesprochen. „Aus dem unmittelbaren Ostens Europas, aus dem Osten, wo erstmals das Licht erschien, ist die Finsternis eines Krieges heraufgezogen“, zitiert die offizielle Internetseite des Vatikans die Worte des Pontifex. „Wir hatten gedacht, dass Überfälle aus anderen Ländern, brutale Straßenschlachten und atomare Bedrohungen lediglich düstere Erinnerungen aus der fern zurückliegenden Vergangenheit sind. Aber der eisige Wind eines Krieges (Russlands Aufsichtsbehörde für die Medien und das Internet hält solch eine Bezeichnung für den Konflikt in der Ukraine für eine falsche Information und schreibt den Medien vor, das Geschehen in der Ukraine als „militärische Sonderoperation“ zu bezeichnen – „NG“), der nur Tod, Zerstörung und Hass bringt, ist über das Leben vieler hinweggefegt und hat alle berührt. Und während wieder einmal „einige wenige Mächtige, die leider in den anachronistischen Forderungen nationalistischer Interessen gefangen sind, Konflikte provozieren und schüren, spüren die einfachen Menschen die Notwendigkeit, eine Zukunft zu gestalten, die entweder eine gemeinsame oder überhaupt keine sein wird“.