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Patriotismus und Krieg in der Ukraine


Am Sonntag, dem 25. Dezember wurde die letzte Ausgabe der Sendung „Moskau. Kreml. Putin“ im russischen Staatsfernsehen „Rossia 1“, eine Art sanktionierte Nabelschau des Kremls, ausgestrahlt. Ein Interview von Präsident Wladimir Putin stand dabei im Mittelpunkt. Es enthielt zahlreiche bemerkenswerte Aussagen. Eine aber beeindruckte und löst Zweifel aus: „99,9 Prozent unserer Bürger, unserer Menschen sind bereit, alles im Interesse der Heimat herzugeben. …Aus der Sicht dessen, dass sich irgendwer nicht so wie wahre Patrioten verhalten hat, gibt es nichts Erstaunliches. Denn in jeder Gesellschaft gibt es immer Menschen, die vor allem an ihre persönlichen Interessen, an irgendwelche persönlichen Pläne denken. Ehrlich gesagt verurteile ich sie auch nicht besonders. Jeder Mensch hat ein Recht auszuwählen“, erklärte Putin in dem gesendeten Interview, wobei nicht zu übersehen war, wen er meinte – die hunderttausenden Bürger Russlands, die aufgrund der militärischen Sonderoperation Moskaus in der Ukraine und der Teilmobilmachung vom Herbst dieses Jahres das Land verlassen haben. Aber auch die Gegner der Sonderoperation, die im Land geblieben sind. Freilich sind dies aber auch Patrioten, die aber nicht Heimat und Staat gleichsetzen, vor allem den russischen Staat unter Präsident Putin.

An der Stelle sei angemerkt, dass das Allrussische Meinungsforschungszentrum VTsIOM – eine führende staatliche Einrichtung auf dem Gebiet soziologischer Untersuchungen – regelmäßig Umfragen zum Thema der militärischen Sonderoperation durchführt (auch die als eine kremlnahe geltende Stiftung „Öffentliche Meinung“). Laut letzten veröffentlichten VTsIOM-Angaben, die Anfang September vorgelegt wurden, unterstützten diese Operation im August 70 Prozent der Befragten. Das entsprach auch generell im Verlauf von sechs Monaten den gewonnenen Daten, wobei die Zahlen zwischen 70 und 73 Prozent schwankten. Es gab Versuche auch seitens nichtstaatlicher Organisationen solche Umfrage zu organisieren. Dies gilt beispielsweise für „Russian Field“ oder das Levada-Zentrum, das in Russland als ein „ausländischer Agent“ gelabelt wurde (es hatte für ausländische Auftraggeber soziologische Erhebungen durchgeführt, die jedoch bereits Geschichte sind). Im März 2022 ermittelte das Zentrum, dass 81 Prozent der Befragten die am 24. Februar begonnene Sonderoperation unterstützen würden. Jedoch ist dieser Wert inzwischen zurückgegangen, informierten die Soziologen des Levada-Zentrums, und ähnelt den VTsIOM-Angaben. „Russian Field“ informierte in der ersten Dezemberdekade, dass 45 Prozent der Befragten für eine Fortsetzung der Operation und 44 Prozent für Friedensgespräche seien, wobei 70 Prozent die Entscheidung Putins, schon morgen ein Friedensabkommen zu unterschreiben, begrüßen und unterstützen würden (https://russianfield.com/yubiley).

Jedoch sind die rund 30 Prozent ermittelten Gegner der Sonderoperation lt. VTsIOM ein hoher Wert. Die halten sich aber mit Sicherheit mehrheitlich auch für Patrioten Russlands, so dass sie Putin mit in sein Statement im Interview für „Rossia 1“ einbeziehen konnte. Freilich, wie bereits oben erklärt, machen die Putin-Gegner einen deutlichen Unterschied zwischen der Heimat und dem russischen Staat, was persönliche Gespräche und Interviews, die beispielsweise ausländische Journalisten in Russland und im Ausland führten, stets deutlich machen. Sind sie, diese 30 Prozent also wirklich Patrioten?

Um diese Frage zu beantworten, muss man die blutige russische Geschichte gut kennen. Im Bürgerkrieg von 1918-1922 hatten Russen erbittert gegeneinander gekämpft. Und beide Seiten bezeichneten sich als Patrioten. In diesem Sinne hat Putin also recht: Die Russen sind in der Masse Patrioten, obwohl sich heute 30 Prozent von ihnen das Schicksal Russlands anders vorstellen als diejenige, die heute im Kreml regieren. Und dort hat man halt auch seine eigenen Vorstellungen von Patriotismus.