Hinsichtlich der militärischen Sonderoperation der Streitkräfte der Russischen Föderation in der Ukraine bewahrt China einerseits eine „wohlwollende Neutralität“ in Bezug auf Russland. Andererseits gibt China den USA zu verstehen, dass es für Russland keinen Sinn mache, mit irgendeinem offiziellen Zusammenwirken mit ihm hinsichtlich der Fragen nach den Sanktionen sowie einer militärischen und politischen Unterstützung für die militärische Sonderoperation in der Ukraine zu rechnen.
Einerseits vermeidet die chinesische Führung Kritik an Russland und schließt sich nicht den antirussischen Sanktionen an. Andererseits können sich chinesische Unternehmen den Sanktionen im Interesse eines Schutzes ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen im Westen anschließen. Die Führung der Volksrepublik China untersagt dies ihnen nicht.
Wie dem auch sei, die Politik des Westens veranlasst heute objektiv China zu einer Annäherung mit Russland. Das Weiße Haus behauptet, dass es angeblich Anzeichen für die Gewährung von Unterstützung für die Streitkräfte der Russischen Föderation durch die Volksbefreiungsarmee Chinas „auf direkte und indirekte Art und Weise“ sehe. Die USA haben der Armee Chinas mehrfach eine Unterstützung für Russland mittels Militärtechnik vorgeworfen. Allerdings geht es vorerst nicht einmal um Lieferungen, sondern um die Möglichkeit der Russen, aus dem Land der Mitte eine Lieferung von chinesischen Drohnen des Typs DJI „bis nach Hause“ zu bestellen.
SOZIOLOGISCHE ANGABEN
Chinas Haltung zur Frage nach der militärischen Sonderoperation in der Ukraine ist offensichtlich nicht nur für Russlands Bürger interessant. Politische Erklärungen werden eine nach der anderen abgegeben, aber zu wissen, was denn eigentlich die gewöhnlichen Chinesen denken, stört in keiner Weise.
Der Objektivität halber wenden wir uns nicht an interessierte Quellen, sondern an durchaus „feindselige“. Beispielsweise an die Internetseite US-China Perception Monitor, die vom Carter Center (eine US-amerikanische nichtkommerzielle Nichtregierungsorganisation, die vom früheren US-Präsidenten Jimmy Carter gegründet und nach ihm benannt wurde) gemanagt wird.
Eine entsprechende Online-Befragung wurde vom 28. März bis einschließlich 5. April durchgeführt. An ihr nahmen fast 5.000 Chinesen teil. Die Ergebnisse sind mehr als interessante. Die meisten Chinesen unterstützten damals die von Moskau begonnene militärische Sonderoperation. Hinsichtlich der These, dass „eine Unterstützung für Russland im Konflikt in der Ukraine den nationalen Interessen Chinas entspricht“, verteilten sich die Stimmen auf folgende Art und Weise: „absolut einverstanden“ – 35 Prozent, „einverstanden“ – 40 Prozent. Die Nichteinverstandenen und absolut Nichteinverstandenen machten offenkundig weniger aus – 14 Prozent bzw. 10 Prozent.
Die Ursachen für solch eine Unterstützung sind offensichtlich. Unter anderem beunruhigen die Erklärungen des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation über die Feststellung von Bio-Labors in der Ukraine die chinesischen Kameraden sehr. Es gibt aber auch eine Reihe anderer Ursachen: die „Taiwan-Frage“, aber auch der Umstand, dass die Volksrepublik China und die Russische Föderation als hauptsächliche potenzielle Gegner in den strategischen Dokumenten der USA ausgewiesen werden.
Die Frage läuft darauf hinaus, wie und auf was für einer Ebene man Russland unterstützen kann und soll. Nach Meinung von 61 Prozent der chinesischen Befragten sei eine moralische Unterstützung mehr als ausreichend. Dafür waren 16 Prozent von ihnen zum Zeitpunkt der Befragung bereits bereit, Güterzüge mit Militärtechnik für die russische Armee zu beladen.
ANSICHTEN VON MILITÄRANALYTIKERN
Chinesische Militär-Analytiker ziehen weiterhin Lehren aus der militärischen Sonderoperation in der Ukraine angesichts der Schaffung eines Systems zur strategischen Zügelung für die kommenden fünf Jahre, das im Bericht des Staatsoberhauptes der Volksrepublik China, Xi Jinping, auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas angekündigt wurde. Nach Meinung chinesischer Militärexperten sei das Zügeln die Fähigkeit des Landes, militärische Stärke zu nutzen, um Offensivhandlungen des Gegners zu verhindern.
Nach Aussagen des Experten des Analytischen Zentrums für Militärwissenschaft und -technik „Yuan Wang“ (Peking) Zhou Chenmin hätte die Zügeln mit Hilfe konventioneller Waffen deren Schwäche bei den Gefechtshandlungen in der Ukraine offenbart. Nicht eine einzige Seite des Konfliktes hätte es vermocht, unter Einsatz von Flugzeugen und Panzer die andere Seite zu vernichten.
Nach Meinung des Militärkommentators und einstigen Instrukteurs der Raketentruppen der Volksbefreiungsarmee Chinas Sun Chghunpin hätten es selbst die Streitkräfte der USA nicht vermochte, mit den Taliban in Afghanistan mittels konventioneller Waffen fertig zu werden. Dabei halte die mächtige nukleare Triade Russlands die USA und die NATO vor einer direkten Konfrontation mit den russischen Streitkräften ab. In erheblichem Maße seien die nuklearen Kräfte ein effektives Mittel zur Verhinderung einer Eskalierung des Krieges. Der Experte zieht die Schlussfolgerung, dass China seine nukleare Triade modernisieren müsse – nicht nur, indem es die Anzahl der nuklearen Gefechtsköpfe erhöht, sondern auch die Charakteristika der Trägerraketen verbessert.
Unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine wird in China die Entwicklung der interkontinentalen ballistischen Raketen der Serie „Dongfeng“ (deutsch: „Ostwind“), der luftgestützten Flügelraketen und der ballistischen Raketen für U-Boote fortsetzen. Daneben wird als Trägermittel für Kernwaffen der sich in der Entwicklung befindliche strategische Bomber Xian H-20 eingesetzt werden. Seine Aufgaben erfüllt heute der modernisierte Bomber Xian-6N.
DER FALL „MOTOR SITSCH“
Chinesische Militärexperten stellen im Zusammenhang mit der teilweisen Zerstörung der Saporoschjer „Motor Sitsch“ AG durch Russland die berechtigte Frage „Was tun?“.
Die Sache ist, dass dieser ukrainische Rüstungsbetrieb im Jahr 2021 einen Vertrag über die Lieferung von 400 Zwei-Konturen-Düsentriebwerken des Typs AI-322 an China im Gesamtwert von rund 800 Millionen Dollar unterzeichnet hatte (zusätzlich zum Vertrag von 2011 über 250 AI-222K-25-Triebwerke), die für die chinesischen Gefechtsausbildungsflugzeuge der L-15- (JL-10-) Serie verwendet werden.
Objektiv bleiben den Chinesen zwei Varianten – entweder die Triebwerke beim russischen Hersteller – der AG „Wissenschaftliches Produktionszentrum für Gasturbinenbau „Salut““ – zu erwerben oder Triebwerke aus eigener Produktion zu installieren. Das chinesische analoge Triebwerk befinde sich aber, wie selbst chinesische Militärspezialisten schreiben, noch im Entwicklungsstadium.
Der Vertrag über den Erwerb von 56 Prozent der Aktien des Saporoschjer Unternehmens „Motor Sitsch“, das sich auf die Fertigung von Flugzeugtriebwerke spezialisierte, war 2019 durch das chinesische Unternehmen „Skyrizon“ nach mehreren Jahren schwieriger Verhandlungen abgeschlossen worden. Jedoch hatte bereits im August des Jahres 2020 die Staatsanwaltschaft der Ukraine die Aktien des Unternehmens beschlagnahmt. Somit war der langfristige Plan für eine Zusammenarbeit zum Platzen gebracht worden, der die Organisierung einer Serienproduktion von Triebwerken aus einer ukrainischen Entwicklung in chinesischen Betrieben vorgesehen hatte.
Derweil hatte man zu diesem Zeitpunkt in Chongqing (Provinz Szechuan) bereits begonnen, ein Werk für die Herstellung und Wartung ukrainischer Triebwerke zu errichten. 100 Millionen Dollar hatten die Chinesen in die Modernisierung der Produktionskapazitäten von „Motor Sitsch“ unmittelbar in der Ukraine investiert. Und weitere 150 Millionen Dollar sollten laut Plan für die Schaffung eines Zentrums perspektivreicher Entwicklungen und für eine Versuchsproduktion in ihm eingesetzt werden. Die Chinesen forderten vor dem Internationalen Schiedsgericht in Den Haag von der Ukraine eine Wiedergutmachung im Umfang von 4,5 Milliarden Dollar aufgrund der Verletzung des Investitionsabkommens zwischen beiden Ländern.
Weder in Kiew noch in Peking ist es für keinen ein Geheimnis, dass hinter der Entscheidung der Staatsanwaltschaft der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij stand. Später hatte er auch ganz und gar die Aktien von „Motor Sitsch“ nationalisiert. Aber nicht zum Schutze der nationalen Interessen, sondern unter einem überaus starken Druck der US-amerikanischen Kuratoren.
Schon 2019 hatte der damalige nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, mehrere Treffen in Kiew durchgeführt, in deren Verlauf auch das Schicksal von „Motor Sitsch“ diskutiert wurde. Angedeutet wurden die Androhungen, die militärische Hilfe zu stoppen.
Zwecks Demonstrierung der Ernsthaftigkeit der Absichten wurde eine Tranche an Militärhilfe über 380 Millionen Dollar auf Eis gelegt. Außerdem hatte das US State Department die Erteilung von Lizenzen für die Lieferungen von Waffen und Munition, für die Kiew bereits 30 Millionen Dollar gezahlt hatte, verzögert.
MILITÄRTECHNISCHE ZUSAMMENARBEIT RUSSLANDS UND DER VOLKSREPUBLIK CHINA
Ungeachtet der Durchführung der militärischen Sonderoperation in der Ukraine hat Russland rechtzeitig seinen Bericht für das Jahr 2021 an das Register der UNO für konventionelle Waffen übergeben. In diesem deklarierte die Russische Föderation offiziell die Lieferung von Waffen an die Volksrepublik China im vergangenen Jahr, die durch das Register erfasst werden.
Unter anderem ist im Abschnitt Nr. 7 „Raketen und Raketenanlagen“ die Lieferung von 242 Erzeugnis-Einheiten militärischer Zweckbestimmung ausgewiesen worden (wahrscheinlich Raketen für Su-35-Jagdflugzeuge). Unsererseits sei ausgewiesen, dass die russischen Berichte für das UNO-Register immer mehr an einer Unvollständigkeit leiden und ein erheblicher Teil von Lieferungen nicht in sie aufgenommen werden.
Zu 100 Prozent bekannt ist, dass die Luft- und Kosmos-Streitkräfte Russlands für die Gewährleistung der Luftherrschaft im Bereich der militärischen Sonderoperation erfolgreich Mehrzweck-Kampfflugzeuge vom Typ Su-35S und MiG-31BM einsetzen. Laut Informationen, die bei den täglichen Briefings des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation bekanntgegeben werden, hätten die Besatzungen dieser Maschinen mittels Raketen großer und mittlerer Reichweite zumindest mehrere Flugzeuge der ukrainischen Luftstreitkräfte vernichtet.
Derartige Fakten erhöhen das Interesse für die einheimische Flug- und Raketentechnik seitens der Partnerländer Russlands im Rahmen einer militärtechnischen Zusammenarbeit. Einzelne chinesische Massenmedien sprechen sich zugunsten des Erwerbs einer zusätzlichen Partie russischer Waffen, darunter von Abfangjägern, die im Bedarfsfall eine zuverlässige Luftraum-Blockade Taiwans sichern könnten, aus.
Diese Appelle erklingen vor dem Hintergrund der chinesischen Manöver auf See und im Luftraum rund um die Insel Taiwan – mit dem Akzent auf eine Organisierung von Aktionen gegen Schiffe und von Marine-Infanterie-Operationen. Aber auch mit Erklärungen der chinesischen Führung, dass China hoffe, Taiwan auf friedlichem Wege anzugliedern. Man werde aber niemals auf das Recht der Anwendung militärischer Gewalt verzichten.
Das Interesse für die Su-35S-Jets wird durch die Informationen über eine Nachrüstung der Flugzeuge der russischen Luftstreitkräfte mit modernsten Vernichtungsmitteln erhöht. Die Aufmerksamkeit chinesischer Journalisten hatte unter anderem ein Video des russischen Verteidigungsministeriums ausgelöst, das dem 100. Jahrestag des Bestehens des 929. Staatlichen Tschkalow-Flugtestzentrums gewidmet war. Auf einem der Bilder war der Start einer R-37M-Rakete durch ein Su-35S-Flugzeug festgehalten worden.
Die Auffüllung der Arsenale früher von Russland erworbener Su-35S-Jets durch neueste Luft-Luft-Raketen großer Reichweite wird den Luftstreitkräften der Volksbefreiungsarmee Chinas erlauben, im Falle des Aufkommens der Notwendigkeit eine Luftraum-Blockade der Insel Taiwan zu organisieren, um die Lieferung westlicher Waffen und eine Versorgung der Separatisten (gemäß dem offiziellen Sprachgebrauch in Peking) zu unterbinden.
SCHLUSSFOLGERUNGEN UND VERALLGEMEINERUNGEN
In der internationalen Arena dauert die Konfrontation Chinas einerseits sowie der USA und der Länder des Westens andererseits an. Dies äußerst sich sowohl in der Rhetorik der offiziellen Vertreter der Länder als auch im Abschluss von Verträgen über Waffen- und Techniklieferungen seitens der USA an dritte Länder.
So hat sich erneut die Situation um Taiwan zugespitzt, nachdem die USA einen Vertrag über Waffenlieferungen an die taiwanesische Seite im Umfang von einer Milliarde Dollar unterzeichneten. Auf dem europäischen Track nimmt die Spannung zwischen China und den Ländern der Europäischen Union (eine Reihe von antichinesischen Erklärungen Litauens, die Ausarbeitung eines Programms durch Großbritannien für den Erhalt von Visa durch Einwohner Hongkongs, diplomatische Erklärungen aus London um die Beisetzung von Queen Elizabeth, die aggressive Rhetorik des bundesdeutschen Auswärtigen Amtes, die Kanzler Olaf Scholz persönlich im Verlauf seines kürzlichen Peking-Besuchs abschwächen musste, usw.) zu.
Was die Ukraine-Frage angeht, so vertritt China in den offiziellen Erklärungen eine neutrale Position und spricht von einer Achtung der Souveränität und Bewahrung der territorialen Integrität der Staaten, von einer allumfassenden Sicherheit und der Lösung von Konflikten auf dem Verhandlungsweg. Dabei lassen die chinesischen offiziellen Persönlichkeiten nicht die Möglichkeit aus, in den sozialen Netzwerken von einer „wahren Bedrohung“ in Gestalt der USA zu sprechen.
Unter Berücksichtigung der Herangehensweisen der chinesischen Militärs kann man in der nächsten Zukunft durchaus Korrekturen in den Ausbildungsplänen für die Führung von Kampfhandlungen der Volksbefreiungsarmee Chinas unter Berücksichtigung der Erfahrungen der militärischen Sonderoperation der Streitkräfte der Russischen Föderation auf dem Territorium der Ukraine erwarten.