Der Westen hat den Grad der Konfrontation mit der Russischen Föderation zu verringern und unserem Land Sicherheitsgarantien zu gewähren. Solange dies nicht getan werde, beabsichtigt Russland, mit den USA, der EU und der NATO in der Sprache der sogenannten „roten Linien“ zu sprechen, wobei es die Tür für einen Dialog nicht zuschlagen lässt. Solch eine Schlussfolgerung hinsichtlich der Ausrichtung der russischen Außenpolitik kann man aus dem Auftritt von Wladimir Putin bei der erweiterten Tagung des Kollegiums des russischen Außenministeriums ziehen.
Öffentliche, vor Fernsehkameras erfolgende Anweisungen gibt der russische Präsident nicht oft den Diplomaten des Landes. Das letzte Mal traf sich Putin mit den Führungskräften des zentralen Apparats und der wichtigsten ausländischen Einrichtungen des Außenministeriums im Sommer 2018. Seitdem hat sich sowohl die Zusammensetzung des Kollegiums des Außenministeriums als auch die Situation in der Welt verändert. Die Hauptlinie der Außenpolitik der Russischen Föderation ist jedoch die bisherige geblieben – die Abwehr einer Erweiterung des Einflusses des Westens bei gleichzeitigen Versuchen, sich mit ihm im Rahmen einer gegenseitigen Einmischung in die Angelegenheiten des anderen zu einigen. Solch eine wird den Worten Putins nach zu urteilen die Linie auch weiterhin bleiben.
In seinem Auftritt bei der Kollegiumstagung lenkte der Präsident die Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit einer Vertiefung der Zusammenarbeit im Rahmen der zu unterstützenden und in Vielem durch Moskau geschaffenen Formate – BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und die Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit. Gerade dort würden sich, wie aus den Worten des Staatsoberhauptes folgt, die wichtigsten außenpolitischen Partner Russlands befinden. Hinsichtlich eines von ihm – Indien – verwendete der russische Staatschef sogar das Attribut „privilegierter“. Im Westen aber sei laut Aussagen Putins „unsere Partner eigenartig“. Sie würden ihre Zusagen nicht einhalten und insgesamt unzuverlässig sein. Als erste Ursache für die Konfrontation mit ihnen sieht der russische Präsident die Erweiterung der NATO gen Osten.
Die Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und dem Westen charakterisierte Putin bis zu dem Zeitpunkt, als dieser Prozess begann, beinahe „als Bündnisbeziehungen“. Jetzt habe aber die Periode einer Konfrontation begonnen.
Über die militärischen Aspekte der Beziehungen mit dem Westen sprach Putin überhaupt, ungewöhnlich für solch ein Publikum viel. Er erinnerte sowohl an die Stationierung von Raketenabwehrsystemen in den Ländern Osteuropas, die nach Aussagen des Präsidenten leicht für einen Schlag gegen Russland umgerüstet werden könnten, als auch an den Konflikt im Osten der Ukraine. Ihn würde der Westen nach Aussagen des Präsidenten sowohl durch Waffenlieferungen an Kiew als auch durch eine Unterstützung des Kurses der ukrainischen Offiziellen auf eine Nichterfüllung der Minsker Abkommen zuspitzen.
Ein recht bescheidener Raum fand sich in der Rede Putins für den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt, in dem die Rolle des Westens keine große ist. Der russische Staatschef beschränkte sich auf die Konstatierung dessen, dass die Russische Föderation in ihm auch weiter die Rolle eines Friedensstifters spielen und für eine schnellstmögliche Deblockierung aller Kommunikations- und Transportwege im Südkaukasus eintreten werde. In Bezug auf China betonte er wiederum die Versuche des Westens, Russland mit diesem Land zu entzweien.
Der wohl wichtigste Aspekt der Putin-Rede betraf das, was er als „rote Linien“ bezeichnete. Diese Formulierung hatte er bereits verwendet, als er beim Diskussionsklub „Valdai“ über das Auftauchen US-amerikanischer Bombenflugzeuge im Gebiet des Schwarzen Meeres sprach. Jetzt aber erklärte Putin, dass sich zwar die Politiker des Westens „sozusagen vorsichtiger, oberflächlich gegenüber unseren Warnungen verhalten“ würden, dennoch „unsere Warnungen Wirkung zeigen“.
„Bekannte Spannungen haben sich dort doch ergeben. Und in diesem Zusammenhang sehe ich hier zwei Momente: Erstens ist es notwendig, dass sich dieser Zustand für sie so lang wie möglich bewahrt, damit ihnen nicht in den Sinn kommt, uns an den Westgrenzen irgendeinen für uns unnötigen Konflikt zu schaffen“, sagte Putin.
Das Staatsoberhaupt fing nicht zu konkretisieren an, was gerade diese Spannung ausgelöst hatte. Die Vermutung, dass es um die Migrationskrise an der weißrussisch-polnischen und weißrussisch-litauischen Grenze gehe, drängte sich natürlich auf. Übrigens, bei der Beurteilung der sich dort ergebenen Situationen machte Putin den Westen für ihr Entstehen verantwortlich.
Dabei unterstrich der russische Präsident auf jegliche Art und Weise, dass die Türen für einen Dialog mit den USA sowie mit Europäischen Union und der NATO seitens Russlands offen seien. Freilich erklärte, dass sich die Beziehungen mit den Vereinigten Staaten „gelinde gesagt in einem unbefriedigenden Zustand befinden“ würden. Und die EU würde uns weiter verstoßen. Das Schlüsselthema für diesen Dialog umriss Putin, wobei er sich unmittelbar an Außenminister Sergej Lawrow wandte. „Es muss, Sergej Viktorowitsch, die Frage nach der Gewährung ernsthafter Sicherheitsgarantien in dieser Richtung gestellt werden“, sagte der Kremlchef.
Es muss angemerkt werden, dass gerade am Vorabend des Auftritts des russischen Staatsoberhauptes durch Politiker von Ländern des Westens eine Reihe von Erklärungen abgegeben wurden, die belegen, dass solche Vereinbarungen mit der Russischen Föderation und deren weißrussischen Verbündeten für sie inakzeptabel seien. Beispielsweise gab der offizielle Sprecher der deutschen Bundesregierung, Steffen Seibert, zu verstehen, dass eine Lösung der Migrationskrise zum Preis einer Anerkennung der Legitimität von Alexander Lukaschenko unmöglich sei. Dass der Westen absolut kein Gleichgewicht der Interessen mit Moskau suchen wolle, sagte zum Abschluss der Tagung des Kollegiums auch Lawrow. Nach seinen Worten würde sich in den Beziehungen mit dem Westen für Russland „sehr viel Konfliktpotenzial anhäufen“. Mögliche Wege für eine Lösung dieser Situation hat der Minister aber nicht aufgezeigt.