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Putin sendet bisher keine Signale für Referenden


Gleich zwei Geschichten über eine Erweiterung Russlands entsprechend den Ergebnissen von Referenden auf angrenzenden Territorien haben am 11. Mai ein Ende gefunden. Die neuen Herrschenden Südossetiens präzisierten, dass sie von Moskau ein Signal über die Bereitschaft, die Republik aufzunehmen, abwarten würden. Vertreter der durch Russland etablierten Militär- und Zivilverwaltung des Verwaltungsgebietes Cherson haben gar gänzlich erklärt, dass sie der Russischen Föderation ohne ein Referendum, sondern über eine Bitte an den Kreml beitreten würden. Und auch ohne dem war klar gewesen, dass die endgültige Entscheidung bei Präsident Wladimir Putin liegt. Es scheint aber, dass es von ihm vorerst kein „grünes Licht“ geben wird. Außer offensichtlichen geopolitischen und innerrussischen Ursachen stellt das Auf-Eis-legen solcher Integrationsprozesse möglicherweise auch noch einen Teil des Verhandlungsmanövers dar, das derzeit sowohl der Ukraine als auch insgesamt dem Westen demonstriert wird.

Der neugewählte Präsident der Republik Südossetien Alan Gaglojew hat in einem Interview für die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS der Initiative der vorangegangenen Herrschenden hinsichtlich der operativen Abhaltung eines Referendums über den Beitritt dieses international fast nichtanerkannten Gebildes zur Russischen Föderation die Aktualität genommen. „Ich möchte noch einmal meine Position deutlich machen, dass dies kein einseitiger Prozess ist. Heute sehen wir, dass sich unser strategischer Partner – die Russische Föderation – mit geopolitischen Fragen befasst, eine Sonderoperation in der Ukraine zur Vernichtung der neonazistischen Formationen durchführt. Wir müssen unseren strategischen Partner verstehen. Sobald es ein Signal geben wird, sobald es ein Verstehen dessen gibt, dass die Zeit gekommen ist, werden wir unbedingt dieses Referendum abhalten“, sagte er durchaus zuversichtlich.

Möglicherweise ist von daher auch der Sieg des Oppositionspolitikers Gaglojew von Moskau ohne Probleme akzeptiert worden, da es jetzt im Südkaukasus einen etwas kühleren Partner braucht. Zumal der Kreml – allem nach zu urteilen – klar die Tatsache verstanden hatte, dass der amtierende Präsident der Republik Südossetien Anatolij Bibilow, der die Stichwahlen verloren hatte, das Thema des Referendums eher für die eigenen politischen Ziele ausgenutzt hatte.

Nicht ohne Grund erinnerte Gaglojew daran, dass die Offiziellen der Republik überhaupt offiziell mehrfach die Meinung der Bürger Südossetiens analysiert hätten, die fast alle einen russischen Pass besitzen. Und jedes hätte sich die überwiegende Mehrheit der Menschen für einen Beitritt zur Russischen Föderation ausgesprochen. Und dies würde aber wahrscheinlich eine Vereinigung mit Nordossetien bedeuten.

Die südossetische Geschichte hinsichtlich eines Auf-Eis-legen des Integrationsreferendums hätte jedoch auch eine einfache Nachricht am 11. Mai bleiben können, wenn nicht am gleichen Tag ein analoger Rückzieher seitens des Verwaltungsgebietes Cherson vorgenommen worden wäre. Diese Region wird in der Sprache der russischen Staatspropaganda als „befreites Territorium der Ukraine“ bezeichnet, wo bereits eine angeblich vollwertige sogenannte Militär- und Zivilverwaltung agiere. Es sei daran erinnert, dass Ende April der einheimische ukrainische Politiker Wladimir Saldo sich dafür in russische Dienste stellte. Zuvor hatte er sich durch keinerlei radikale prorussische Anschauung hervorgetan, sich aber mit Kiew zerstritten und daher einer Zusammenarbeit mit den russischen militärischen Offiziellen zugestimmt. Das Verwaltungsgebiet war bereits im März durch Russland vollkommen unter Kontrolle gebracht worden (um vor allem einen Zugang zum Nördlichen Krimkanal zu bekommen, über den die Krim nun wieder Wasser erhält – Anmerkung der Redaktion). Und dort wurde sofort eine massive russische Informations- und Propaganda-Arbeit begonnen. Es entstand beispielsweise aus dem Nirgendwo ein gewisses Komitee zur Rettung des Cherson-Gebietes „Für Frieden und Ordnung“, genauer gesagt aber ein Telegram-Kanal mit solch einem Namen, zu dessen Frontman auch ein einheimischer Politiker wurde, der Abgeordnete Kirill Stremousow. Er fing sofort an, sich als stellvertretenden Chef der Militär- und Zivil-Verwaltung auszugeben, obwohl diese Struktur an sich damals vom Wesen her auch noch nicht existierte.

Gerade Stemousow führte am 11. Mai alle Medien-Hitlisten mit der Erklärung an, dass das Verwaltungsgebiet Cherson Russland als eines seiner Subjekte ohne ein jegliches Referendum beitreten werde. „Die Stadt Cherson, dies ist Russland. Es wird keinerlei VRCh (das heißt keine Volksrepublik Cherson) auf dem Territorium des Verwaltungsgebietes Cherson gebildet werden. Es wird keine Referenden geben. Dies wird ein einziger Erlass auf der Grundlage eines Appells der Führung des Verwaltungsgebietes Cherson an den Präsidenten der Russischen Föderation sein. Und dies wird die Bitte sein, das Verwaltungsgebiet als eine vollwertige Region in den Bestand der Russischen Föderation aufzunehmen“. Eben auf solch eine Weise formulierte er die angeblich alternativlose Herangehensweise an die Integration mit Russland. Es ist jedoch bezeichnend, dass auf dem angeblichen offiziellen Telegram-Kanal der Militär- und Zivilverwaltung des Verwaltungsgebietes Cherson keine Spuren von dieser Nachricht zu finden sind, obgleich sie im offiziellen Informationsraum der Russischen Föderation eine riesige Verbreitung und auch eine große Anzahl verschiedenartiger Kommentare erhalten hatte.

Dabei muss angemerkt werden, dass sich noch eine staatliche russische Nachrichtenagentur – RIA Novosti – als erste angeschickt hatte, das Thema vom Verzicht des Gebietes Cherson auf ein Referendum zu pushen. Ja, und das Aufgreifen dieser Veröffentlichung erfolgte durch durchaus klare Netze von Media-Ressourcen – staatspropagandistische oder, wenn es beliebt, patriotische. Die Analyse der Perspektiven des Cherson-Gebietes im Kontext aus einem Verlassen der Ukraine und eines Übergangs zu Russland frappiert auch nicht durch eine Vielfalt des Inhalts. Kurz gesagt: Offensichtlich waren alle Merkmale einer massiv angeschobenen Informationskampagne. Mehr noch, Stremousow verstieg sich gar so weit, dass ein Referendum angeblich nur nötig gewesen wäre, um einen gewissen Anschein von Legitimität in den Augen der internationalen Staatengemeinschaft zu haben. Da sie aber das Krim-Referendum von 2014 auch nicht anerkannt hätte, so müsse man sich heute auch nicht vor dieser feindseligen äußeren Welt verbeugen. (Dem setzte am Sonntag, am 81. Tag der russischen „Sonderoperation“ in der Ukraine, der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrates und Ex-Präsident Dmitrij Medwedjew noch eins drauf. Er erklärte, dass es Russland egal sei, ob die Veränderungen der Grenzen der Ukraine durch die G-7-Länder anerkannt werden. Nach seiner Meinung sei lediglich die Meinung der auf diesen Territorien lebenden Menschen wichtig. „Sagen wir es einmal gelinde: Unser Land kann auf die Nichtanerkennung der neuen Grenzen seitens der G-7 spucken. Wichtig ist der wahre Wille der dort lebenden Menschen. Vergesst nicht das Präzedenzfall Kosovo, westliche Freunde“, schrieb Medwedjew in seinem Telegram-Kanal. – Anmerkung der Redaktion)

Weiter stellt sich aber heraus, dass die zurückhaltende Haltung der sogenannten offiziellen Chersoner Militär- und Zivilverwaltung zu den Vorschlägen von Stremousow nicht einfach so demonstriert worden war, sondern allem nach zu urteilen beabsichtigt. Denn die Informationswalze schaffte es bis zur Tagesmitte bis zum Telefon-Briefing von Dmitrij Peskow, dem Pressesekretär des russischen Staatsoberhauptes. Und seine Kommentare vermittelte keine Harmonie. „Ob solch ein Antrag erfolgt oder nicht, müssen doch die Einwohner des Verwaltungsgebietes Cherson entscheiden. Dies zum ersten. Und ihr Schicksal müssen auch die Einwohner des Verwaltungsgebietes Cherson bestimmen. Natürlich muss diese Frage klar und sorgfältig geklärt und durch Juristen und Rechtswissenschaftler beurteilt werden, denn derartige schicksalsschwere Entscheidungen müssen natürlich eine absolut klare juristische Untermauerung, eine juristische Grundlage besitzen sowie absolut legitime sein, wie dies mit der Krim der Fall gewesen war“.

Alles in allem ist scheinbar die klassische Geschichte vom guten und vom bösen Polizisten gespielt worden. Und Peskow ist wie gewohnt als Sprecher der Partei des Friedens aufgetreten. Formal hatte er dafür alle Grundlagen, da der Präsident ganz zum Anfang der Sonderoperation versprochen hatte, dass der territoriale Aufbau der Ukraine entsprechend den Ergebnissen einer Willensbekundung deren Einwohner bestimmt werde. Und natürlich konnte Peskow nicht einfach so an den Behauptungen von der Nutzlosigkeit des Krim-Referendums vorbeigehen, da es der Kreml für eine Weiterführung des sogenannten Kosovo-Präzedenzfalls hält. Schließlich kontrastierten die versöhnlerischen Erklärungen des Putin-Pressesekretärs stark mit der Reaktion Kiewer offizieller Vertreter, die sofort zu schreien begannen, dass es für sie egal sei, ob es im Cherson-Gebiet „Okkupanten-Referenden“ geben werde oder nicht, da die ukrainische Armee ja doch diese Region zurückerobern werde. Ein solch offenkundiges Verhandlungsmanöver in Gestalt der Demonstration von Friedensliebe war nur teilweise für die Ukraine bestimmt gewesen. Sein Hauptadressat war der kollektive Westen, wo in der letzten Zeit gerade wieder die Wünsche laut geworden sind, die Krise auf diplomatischem Wege zu lösen. Und obgleich die Gedanken über einen Frieden sowohl von der einen als auch der anderen Seite möglicherweise nur ein Rauchschleier bzw. Nebelvorhang sind, wird der ultrapatriotische Teil der russischen Gesellschaft wohl wieder einmal in eine Frustration verfallen müssen.