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Putin und Sorkin tauschten Verwunderungen aus…


In der vergangenen Woche hat es einen Feiertag gegeben, der schon längst keinen staatlichen Status besitzt. Und folglich auch keine offizielle Relevanz. Der Tag der Verfassung Russlands. In diesem Jahr hat sich der Präsident der Russischen Föderation mit dem Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, mit Valerij Sorkin, direkt an diesem denkwürdigen Tag getroffen. Die offizielle Internetseite des Kremls veröffentlichte dieses ganze bemerkenswerte Gespräch der beiden Hauptjuristen des Landes.

Wladimir Putin hatte sogar mit einem gewissen Erstaunen konstatiert, dass das Verfassungsgericht weder Feiertage noch freie Tage hätte. 11.500 Anträge seien innerhalb des Jahres bei dem Gericht eingegangen. Sorkin unterstrich seinerseits, dass etwas Anderes erstaunlich sei: Schließlich wurde das Gesetz über das Verfassungsgericht verändert. Jetzt kann man sich erst nach Durchlaufen aller Instanzen dorthin wenden. Dennoch aber verringert sich nicht die Zahl der Beschwerden. Der Chef des Verfassungsgerichts ist der Auffassung, dass damit diejenigen beschämt worden seien, die negative Konsequenzen aufgrund des erschwerten Charakters der Prozeduren erwartet hatten. Sorkin zog dabei (erwartungsgemäß) nicht die Schlussfolgerung, dass dies faktisch eine Zunahme der Beanstandungen der Bürger am Rechtssystem des Landes bedeutet, da es selbst entsprechend dem längeren Weg etwa genauso viele Bürger wie auch früher bis zum Verfassungsgericht geschafft haben.

Der Präsident hat diese statistische Besonderheit (natürlich) auch nicht bemerkt, aber erneut gewundert: 50 Fälle habe das Verfassungsgericht behandelt. Sorkin musste da dem Kremlchef erklären, dass jeder Fall nur auf den ersten Blick ein persönlicher sei, tatsächlich aber wirke sich die Entscheidung zu jedem auf das Schicksal von „Tausenden, wenn nicht Hunderttausenden“ aus. Entsprechend einem Präzedenzfall wirke dies folglich alles, staunte erneut Putin. Und der Vorsitzende des Verfassungsgericht präsentierte ihm einen „Folianten“, eine Sammlung jener wichtigsten Entscheidungen. Und unter ihnen sind auch besonders erstaunliche. Dies sind die Positionen des Verfassungsgerichts zu den Klagen von Bürgern über persönliche Insolvenzfälle.

In der verstrichenen Woche hat Putin eine verstärkte öffentliche Aktivität an den Tag gelegt, eine besonders demonstrative vor dem Hintergrund der Überlegungen über das Canceln seiner Jahresbotschaft an die Föderale Versammlung. Oder wie es korrekter offiziell ausgewiesen wird, über die Verschiebung dieser Veranstaltung augenscheinlich bereits auf das kommende Jahr. Entweder aufgrund des erzwungenen Verweilens unter Menschen oder wieder als ein persönliches Beispiel für die Bevölkerung hat der Präsident seine Impfung gegen eine saisonbedingte Viruserkrankung, die jetzt als Grippe bezeichnet wird, bekanntgegeben. Freilich erfolgte die Bekanntgabe, nachdem bereits die zuständige Verbraucherschutz- und Aufsichtsbehörde Rospotrebnadzor öffentlich erläutert hatte, dass, da der Epidemie-Anstieg schon vorbei sei, es nutzlos geworden sei, sich impfen zu lassen.

Was aber den möglichen Termin der Jahresbotschaft angeht, so kam es in der vergangenen Woche zu einer interessanten Nichtabstimmung von Informationen aus unterschiedlichen Machtstrukturen. Beispielsweise meldete eine staatliche Nachrichtenagentur unter Berufung auf ihre Quellen, dass die Jahresbotschaft für den 27. Dezember geplant sei. Der Pressesekretär des Präsidenten dementiert diese Version. Danach erläutert eine andere staatliche Nachrichtenagentur, dass ihre Quellen von einer Verschiebung der Jahresbotschaft auf das kommende Jahr sprechen würden. Und der Pressesekretär des Kremls sagt, dass es schon reiche, im Kaffeesatz herumzustochern und Vermutungen anzustellen. Derweil tritt Putin selbst im Verlauf der Woche gleich bei mehreren Veranstaltungen mit unterschiedlichen Anweisungen perspektivischen Charakters auf. Das heißt: Faktisch agiert er sozusagen im Stil einer Jahresbotschaft.

Dabei hat sich in der vergangenen Woche die Tendenz bestätigt, dass faktisch jegliche seiner Entscheidungen hinsichtlich des einen oder anderen Problems des Landes der Präsident unbedingt auch auf die Einwohner der neuen Territorien – der Donbass-Republiken DVR und LVR sowie der Verwaltungsgebiete Saporoschje und Cherson – bezieht. Diese Subjekte der Russischen Föderation erhalten schrittweise die Gesetze, die für ihre Integration in Russland erforderlich sind. Es zeichnet sich jedoch klar ab, dass letztere in zwei Strömen erfolgen wird. Als ein schnellerer wird sich der Angliederungsprozess augenscheinlich für die Donbass-Republiken erweisen. Den Regionen von Nord-Taurien aber steht ein schwierigerer Weg bevor, und zwar ein kurvenreicher Weg. Beispielsweise wird sich das Gerichtssystem der Russischen Föderation auf das gesamte Territorium der DVR und LVR selbst in dem Fall ausdehnen, wenn irgendwelche ihrer Teile immer noch unter der Kontrolle von Kiew bleiben. Das Verwaltungsgebiet Saporoschje aber – nimmt man die Integration in das Gerichtssystem – wird in Russland mit jenem Teil angegliedert, der durch Russland kontrolliert wird. Das heißt ohne eine formale Hauptstadt. Mit dem Verwaltungsgebiet Cherson ist vorerst überhaupt wenig klar.

Derweil ist die militärische Sonderoperation in der vergangenen Woche im Zentrum der Aufmerksamkeit der Herrschenden geblieben. Mehr noch, es hat sich herausgestellt, dass von ihnen eine neue Front vorbereitet wird. Die Staatsduma (des russische Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) unterstützte einstimmig in erster Lesung ein Paket von Anti-Diversionsgesetzen, das zuvor praktisch von allen „Volksvertretern“ der Kammer schon unterschrieben, sprich: abgesegnet worden war. Der Tätigkeit zur Durchführung von Diversions- bzw. Sabotageakten auf dem Landesterritorium soll komplex eine Abfuhr erteilt werden. Verfolgt und bestraft werden nicht einmal so sehr die eigentlichen Sabotageakte, als vielmehr deren organisatorische, finanzielle, informationsseitige und politische Vorbereitung. Somit kann man, wenn man eine Analogie mit der Anti-Extremismus-Gesetzgebung und den Bestrafungen aufgrund einer Diskreditierung der Streitkräfte herstellt, die Schlussfolgerung ziehen, dass die Herrschenden bereit sind, eine gewisse neue Kategorie von Feinden unter Russlands Bürgern zu ermitteln.