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Putin will nicht nur die Ukraine, sondern auch die Völkerrechtsordnung neu etablieren


Das zu begreifen, was sich heute ereignet, und das Wichtigste – Warum? – kann man nur, indem man aufmerksam die Erklärungen von Wladimir Putin analysiert. Andere Informations- und analytische Quellen gibt es nicht. Und seine Position läuft auf Folgendes hinaus: „Der gesamte Verlauf der Entwicklung der Ereignisse und die Analyse der eingehenden Informationen zeigen, dass eine Konfrontation Russlands mit diesen Kräften unausweichlich ist. Dies ist nur eine Frage der Zeit: Sie (die ukrainischen Offiziellen – Anmerkung der Redaktion) bereiten sich vor, sie warten eine passende Stunde ab. Jetzt erheben sie auch noch einen Anspruch auf Kernwaffen“. Und da ergibt sich: „Es weiter einfach zu beobachten, was sich tut, können wir nicht mehr. Dies wäre unsererseits absolut verantwortungslos“.

Die Schlüsselworte sind gesprochen worden: „eine Konfrontation ist unausweichlich“ und „wir kann dies nicht mehr einfach beobachten“. Der russische Präsident hat diese Analyse der internationalen Situation rund um unser Land vorgenommen und nicht nur die Entscheidung über die Anerkennung der Lugansker und der Donezker Volksrepublik, sondern auch über einen Einmarsch in die Ukraine für eine „Demilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ gefällt.

Wenn man über das Problem in einem geopolitischen Kontext spricht, so muss Folgendes betont werden: In den letzten 100 Jahren ist die Völkerrechtsordnung zweimal ausgestaltet worden. Beide Male nach Weltkriegen. Nach dem Ersten Weltkrieg durch den Frieden von Versailles, nach dem Zweiten – durch die Abkommen von Jalta und Potsdam. Die geopolitischen Interessen der größten Mächte waren berücksichtigt und ausgeglichen worden.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR stellte sich heraus, dass über allgemein anerkannte nationale geopolitische Interessen nur die USA verfügen können. Alle übrigen Länder inkl. Russland und China waren sozusagen auf das Regime einer normierten Rationierung eben dieser Interessen umgestellt worden. Wie bei einer Diät. Davon – sechs Gramm und davon – nicht mehr als fünf Gramm. Zur gleichen Zeit erhebt eine riesige Vielzahl von Ländern des Westens nicht einmal auf das Recht eines Subjets in dieser Frage. Sie – die meisten – haben schon längst die Funktion des Festlegens von Normativen und Rationen auf dem Gebiet der nationalen Interessen an übernationale Organe delegiert. Gerade deshalb hatte es der Westen nicht für nötig gehalten, und dies muss man verstehen, sich mit Russland hinsichtlich der für das Land entscheidenden Position – hinsichtlich des Vorrückens der militärischen Infrastruktur der NATO zu unseren Ländern – zu einigen.

Putin hat nicht angefangen abzuwarten, bis die neue Weltordnung entsprechend den Ergebnissen jenes künftigen „unausweichlichen“ Krieges herausgebildet worden ist.

Gerade in solch einem Kontext ist die russische Politik hinsichtlich der Ukraine zu verstehen. Es ist jedoch nicht vollends (oder überhaupt) klar, wie man durch eine Neutralisierung größere Sicherheit erreichen kann. Schließlich ändert die NATO real die eigenen Prinzipien und Pläne für eine Stationierung von Kernwaffen unter den neuen Bedingungen. Gemeint ist die Entwicklung von Systemen für die Luftabwehr und -verteidigung an den eigenen Ostgrenzen. Russland hat als Antwort harte Finanz- und Wirtschaftssanktionen erhalten. Das Ziel ist das Zufügen eines Schadens an der langfristigen Entwicklung aufgrund der hohen Inflation und der Einschränkung des Zugangs zu Devisen und Technologien. Wahrscheinlich meint der Westen, indem er solche Ziele proklamiert, dass es heute keinen Sinn mache, sich mit Russland zu einigen. Es werde ja selbst unter dem Einfluss des Mangels an Ressourcen fallen. Da offensichtlich ist, dass es nicht fällt (schließlich sind auch Nordkorea und der Iran nicht gefallen bzw. in die Knie gegangen), wird einige Zeit erforderlich sein, bis der Westen begreifen wird, dass man Verhandlungen über eine neue Völkerrechtsordnung führen muss. Und nicht nur mit Russland. China wird bis zu dieser Zeit ebenfalls ein Subjekt der Verhandlungen, denn seine Möglichkeiten und der Wunsch, das Taiwan-Problem zu lösen, basieren gleichfalls auf einem Verteidigen der eigenen Sicht auf die nationalen geopolitischen Interessen.

Das, was vor einer Woche als Anerkennung der DVR und LVR begonnen hatte, hat sich in die „militärische Sonderoperation“ transformiert. Mit dem Ziel einer Einnahme von Kiew, des Sturzes von Selenskij und einer Neuetablierung der Ukraine als ein Staat, der Russland freundlich gesinnt ist. (Jeder wird sich also künftig auswählen, was er für einen Nachbarstaat haben will? – Anmerkung der Redaktion)

All dies löst viele Fragen bei einem offensichtlichen Mangel an Informationen und einem offiziellen Standpunkt.

Das informationsseitige Bild aus Kiew für die übrige Welt ist praktisch in genau solch einem Regime wie auch in Friedenszeiten zugänglich. Das Signal wird nicht unterdrückt. Die Amerikaner haben im Verlauf von Militäroperationen in erster Linie das Internet und die mobilen Telefon- und Funknetze unterdrück. Um das eigene Narrativ via gefilterte Bilder von den Kampfhandlungen zu vermitteln. Heute gibt es dies in der Ukraine nicht. Und es scheint, dass gerade in diesen Tagen ein internationales Bild entsteht, das für Selenskij vorteilhaft ist.

Der rasante Zusammenbruch des internationalen Finanz- und Wirtschaftsstatus von Russland mit den bisher nie dagewesenen Sanktionen ist wahrscheinlich bisher nicht adäquat bewertet worden. Dennoch klopft der radikale Wechsel des Schicksals in den Termini des wirtschaftlichen Wohlergehens an die Türen der meisten Bürger Russlands. Dies wird zweifellos zu einem Faktor für die Beeinflussung der Massenstimmung der Gesellschaft. Und der Ratings.

Wenn aber die Ratings nicht interessieren, da man die von den Herrschenden wahrgenommenen existentiellen Bedrohungen nicht gegen alltägliche Bequemlichkeiten austauschen kann, so gibt es auch keinen Sinn, über Politik zu sprechen.

Schließlich ist die Politik ein Attribut und Merkmal von Friedenszeiten.