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Rektoren müssen sich einer Loyalitätsprüfung stellen


Die Rektorengemeinschaft verschärft die Haltung zu politisch aktiven Studenten und Hochschullehrern. Und die Rektoren kann man verstehen. Die Hochschulleitungen balancieren heute auf einem schmalen Grat: Wie kann gegenüber den zuständigen Ministeriumsvorgesetzen gefällige bleiben und gleichzeitig die eigenen Studenten zur Vernunft bringen, die an unerlaubten Aktionen teilnehmen? Einen ständigen Positionswechsel vollziehen auch die Studenten-Gewerkschaften. Ein Teil von ihnen versucht, festgenommenen Studenten Hilfe zu leisten, der andere wahrt sture Neutralität.

Als im August des Jahres 2019 der Rektor der Russischen geisteswissenschaftlichen Staatsuniversität (in Moskau) Alexander Besborodow als erster mit der Situation einer Involvierung seiner Studenten in die große Politik konfrontiert wurde, hat er sehr schlucken müssen. Gegen ihn hatte sich die liberal eingestellte Öffentlichkeit stark gemacht. Der Rektor demonstrierte wahrhaft diplomatisches Talent in dieser Situation. Er erklärte, dass er „den Studenten keine Exmatrikulation wegen einer Tätigkeit außerhalb des Studiums angedroht hat“, sondern lediglich davor gewarnt hätte, dass „die Studenten, die aufgrund einer Teilnahme an nichtsanktionierten Aktionen verurteilt wurden, aus der Hochschule aufgrund des Versäumens von Unterrichtseinheiten exmatrikuliert werden können“.

Dieses Motiv nutzen übrigens heute mehrere Anwälte von in Sankt Petersburg festgenommenen Studenten, Sie erläutern, dass die Festnahme in die Zeit der Pandemie-Isolierung gefallen sei. Die Studenten hätten die Vorlesungen nicht im Offline-Regime besucht, daher könne man sie auch nicht aufgrund des Versäumens von Lehreinheiten exmatrikulieren.

Es sei daran erinnert, dass viele Studenten in Internet-Foren Ende Januar geschrieben hatten (Briefe hatte die studentische Internet-Zeitschrift DOXA zusammengetragen), dass man mit ihnen in den Universitäten Gespräche dahin gehend geführt hätte, dass „ein Verstoß gegen das Ordnungsrecht eine disziplinarische Verantwortung nach sich zieht, wie dies in den Regeln für die interne Ordnung und das Verhalten der Auszubildenden festgeschrieben worden ist. Darunter deutete man auch eine Exmatrikulation an“.

Heute agieren die Hochschulen geradliniger. Den Studenten und Hochschullehrern der staatlichen Technischen Universität von Samara hatte man beispielsweise offiziell verboten, nichterlaubte Protestaktionen zu besuchen. Eine entsprechende Änderung ist in den Ethikkodex der Hochschule aufgenommen worden, worüber auf der Internetseite der Universität informiert wird.

Eine zwiespältige Haltung nehmen die Studentengewerkschaften ein. Die Gewerkschaftsorganisation der Studenten und Aspiranten (Doktoranden) der Sankt-Petersburger Polytechnischen Peter-der-Große-Universität kündigte in sozialen Netzwerken die Möglichkeit juristischer Hilfe für die Studenten an, die an politischen Aktionen teilnehmen, berichtete das Internetportal Fontanka.ru. Die Gewerkschaften der Fakultäten versuchen, ihren festgenommenen Studenten Unterstützung zu gewähren. Die offiziellen Gewerkschaften aber würden sich nach Meinung des Portals an eine Politik des „Nichteinmischens“ in die Politik halten.

Die Position der Rektoren ist komplizierter. Der Rektor ist eine Person, die dem Staat gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Je angesehener die Hochschule, umso stärker wackelt der Sessel unter dem Leiter im Falle politischer Erschütterungen. Wenn es wirklich dazu kommt, werden auch keine einstigen Verdienste helfen. Im Ergebnis dessen sind die Rektoren kleinlaut oder ganz mundtot geworden.

Dieser Tage hat der Rektor der Nationalen Forschungsuniversität „Wirtschaftshochschule“, Jaroslaw Kusminow, auf der Internetseite seiner Hochschule einen Brief veröffentlicht. „Jegliche Involvierung von Universitäten in die Politik, sei dies im Interesse der Herrschenden oder gegen sie, ist inakzeptabel“, betont Kusminow. „Sie stört die Entwicklung nicht nur des Bildungswesens, sondern auch der Zivilgesellschaft in Russland. Eine Universität ist ein Ort für Forschungen und Ausbildung, für das Suchen nach der Wahrheit. Dies wird unbedingt durch Diskussionen begleitet, durch das Vorbringen und Anfechten verschiedener Meinungen. In den Universitäten werden eine Dialogkultur und Toleranz anerzogen, das Können, Opponenten zu überzeugen und nicht wegzudrängen. Daher ist es für jegliche Gesellschaft wichtig, die Universitäten vor den ihnen nicht eigenen harten Formen des politischen Kampfes nicht nur im „Straßen-“, sondern selbst im Verfassungsrahmen zu bewahren“.

Wie Rektor Kusminow unterstreicht, hätten sich in allen historischen Situationen des Staates die politischen Gruppen, die versuchten, Schulen und Universitäten in die Realisierung aktuelle politischer Ziele einzubeziehen, zu einer toleranten Sackgassensituation verdammt. Die Wirtschaftshochschule, warnt der Rektor, werde eine Verlegung des politischen Kampfes in ihre Lehrklassen und Hörsäle nicht zulassen.

Aber in einer Untersuchung von vor zwei Jahren war noch die Rede gewesen, dass sich die russische Jugend nicht für Politik interessiere, kein Vertrauen gegenüber dem Staat und seine Institute verspüre, recht gleichgültig dem Zusammenbruch der UdSSR gegenüberstehe und in einem erheblichen Maße von Europa entfremdet sei. Es sei daran erinnert, dass die Untersuchung die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung und das Levada-Zentrum durchgeführt hatten. Nur ein Prozent der Jugendlichen würde am politischen Leben teilnehmen, folgte aus ihrem Bericht. Und 57 Prozent der jungen Russen würden sich ganz und gar nicht für Politik interessieren. 20 Prozent würden aber Interesse für sie bekunden. Wobei dieses Interesse vor allem das Unterschreiben von Online-Petitionen und eine Freiwilligen-Tätigkeit betreffe. Lediglich 7 Prozent der Befragten hatte die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, sich unmittelbar am politischen Leben des Landes zu beteiligen, und gerade einmal ein Prozent hatte an ihm zum Zeitpunkt der Befragung teilgenommen.

Die russische Jugend habe keine klaren Vorstellungen über das Modell des sozial-politischen Systems im Land, hatten die Forscher hervorgehoben. Einerseits würden 47 Prozent die Demokratie als beste Herrschaftsform ansehen. 71 Prozent würden gegen autoritäre Führungsmethoden und die Lösung von Problemen mit Hilfe der Strukturen der Rechtsschützer und bewaffneten Organe auftreten. Andererseits hielten 65 Prozent der Befragten das Vorhandensein eines „starken Leaders“ an der Spitze des Staates für erforderlich. Und 58 Prozent – einer „starken Partei“, die im Interesse der Mehrheit handele. Die am meisten verbreiteten politischen Anschauungen unter der Jugend waren vor zwei Jahren sozialdemokratische (28 Prozent), nationalistische (16 Prozent), liberale (12 Prozent) und kommunistische (11 Prozent).

Ergibt sich da: Ist dies alles heute Vergangenheit? Allerdings sind die Politologen davon überzeugt, dass auch dieser Background bleiben werde.