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Russische Konfessionen werden zu testatpflichtigen


Die russische Studentenschaft erwartet etwas in der Art jenes Experiments, dass mit den Schülern des Landes angestellt wurde, die die Grundlagen der religiösen Kulturen sowie geistig-moralischen Traditionen der Völker Russlands studieren. Nur wird in den Hochschulen dieses Wissen in einer akademischeren Manier vermittelt. Und man beabsichtigt es in den Lehrgang für Geschichte einzutakten. Die Disziplin wird wahrscheinlich eine komplexe sein und keine variative, wie in der Schule, wo jeder Schüler eines der mehreren konfessionellen Module auswählt. Die Gestaltung des Studiengangs für die Geschichte der Religionen erfolgt im Auftrag von Präsident Wladimir Putin. Die von der „NG“ befragten Religionsexperten standen im Großen und Ganzen dieser Idee positiv gegenüber, warnen aber nur davor, dass man das neue Lehrfach „ernannte, die Weltanschauung auszuprägen“.

Putin beauftragte das Ministerium für Wissenschaft und Hochschulbildung gemeinsam mit der Zwischeninstitutionellen Kommission für historische Bildung, der Assoziation „Russische historische Gesellschaft“ und unter Beteiligung interessierter föderaler Organe der exekutiven Gewalt die Frage nach der Ausarbeitung und Einführung des Ausbildungslehrgangs (Moduls) „Geschichte der Religionen Russlands“ in die Ausbildungsprogramme für Hochschulbildung  zu erörtern, teilt die offizielle Internetseite des Kremls mit. Das Projekt wird im Rahmen einer ganzen Serie von Aufträgen realisiert, unter anderem der Vereinigung der Studiengänge für Geschichte Russland und der Weltgeschichte.

Diese Initiative wurde zu einem Ergebnis des Treffens des Präsidenten mit Historikern und Vertretern der traditionellen Religionen der Russischen Föderation. Damals (am 4. November 2022 – Anmerkung der Redaktion) der Patriarch Von Moskau und Ganz Russland Kirill das Wort ergriffen und seine Klagen hinsichtlich einer Vernachlässigung der (Russischen orthodoxen) Kirche in den Bildungsprogrammen dargelegt. „Wer waren schließlich die Patriarchen? Sie hatten stets neben dem Zaren gesessen, der Zar und der Patriarch. Die Geschichte Russlands – des Staates – und de Geschichte der Kirche waren so sehr miteinander verflochten, dass es unmöglich ist, sie auseinanderzureißen. Jetzt aber sind sie im Studienprozess auseinandergerissen worden. Der Mensch, der die Geschichte Russlands studiert, hat streifend etwas über den Patriarchen Nikon und noch über etwas“, beklagte das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche. Entweder wurde Kirill bei dieser Begegnung erhört, oder er verfügt über das Können, große Gedanken und Absichten der Landesführung vorauszuahnen. Vergangen ist etwas mehr als ein Monat. Und es erfolgte der Auftrag des Präsidenten.

Jedoch bedeutet dies alles ganz und gar nicht, dass das Projekt gerade zu verwirklicht wird, wie es durch den Patriarchen gesehen wird. Die Beispiele sind bekannt – die Grundlagen der religiösen Kulturen für die Schüler. Dieses Unterrichtsfach wird bereits ein Jahrzehnt lang realisiert. Den Kirchenvertretern aber erscheint es immer noch als ein unvollkommenes. Unter Berücksichtigung der sich verstärkenden Tendenz zu einer Renaissance der Ideologie im russischen Bildungswesen kommen die Befürchtungen auf, dass auch das Studienfach zur Geschichte der Religionen in den Hochschulen entweder politisch oder klerikal engagiert sein werde. Werde nicht das Modul jene Nische einnahmen, die im Kontext der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften der wissenschaftliche Atheismus in den Universitäten und Instituten der UdSSR eingenommen hatte?

„Gegen den Studiengang „Geschichte der Religionen Russlands“ habe ich nichts dagegen“, sagte der „NG“ Michail Smirnow, habilitierter Doktor der soziologischen Wissenschaften und Leiter des Lehrstuhls für Philosophie und Religionskunde an der Leningrader staatlichen A.-S.-Puschkin-Universität. „Eine andere Sache ist, dass unklar ist, wie dies in die existierenden Ausbildungsprogramme eingeführt wird, zu Lasten von was? Da gibt es schließlich eigene Normen hinsichtlich der Module und (Unterrichts-) Stunden. Aber ich verstehe, dass, wenn man streng fordert, so alles mit bürokratischen Instrumenten fixiert wird. Ja, aber der Inhalt des Studienfachs, dies ist schon interessant. Wird es eine Profilausbildung geben oder wird dies ein einheitliches Studienfach für alle sein? Sie haben an den wissenschaftlichen Atheismus erinnert. Dort gab es eine auf das Profil ausgerichtete Ausbildung (die künftigen Mediziner, Pädagogen, Agronomen und anderen unterrichtete man unter Berücksichtigung ihrer hauptsächlichen Spezialisierung)“.

„Ja, es wäre gut, in den Hochschulen, da nun einmal die Rede von der Notwendigkeit eines Unterrichtens irgendwelcher allgemeiner geisteswissenschaftlicher Studienfächer ist, ein Unterrichten der Religionsgeschichte Russlands einzuführen“, meint die habilitierte Philosophin und Religionsexpertin Jekaterina Elbakjan. „Aber die Vermittlung des Materials in diesem Studienfach muss meines Erachtens eine strikt wissenschaftlich geprüfte sein, eine objektive, ohne eine axiologische „Last“ und überhaupt ohne wertende Urteile (vom Typ: eine „schlechte“ oder eine „gute“ Religion). Und das Erzählen über jede Religion und religiöse Richtung muss exakt und entsprechend einer Form strukturiert sein. Zum Beispiel: die Glaubenslehre, die kultische Praxis, Organisationsstrukturen, die Geschichte dieser Religion oder religiösen Richtung, ihre soziale Rolle (die Wechselbeziehung mit dem Staat und der Gesellschaft). Eine andere Sache ist, dass die Anzahl der (Unterrichts-) Stunden (der Umfang des Materials) natürlich für die Beschreibung der historischen Religionen und der neuen, die noch eine kurze Geschichte haben, eine unterschiedliche sein wird“.

„Das Wichtigste ist, dass alle „Religionen Russlands“, die in der Präambel des föderalen Gesetzes „Über die Glaubensfreiheit und religiösen Vereinigungen“ ausgewiesen worden sind, — angenommene und keine autochthonen sind“ betonte seinerseits Smirnow. „Man kann natürlich eine Demonstration dessen vorschlagen, dass die auf Russland zugeschnittenen Varianten dieser Religionen die richtigsten seien.

Wahrscheinlich wird jedoch die Sache nicht zu einem Content kommen. Alles reduziert sich auf administrative Prozeduren. Anders gesagt, ich nehme die Idee an sich positiv auf, das Niveau der Studenten in Bezug auf die wissenschaftlichen Kenntnisse über die Religionen zu erhöhen. Ich stelle mir aber realistisch vor, mit welchen Methoden dieses Studienfach eingeführt wird (wenn es dazu kommt)“.

Elbakjan erwartet von dem voraussichtlichen Studienfach das „Nichtvorhandensein einer weltanschaulich-ideologischen Last und – im Gegenteil – eine ausschließlich objektive Vermittlung strukturierten und wertungsfreien Materials (geordnete historisch begründete Fakten und den heutigen Zustand) unabhängig von den persönlichen Sympathien/Antipathien und der persönlichen weltanschaulichen Wahl des Hochschullehrers und der Studenten“. „Da wird sich dieses Studienfach außerhalb weltanschaulicher Passionen und politischer Klischees (ich meine die klerikale Politik) befinden und real zu einer Ausprägung von Toleranz seitens der Studenten auf der Grundlage des erhaltenen Wissens führen, und nicht zu einer Intoleranz gegenüber das „Anderssein“ auf der Grundlage weltanschaulicher Stereotypen des Hochschullehrers oder des Lehrstuhls, der Fakultät, der Hochschule usw.“, sagte die Religionswissenschaftlerin.

„Das Lehrbuch darf natürlich kein konfessionelles sein. Dennoch ist es aber interessant: Werden Spezialisten von den Hauptkonfessionen hinzugezogen?“, stellte die offene Frage der Stellvertreter des Verwaltungschefs der Moskauer Patriarchie und aktive Kirchenblogger, Bischof Sawwa (Tutunow), bei der Kommentierung der Nachricht über den Auftrag des Präsidenten im Internet.

„Ich denke, dass ausgehend von der durch mich dargelegten Vorgehensweise ein Hinzuziehen religiöser Organisationen zum Verfassen von Lehrbüchern und zur Erstellung von Programmen völlig überflüssig ist, da sie von Religionswissenschaftlern geschrieben und vorbereitet werden müssen, die sich zweifellos im Falle von bei ihnen sich ergebenden konkreten Fragen stets mit Vertretern der einen oder anderen religiösen Organisationen konsultieren können“, meint Jekaterina Elbakjan.

Der Kollegin stimmt auch Michail Smirnow zu: „Besorgnis erregt, dass man Konfessionelle hinzuzieht. Da wird die Wirkung eine negative sein. Dies führt zu einer Abwertung des Studienfachs. Ja, und der Religionen…“. „Und es besteht das Risiko, dass man das Studienfach wie auch die Theologie dazu ernennt, „eine Weltanschauung auszuprägen“, warnte die Expertin.