Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des russischen Präsidenten, musste Ende vergangener Woche erneut Stellung zur Teilnahme oder Nichtteilnahme russischer Sportler an den Olympischen Sommerspielen in Paris – in einem neutralen Status, ohne Flagge und Hymne – nehmen. Nach Aussagen Peskows habe das Staatsoberhaupt bereits mehrfach gesagt, dass die Sportler und Verbände selbständig eine Entscheidung treffen müssten. „Diejenigen, die zu ener Teilnahme bereit sind, sollen dies tun“, sagte er und erinnerte daran, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) versprach, die Athleten Russlands nicht zu zwingen, irgendwelche Papiere mit einer Verurteilung der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine zu unterschreiben.
Gesondert sprach sich Peskow hinsichtlich der Tennisspieler aus, die in der Welt hoch im Rating stehen und bereit sind, in Paris zu spielen. Nach Aussagen des Pressesekretärs des Präsidenten „sind sie für uns doch russische Tennisspieler, auf die wir stolz sind“. „Viele unserer Sportler“, fügte er hinzu, „spielen im Ausland, in verschiedenen Ländern der Welt, darunter auch in unfreundlichen. Für uns bleiben sie dennoch russische Sportler“.
Dies kann man natürlich nicht nur auf die Welt des Tennis beziehen, sondern beispielsweise auch auf den Fußball und ganz bestimmt auf das Eishockey. Schließlich haben die Klubs der National Hockey League die Verträge mit den russischen Spielern nicht gelöst. Und Alexander Owetschkin jagt weiterhin dem Rekord von Wayne Gretzky hinsichtlich der erzielten Tore (894 – Anmerkung der Redaktion) hinterher. Allerdings tangiert das Thema der Olympiade in Paris nicht die Eishockey-Stars, sondern die Tennisspieler – und dies ganz direkt. Gerade über sie hat dieser Tag unschön der Chef des Olympischen Komitees Russlands (OKR), Stanislaw Posdnjakow (ein ehemaliger Säbelfechter, der viermal Olympiasieger wurde und eine Bronzemedaille bei Olympischen Spielen sowie zehn Weltmeistertitel gewann – Anmerkung der Redaktion), gesprochen. Die Tennisspieler leben nach seinen Worten „einen Großteil der Zeit im Ausland, verdienen dort auch Geld, erklären dabei, dass „sie für sich spielen“, und verurteilen die Politik ihres Landes und die militärische Sonderoperation“. Es sei richtiger, so der 50jährige Posdnjakow, sie als eine „Mannschaft ausländischer Agenten“ zu bezeichnen. Und ihre Teilnahme an den Spielen bezeichnete er gar als „individuelles olympisches Unternehmertum“.
In seinem Telegram-Kanal schrieb der OKR-Vorsitzende, dass seine Organisation „auf der Seite jener unserer Landsleute aus den Reihen der Sportler“ sei, „die bewusst die andere Seite der „Barrikaden“ und Trennungslinien, die seit Februar 2022 durch Lausanne hartnäckig errichtet werden, auswählen“. Mit Lausanne ist das IOC gemeint. Es macht Sinn, daran zu erinnern, dass das OKR auf Beschluss der internationalen Organisation von einer Teilnahme an den Spielen suspendiert worden ist. Viele andere Sportler aus Russland können gleichfalls nicht nach Paris fahren – aufgrund eines direkten Banns oder der technischen Unmöglichkeit an Qualifikationswettkämpfen teilzunehmen (Visa, Logistik, Fehlen jeglicher Garantien).
Aus dem Kreml heißt es: Wer teilnehmen möchte, solle fahren. Aber jene Verbände und andere Strukturen, die man von den Pariser Wettbewerben ausgeschlossen hat, üben jetzt vom Wesen her Druck auf die übrigen aus, darunter auch auf Sportler mit internationalem Rang und Namen. Eine „Mannschaft ausländischer Agenten“ – dies ist ein typischer Fall des Verpassens von Labeln (offensichtlich hat man da beim russischen Justizministerium gelernt – Anmerkung der Redaktion). Die internationalen Trainer-Verbände haben nach dem Februar 2022 die Russen und Weißrussen prinzipiell zu den Wettkämpfen zugelassen und sogar auf die Ausrichter jener Turniere Druck ausgeübt, die sie nicht zu sehen und zuzulassen wünschten. Niemand nötigte sie, sich hinsichtlich der militärischen Sonderoperation und überhaupt über Politik zu äußern sowie irgendwelche Papiere zu unterschreiben. Sie repräsentieren neben den Eishockeyspielern und Radrennfahrern den russischen Sport weiterhin in der getrennten, konfliktbeladenen Welt.
Die Diskussion um eine Reise von russischen Athleten nach Paris geht über den Rahmen des Sports hinaus. Und der Pressesekretär des Präsidenten hatte sich gesondert hinsichtlich der Tennisspieler geäußert, da zuvor die Worte von Posdnjakow gefallen waren. Peskow hatte man einfach gebeten, darauf zu reagieren. Man kann sagen, dass die Offiziellen punktuell eine Kompromiss-Linie verfolgen. Es scheint, dass dies nach den Wahlen notwendig ist. Es ist unmöglich nur jene zu lenken bzw. zu regieren, die für dich votiert haben, dabei vollkommen die übrigen ignorierend. Und der Unterschied zwischen einem „ausländischen Agenten“ und einfach einem Bürger, der vielleicht eine eigene Meinung hat, besteht im öffentlichen Charakter und der Hartnäckigkeit der Deklarationen, in den unterschriebenen Papieren. Ein bekannter Sportler kann gegen alles Mögliche sein. Und solange er schweigt, interessiert dies den Staat nicht.
Post Scriptum
Irina Viner, die legendäre und erfolgreiche Trainerin für rhythmische Sportgymnastik, ist in ihren Aussagen gegen die potenziellen 55 russischen Starter in Paris noch schärfer, wenn nicht gar beleidigender gewesen. Die Präsidentin der Allrussischen Föderation für Rhythmische Sportgymnastik und zugleich russische Cheftrainerin bezeichnete die Athleten aus Russland, die in der französischen Hauptstadt bei den Sommerspielen im kommenden Sommer an den Start gehen wollen, als eine „Mannschaft von Obdachlosen ohne Flagge, Hymne und Fans“. Die russischen Starter könnten nicht einmal an der Eröffnungszeremonie teilnehmen, erklärte sie. „Ich halte es für erniedrigend, wenn Medaillengewinner unter einer weißen Flagge und die Sieger auch noch bei einer Musik, die einem „Trauermarsch“ anstelle der Hymne stehen“, fügte sie hinzu.