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Russisches Gas für eine Wasserstoff-Zukunft Europas


Die russische Nachrichtenagentur TASS berichtete unter Berufung auf das russische Außenministerium über „die Durcharbeitung eines Russland-Besuchs von Bundesaußenminister Heiko Maas am 11. August“. Die Agentur hielt es für notwendig, darauf zu verweisen, dass im April dieses Jahres Maas in einem Interview für den „Spiegel“ die Hoffnung auf ein baldiges Treffen mit dem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow ungeachtet der Ausbreitung des Coronavirus bekundet hatte. Lawrow erklärte seinerseits, dass man den deutschen Minister in Moskau zu jeder Zeit erwartet.

Der eintägige Besuch von Maas sieht eine Begegnung mit Lawrow und eine Weiterreise nach Sankt Petersburg für den Beginn der Realisierung einer humanitären Geste der Bundesregierung, die aus Anlass des 75. Jahrestages der Aufhebung der Blockade von Leningrad 12 Millionen Euro bereitgestellt hatte, vor. Diese Gelder werden laut einer Meldung der „Deutschen Welle“ für eine Neuausstattung des Petersburger Hospitals für Kriegsveteranen eingesetzt.

Das Coronavirus bestimmt derzeit praktisch die gesamte internationale Tagesordnung. Die Gefahr der Pandemie besteht nicht nur in den nicht vollends begriffenen Bedrohungen für die Menschheit, sondern auch in einer Beschleunigung der Deglobalisierung. Diese Gefahr bereits für das Weltwirtschaftssystem unter den Bedingungen der anhaltenden Pandemie führt zu einer Selbstisolierung der Staaten. In dieser Hinsicht kann gerade die Zusammenarbeit Russlands und Europas eine Rückkehr der Welt zu starren nationalen Grenzen und zu einer Selbstisolierung verhindern. Daher muss man die Frage der russisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen nicht nur im Lichte der Beziehungen Russlands und der EU betrachten. 

Wenn man sich der jüngsten Erklärung von Oliver Hermes, des Vorsitzenden des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft – eines der einflussreichsten Unternehmerverbände Deutschlands -, über die Wirtschaftssituation in Russland zuwendet, so ist das Wichtigste in ihr die Bestätigung der Bedeutung Russlands für die deutschen Unternehmer. Russland ist seinen Worten zufolge derzeit hinsichtlich der Kaufkraft die sechste Volkswirtschaft weltweit gleich hinter Deutschland. Russland bleibt für deutsche Unternehmer ein perspektivreicher wachsender Markt, unterstrich Hermes, gerade hinsichtlich solcher Richtungen wie die Digitalisierung, die Realisierung der vierten industriellen Revolution (Industrie 4.0) im Zusammenhang u. a. mit der Automatisierung und der klimaschonende Umbau der Energiewirtschaft.

Oliver Hermes hat die Idee einer Wasserstoff-Partnerschaft Europas und Russlands unterbreitet. Die Bundesregierung billigte Anfang Juni eine nationale Wasserstoffstrategie. Und die Europäische Kommission veröffentlichte am 8. Juli eine europäische Wasserstoffstrategie. Gerade Russland kann zu einem globalen Akteur auf dem internationalen Wasserstoffmarkt werden, dem die Zukunft gehört. Denn dank seiner gigantischen Erdgasreserven verfügt Russland über den Rohstoff für die Gewinnung von Wasserstoff und kann zu einem Lieferanten von Wasserstoff aus Gas werden. 

Es kann nicht gesagt werden, dass in den russisch-deutschen Beziehungen alles glatt und erfreulich ist. Nach wie vor befindet sich Russland unter den Sanktionen der Europäischen Union. Und eine Perspektive für ihre Aufhebung zeichnet sich vorerst nicht ab. Eines der akuten Sanktionsprobleme bleibt die Situation im Osten der Ukraine, dessen Regelung sowohl für Russland als auch Deutschland in gleichem Maße wichtig ist. Selbst Maas hat noch vor einem Jahr eingestanden, dass der Minsker Friedensprozess praktisch zum Stillstand gekommen ist. 

Bekanntlich hängt der Mechanismus für eine schrittweise Verwirklichung der Festlegungen des zweiten Minsker Abkommens mit der Umsetzung der sogenannten Steinmeier-Formel zusammen. Dabei geht es um die Gewährung eines Sonderstatus für einzelne Regionen der ukrainischen Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk und die Abhaltung von Regionalwahlen dort. Im Grunde genommen stellt die Steinmeier-Formel auch eine Roadmap für die Realisierung der Minsker Abkommen dar. Bisher gibt es aber auf diesem Weg keinen Fortschritt. Und selbst die Versuche, eine Feuereinstellung zu erreichen, werden untergraben.