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Russland bereitet sich auf eine strategische Zügelung der NATO vor


Vor dem Hintergrund der Positionsgefechte in der Ukraine führt die russische Armee weiterhin Manöver in der strategischen westlichen Richtung in Europa durch. Wie das Verteidigungsministerium der Russischen Föderation mitteilt, würden „im Rahmen der Realisierung zusätzlicher Maßnahmen für eine strategische Zügelung“ im Verwaltungsgebiet Kaliningrad die Manöver unter Beteiligung von MiG-31-Kampfflugzeugen, die mit Hyperschall-Raketen „Dolch“ ausrüstet sind, fortgesetzt werden. Truppenteile der strategischen Raketentruppen der Russischen Föderation haben eine Übung mit mobilen Startanlagen für die ballistischen Interkontinentalraketen „Jars“ im Swerdlowsker Verwaltungsgebiet durchgeführt, und die Nordmeerflotte löste Aufgaben mit einem Regiment der Luftverteidigung, das mit S-400-Luftabwehrraketensystemen ausgestattet ist. Parallel dazu diskutierten die Befehlshaber der Streitkräfte des Nordatlantikpaktes vom 16. bis 18. September in Tallinn eine weitere Unterstützung für die Ukraine, aber auch eine Erhöhung der „Effektivität der Verteidigung der Ostflanke der NATO“.

In Tallin erklärte der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Admiral Rob Bauer, dass von den Ländern der Allianz „immer mehr neue moderne Waffen in die Ukraine gelangen“. Dies sei kein Geheimnis, doch würden die Nomenklatur und die Umfänge solcher Lieferungen hellhörig machen. Wie die Nachrichtenagentur Reuters Ende letzter Woche meldete, hätte US-Präsident Joseph Biden die Übergabe eines neuen Pakets von Waffen über eine Summe von 600 Millionen Dollar beschlossen. Zu ihm sollen hochmobile HIMARS-Raketensysteme und Munition zu ihnen, rund 1000 hochpräzise 155-Millimeter-Artilleriegeschosse, vier Anti-Artillerie-Radaranlagen, aber auch Mittel für die Luftverteidigung gehören. Das deutsche Blatt „Die Welt“ schreibt, dass nach mehreren Wochen Schwankungen die deutsche Bundesregierung zugestimmt habe, 18 selbstfahrende Artilleriegeschütze vom Typ RCH 155 mit einem Wert von 216 Millionen Euro in die Ukraine zu liefern. Die RCH-155-Geschütze haben in Abhängigkeit von der Geschossart eine Reichweite von bis zu 54 Kilometern und sind in der Lage, das Feuer mit hochpräzisen Geschossen zu führen.

Deutschlands Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht hat gleichfalls weitere Lieferungen anderer Waffenarten für die Ukraine angekündigt, darunter zwei weitere Mars-II-Mehrfachraketenwerfer und 50 gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Dingo. Die deutschen Raketenwerfer weisen Charakteristika auf, die den US-amerikanischen HIMARS-Systemen ähneln. Bisher ist unklar, ob zu dem neuen amerikanischen Hilfspaket für die Ukraine Raketen für HIMARS-Systeme gehören werden, die eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern besitzen, wie dies Kiew erbittet. Ab die Tatsache einer Konzentration hochpräziser Mehrfachraketenwerfer im Bestand der ukrainischen Streitkräfte an sich löst Besorgnis russischer Militärs aus. Derzeit gibt es in den Streitkräften der Ukraine laut offiziellen Angaben 16 Mi14-HIMARS-Systeme. Dabei sind noch Lieferungen von mindestens weiteren 20 bis 30 solcher Anlagen aus den USA und Großbritannien geplant.

„Hochpräzise Mehrfachraketenwerfer und Artilleriewaffen aus der NATO beschießen ständig das Territorium Russlands, aber auch Städte des Donbass und andere Orte der Ukraine, die sich unter der Kontrolle der Streitkräfte der Russischen Föderation und ihren Verbündeten befinden. Die Lieferungen solcher Waffen sind eine weitere Eskalation des Konflikts“, erklärte der „NG“ der Militärexperte und Oberst im Ruhestand Nikolaj Schulgin. „Wir kämpfen bereits inoffiziell gegen die NATO, die den ukrainischen Streitkräften neueste waffen liefert, ukrainische Soldaten und Offiziere, sie in ihren Lazaretten behandelt sowie mit Beratern ausstattet, die Handlungen gegen die russischen Truppen und die Bürgerwehr der Donbass-Republiken DVR und LVR leiten. Dem können nicht nur aktivere Handlungen ein Ende bereiten, sondern auch eine Vernichtung der kritischen Infrastruktur des Gegners“. Eine analoge Meinung bekunden auch andere russische Militärexperten, die dabei den Anschein erwecken: Ein Recht auf Selbstverteidigung auch mit Hilfe anderer Staaten stehe der Ukraine nicht zu. Der bekannte Blogger und Vertreter der Bürgerwehr Vladlen Tatarskij ist der Auffassung, dass „in diesem Herbst und Winter eine neue Etappe“ des Konflikts beginnen werde. „Es ist schon klar, dass wir faktisch gegen den ganzen NATO-Block kämpfen, wo jedes der Mitgliedsländer in der einen oder anderen Weise teilnimmt“. Der Militärjournalist und „Analytiker“ Alexander Sladkow vom russischen Staatsfernsehen stellt sich die Frage: Ist Moskau zu einer Zerstörung des gesamten Energiesystems der Ukraine bereit? Und er antwortet auch selbst: „Möglicherwiese ist es auch bereit. Aber dafür muss … ein ausreichendes Angriffspotenzial für konkrete Ziele akkumuliert werden. Dies ist ja kein Lahmlegen der Stromversorgung einer Stadt, sondern des größten europäischen Landes“.

„In den Medien wird erneut die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes von Kernwaffen durch Russland diskutiert“, erklärte der „NG“ der Militärexperte und Generalleutnant im Ruhestand Jurij Netkatschjow. „Strategische Kernwaffen werden scheinbar effektiv angewendet, wenn die NATO eine rote Linie überschreitet und eine großangelegte Aggression gegen die Russische Föderation beginnt. Solch ein Konflikt ist wenig wahrscheinlich. Die NATO führt einen Hybridkrieg gegen Russland. Und da ist alles komplizierter. In der Welt begreift man, dass taktische Kernwaffen durch Moskau effektiv eingesetzt werden können, wenn es dazu eine politische Entscheidung geben wird. Bisher gibt es sie nicht. Sie kann aber erfolgen, wenn im Verlauf der Sonderoperation beschlossen wird, aktiv und rasch die kritische Infrastruktur lahmzulegen – große logistische Routen, elektrische Fernleitungen, Kraftwerksobjekte, Brücken, Militärstäbe, Arsenal, Depots usw.“