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Russland bleibt ohne ausländische Direktinvestitionen


Die ausländischen Direktinvestitionen (ADI) in die russische Wirtschaft sind im ersten Halbjahr um fast 75 Prozent im Vergleich zu diesem Zeitraum des Jahres 2019 zurückgegangen. Der Kapitalabfluss hat sich dagegen beschleunigt, wobei er auf das Jahr hochgerechnet um 24 Prozent bis auf 29 Milliarden US-Dollar angestiegen ist. Solche Angaben macht die Zentralbank Russlands (ZBR). Experten bringen das Nachlassen des Interesses der Investoren an Russland nicht nur mit den Folgen der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Krise in einen Zusammenhang, sondern auch mit dem Versprechen der Offiziellen, eine erhöhte Dividendensteuer für Ausländer einzuführen. Im Rechnungshof (RH) bezeichnet man diese Entscheidung als einen Fehler, wobei die Auffassung vertreten wird, dass die Steuer-Novitäten lediglich das ohnehin schwierige Investitionsklima in der Russischen Föderation verschlechtern werden. 

Laut den Ergebnissen des ersten Halbjahres von 2020 machten die Direktinvestitionen der Nichtresidenten in den Nichtbankensektor der russischen Wirtschaft 4,2 Milliarden US-Dollar aus, was etwas mehr als ein Viertel im Vergleich zum analogen Zeitraum des Vorjahres ist, teilte die ZBR mit. Der Kapitalabfluss beschleunigte sich dabei. Hinsichtlich der Ergebnisse der ersten sechs Monate sind aus der Russischen Föderation fast 29 Milliarden US-Dollar abgeflossen. Dies ist um 24 Prozent mehr als im Jahr zuvor, folgt aus der Statistik des Regulators.

Obgleich, eine Frage bleibt: Mit inwieweit „reinen“ Investitionen haben wir es zu tun? Wirtschaftsexperten aus dem Institut für Internationale Finanzen (IIF) hatten zuvor mitgeteilt, dass, wenn man aus der Struktur der ADI das Reinvestieren von Einnahmen ausschließt und nur die reinen „echten“ ausländischen Investitionen belässt, die Werte der Russischen Föderation schlechter ausfallen werden als die von Nigeria und Venezuela (siehe „NG“ vom 29.10.2019 – https://www.ng.ru/economics/2019-10-29/1_7714_capital.html).

Besonders spürbar ist das Nachlassen der Aktivitäten ausländischer Investoren auf dem Immobilienmarkt. So ist laut den Ergebnissen des ersten Halbjahres des Jahres 2020 das Volumen der Investitionen in Immobilien Russlands durch ausländische Investoren um das 7fache bis auf 3,7 Milliarden Rubel eingebrochen, teilte man in der Firma Knight Frank mit. Und dies, während das Gesamtvolumen der Investitionen in Immobilien Russlands im ersten Halbjahr um 24 Prozent bis auf 88 Milliarden Rubel zurückgegangen ist. „Der Anteil der ausländischen Investitionen ging im zweiten Quartal weiter zurück, wobei er sich von 6 Prozent im ersten bis auf 1 Prozent verringerte“, bestätigten die Fachleute des Unternehmens CBRE. 

Experten schließen nicht aus, dass in der Jahresbilanz die Aktivität der ausländischen Investoren die geringsten Werte für die letzten zehn Jahre ausweisen wird. Neben den offensichtlichen Ursachen wie die Corona-Pandemie und Volatilität des Rubelkurses wirkte, wie man bei Knight Frank meint, auch die Erklärung von Präsident Wladimir Putin auf die Stimmungen der Investoren. Er hatte versprochen, eine 15-Prozent-Steuer auf die Einkommen ausländischer Personen und Unternehmen einzuführen. „Eine ähnliche Tendenz wird mit größerer Wahrscheinlichkeit mindestens bis Ende des kommenden Jahres anhalten“, wird in einer Mitteilung des Unternehmens betont.

Es sei daran erinnert, dass das russische Staatsoberhaupt Ende März vorgeschlagen hat, die ins Ausland zu transferierenden Dividenden mit 15 Prozent zu besteuern. „Ich schlage für diejenigen vor, die ihre Einkünfte in Form von Dividenden auf ausländische Konten transferieren, einen Steuersatz für solche Dividenden von 15 Prozent vorzusehen“, hatte er erklärt. Das Staatsoberhaupt betonte gleichfalls, dass diese Neuerung eine Korrektur der Doppelbesteuerungsabkommen mit einigen Ländern erfordere. „Wenn die ausländischen Partner unsere Vorschläge nicht annehmen, wird Russland einseitig aus diesen Abkommen aussteigen“, warnte Putin (siehe „NG“ vom 25.03.2020 – https://www.ng.ru/politics/2020-03-25/1_7826_putin.html). 

Im Rechnungshof „bedauerte“ man die Annahme der Entscheidung. „Diese (Anhebung der Steuer für Dividenden und Zinszahlungen – „NG“) verringert den Stimulus zum Sparen und verschlechtert unsere Beziehungen mit anderen Jurisdiktionen“, erläuterte Alexej Kudrin, Chef des Rechnungshofs, während seiner Vorlesung in der Russischen Wirtschaftsschule. Er sagte gleichfalls, dass Russland derzeit aufgrund dessen gezwungen sei, schwierige Verhandlungen über eine Revision der Doppelbesteuerungsabkommen zu führen.

„Ich bin der Auffassung, dass dies eine Verschlechterung des Investitionsklimas ist. Solche Entscheidungen muss man sehr akkurat treffen“, unterstrich Kudrin. Zusammen mit den anderen Steueränderungen verursachen sie bei den Unternehmern Nervosität. „Wenn die Regierung versprochen hat, die Steuern nicht zu ändern, so ist es besser, dies vorerst nicht anzurühren. Man muss Vertrauen schaffen“, resümierte Kudrin.

Nach Meinung einer Reihe von Experten der „NG“ liege das Problem nicht nur in den steuerlichen Neuerungen der Offiziellen. „Die Ursache für den Rückgang der ADI im ersten Halbjahr des Jahres 2020 bestehe nicht in der Anhebung der Steuer für die Offshore-Akteure, sondern in den Folgen der Coronavirus-Pandemie. Die Wirkung durch die Anhebung des Steuersatzes wird doch unsere Wirtschaft erst im Jahr 2021 zu spüren bekommen. Der Effekt der beinahe drei Monate lang pausierenden Wirtschaft aber wird sich das gesamte Jahr 2020 auswirken“, meint Lasar Badalow, Dozent der Finanzuniversität bei der Regierung Russlands. 

„Die allgemeine Situation in der Wirtschaft der Russischen Föderation vermag, beginnend ab März des laufenden Jahres, bisher keine Attraktivität ihres realen Sektors zu schaffen. Einerseits ist da das Einbrechen des Rohstoffmarktes, und andererseits – das drastische Einbrechen der Rentabilität praktisch in allen Sektoren“, meint Oleg Tscherednitschenko, Dozent der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Doch auch eine Steueranhebung bis auf 15 Prozent könne wohl kaum zu einem Driver für die Zunahme der ausländischen Investitionen werden, sagt der Leiter des Departments für korporative Finanzen der Finanzuniversität, Konstantin Ordow.

Was aber den Immobilienmarkt betreffe, so weiter Konstantin Ordow, so habe das ausländische Kapital in den letzten fünf Jahren nach Formen für ein Aussteigen aus russischen kommerziellen Immobilienobjekten gesucht. „Die Quadratmeter-Preise in Rubeln haben sich fast nicht verändert, in Dollar aber sind sie erheblich eingebrochen. Die Offshore-Unternehmen sind mit einer geringen Liquidität des Immobilienmarktes konfrontiert worden. Und bei den letzten großen Vertragsabschlüssen sind als Käufer staatliche Organe oder Unternehmen mit einer staatlichen Beteiligung aufgetreten“, erläutert er.

Tscherednitschenko lenkt das Augenmerk auf die Dynamik des Kapitalabflusses aus der Russischen Föderation. „In der Struktur dieses Abflusses ist es nicht ohne russisches Kapital abgegangen“, unterstreicht er. Seiner Meinung nach gebe es dafür eine Vielzahl von Ursachen: „Dies ist sowohl die Billigung des Gesetzesentwurfs durch die Staatsduma über die Einführung einer totalen Kontrolle der Operationen mit Bargeld, aber auch die Senkung des Leitzins und letztlich auch das generelle Nachlassen der Geschäftsaktivitäten“. Was aber die Anhebung der Dividendensteuer angehe, so sei dies eher das „Sahnehäubchen auf der Torte“ in Ergänzung zu den anderen Erschütterungen, resümiert er.