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Russland: Die Bevölkerung wird immer ärmer und die Lebensmittel immer teurer


Warum werden in Russland die Lebensmittel teurer — ist eine beinahe rhetorische Frage. Vor kurzem hat man der Öffentlichkeit den „Haupt-“ Schuldigen gezeigt, das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung. Obgleich der Einfluss des Rubelkurses, der sich im Zuständigkeitsbereich der Zentralbank befindet, auch nirgendwohin verschwunden ist. Wie gleichfalls der Einfluss anderer Aufwendungen, die sich in der Zeit der Pandemie ausgewirkt haben. Angebrachter ist es, von einer kollektiven Verantwortung und systematischen Flops zu sprechen. Der Einzelhandel, auf dessen Gewissen die Preisaufschläge liegen, erläutern, dass sich das Ministerium für Industrie und Handel, das Landwirtschaftsministerium und das Kartellamt mit der Legitimierung das Ansteigens der Preise befassen würden. Die Erzeuger haben gleichfalls ihre Preise angehoben. Im Januar mit einem fast zweimal schnelleren Tempo als die Inflationsrate. Und dies bedeutet, dass im Einzelhandel im Weiteren eine neue Preisexplosion möglich ist. Das Land ist in die Stagflationsfalle geraten.

Die neuen Angaben von Rosstat (dem Statistikamt Russlands – Anmerkung der Redaktion) über das Ansteigen der Preise der Erzeuger veranlasst zu der Vermutung, dass uns ein neuer drastischer Anstieg der Einzelhandelspreise für die Waren, darunter für die Lebensmittel erwartet.

So sind laut Rosstat auf dem Gebiet der Lebensmittel die Preise der Erzeuger im Januar dieses Jahres gleich um 12,4 Prozent im Vergleich zum Januar des Vorjahres hochgeschnellt. Übrigens, im vergangenen Jahr waren dagegen im Januar, als noch keiner die Gefahr der Pandemie ernsthaft zur Kenntnis genommen hatte, die Preise der Erzeuger in Russland zurückgegangen. Nunmehr steigen die Preise der Erzeuger von Nahrungsmitteln beinahe mit einem zweimal größeren Tempo als die Inflationsrate hinsichtlich der Lebensmittelpreise.

Zuvor war es in den Inflationsfragen zu einer Akzentverschiebung gekommen – von den Aktionen der Zentralbank zur Rolle des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung, das Ende vergangenen Jahres beinahe als eine der Hauptinstitutionen dargestellt wurde, die für den Preisanstieg verantwortlich sind. Während bis Ende des Jahres 2020 der Kurs des Rubels in Bezug auf den Dollar um etwa 20 Prozent eingebrochen war (und der Währungskurs befindet sich im Zuständigkeitsbereich der ZB), las Präsident Wladimir Putin dem Leiter des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung, Maxim Reschetnikow, aufgrund der „Experimente“ mit den Preisen für die Grundnahrungsmittel die Leviten.

Diesem Schau-Gespräch war besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden. Man zeigte es extra im Fernsehen. „Die Menschen schränken sich ein, da sie kein Geld für die Grundnahrungsmittel haben. Wo schauen Sie denn hin?! Ja, dies ist die Frage! Dies sind doch keine Witzchen!“ reagierte der Präsident damals auf den Bericht von Reschetnikow.

In der Regierung hat man Maßnahmen ergriffen: Man verhängte Einschränkungen für den Export, und dann befasste man sich mit der staatlichen Regulierung der Preise für Zucker und Sonnenblumenöl.

Freilich, wie in der Öffentlichen Kammer erläutert wurde, mache der Kampf gegen den Anstieg der Preise für diese Waren insgesamt die Lebensmittel für die Bevölkerung nicht erschwinglicher, besonders wenn man berücksichtige, dass ausgehend von den Verbrauchsnormen die Bürger einen Großteil ihres Budgets für Fleisch, Molkereiprodukte, Fisch, Gemüse usw. ausgeben sollen.

In der Vereinigung der Unternehmen des Einzelhandels berichtete man, was für Maßnahmen als Antwort auf den sprunghaften Anstieg der Erzeugerpreise ergriffen werden. „Üblicherweise werden die von den Erzeugern und Lieferanten eingehenden Bitten hinsichtlich einer Änderung der Einkaufspreise durch die Handelsketten hinsichtlich der Begründetheit sorgfältig geprüft.“

Die Vereinigung der Unternehmen des Einzelhandels hat auch noch eine wichtige Präzisierung vorgenommen: „Bei Bedarf werden zur Prüfung der Begründetheit des jeweiligen Antrags Spezialisten aus dem Industrie- und Handels- und dem Landwirtschaftsministerium und in einzelnen Fällen – des Kartellamts hinzugezogen“. Also gibt es bei diesem Prozess seitens der Regierung erheblich mehr Teilnehmer als das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung.

Und wenn die Gründe für eine Anhebung der Preise objektiv sind, so werden sich, wie die Vereinigung der Unternehmen des Einzelhandels versichert, „die Handelsketten auf eine Erhöhung der Einkaufspreise einlassen, wobei sie gleichzeitig auf maximale Weise die Veränderungen in den Regalen zu Lasten eigener Ressourcen zügeln und nach Möglichkeit eine drastische Korrektur der Einzelhandelspreise vermeiden“.

„Das erhöhte Niveau des Indexes der Preise der Erzeuger hat sich in Vielem aufgrund der Verschiebung der Rubelschwäche und des Ansteigens der Preise auf den internationalen Warenmärkten herausgebildet“, erläuterte Jewgenij Mironjuk, Analytiker des Investitionsunternehmens „Freedom Finance“ gegenüber der „NG“.

Derzeit werde der Preisanstieg „durch die drastisch zugenommene Inflation der Kosten“ ausgelöst, sagte gegenüber der „NG“ der Analytiker des Unternehmens „Finam“, Alexej Korenew. „Hinsichtlich der gesamten Kette der Erzeuger, Industriellen, der Logistik und des Einzelhandels haben sich die Operationskosten wesentlich erhöht. Es ist weitaus schwerer, solch eine Inflation zu bekämpfen. Sie lässt sich nicht durch die Mechanismen einer monetären Regulierung beeinflussen“, sagte der Experte. Wie Korenew warnt, „ist die Inflation der Kosten durchaus in der Lage, zu einer Stagflation auszuarten, wenn die Preise für die Waren und Dienstleistungen vor dem Hintergrund des Rückgangs der Bevölkerungseinnahmen und einer langwierigen schweren Stagnation der Wirtschaft steigen“. Der Experte fügte aber auch hinzu, dass „Russland auf kritischer Weise von Importanlagen und -ausrüstungen sowie Rohstoffen abhängt“. Nach seinen Schätzungen übersteige diese Abhängigkeit in einigen Fällen mehr als 50 Prozent. Mitunter aber komme sie sogar fast an die 100 Prozent heran.

Mironjuk vermutet, dass der sprunghafte Anstieg der Preise der Erzeuger möglicherweise keine „Vorankündigung“ für den Preisanstieg im Einzelhandel sein werde. Seiner Meinung nach gebe es aber dennoch objektive Voraussetzungen für eine Beschleunigung der Inflation, unter ihnen – die Zunahme der Volatilität der nationalen Währung, die Unbestimmtheit im Zusammenhang mit dem Andauern der Pandemie und die Zunahme der Inflationserwartungen.

„Das Halten der Inflationsrate in der Nähe des anvisierten Niveaus ist die Hauptaufgabe der Zentralbank. Die von ihr zu ergreifenden Maßnahmen verursachen jedoch keine augenblickliche Wirkung auf die Preise. Es gibt ein bestimmtes Zeitfenster zwischen den Handlungen der Zentralbank und der Veränderung der Preise“, sagte Pawel Trunin, Sektorenleiter des Je.-T.-Gaidar-Instituts für Wirtschaftspolitik. Eine weitere Abschwächung der Geld- und Kreditpolitik ist unter den aktuellen Bedingungen sichtlich schwierig. „Mittels administrativer Restriktionen versucht die Regierung, die Preise operativ zu beeinflussen. Diese Maßnahmen werden jedoch hinsichtlich der bereits angestiegenen Preise ergriffen. Und dies erklärt ihre eingeschränkte Effektivität“, fügte Trunin hinzu.

„Jegliche restriktive Maßnahme auf dem Markt wird als ein Omen für einen Angebotsmangel aufgefasst. Im Ergebnis werden die Preise für Lebensmittel oder Dienstleistungen als eine präventive Reaktion schneller in die Höhe gehen, als wenn sie sich ohne Moratorien und Sperrmaßnahmen erhöht hätten“, wies Anna Bodrowa, Senior Analytikerin des Zentrums „Alpari“, hin. Als erste Ursache für das Ansteigen der Preise für Lebensmittel im Land nennt die Expertin vor allem das Fehlen einer Priorität des Binnenmarktes gegenüber den Exportaufgaben.

„Die Preise des Einzelhandels beeinflussen die Kosten der Ressourcen, vor allem der Energieressourcen. Unter den energieaufwendigsten Waren sind Gewächshaustomaten und -gurken, Haushaltschemie, Baumaterialien und Metallerzeugnisse, Brot und Räucherwaren“, erläuterte Prof. Wjatscheslaw Tscheglow aus der Russischen G.-V.-Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Hinsichtlich der Energieressourcen ist der Staat seinen Worten zufolge „in der Lage, direkt Korrekturen an deren Wert vorzunehmen“.

Wie Korenew meint, gebe es einen Ausweg aus der Preis-Sackgasse- Und dies seien keine Restriktionen, sondern eine staatliche Unterstützung in Form einer Subventionierung der Unternehmen der gesamten Kette – „vom Feld bis zum Tisch“ – in Bezug einer Kompensierung der drastisch angestiegenen Unkosten.

Das Landwirtschaftsministerium bewertet derzeit bereits die Situation als eine stabile und sieht keine Gründe für einen sprunghaften Anstieg der Kosten der Lebensmittelwaren. „Die bereits von der Regierung ergriffenen Maßnahmen erlauben, den Binnenmarkt mit ausreichenden Mengen an Erzeugnissen zu erschwinglichen Preisen zu versorgen und die von der internationalen Konjunktur am meisten abhängenden Bereiche des Agrar-Industrie-Komplexes zu unterstützen, wobei die notwendige Rentabilitätsrate der Betriebe der Viehwirtschaft, des Pflanzenbaus und der Verarbeitung gewahrt wird“, teilte man der „NG“ im Pressedienst des Ministeriums von Dmitrij Patruschew mit.

„Die Versorgung der Bevölkerung mit erschwinglichen, sozial bedeutsamen Nahrungsmitteln ist eine unbedingte Priorität in der Arbeit des Landwirtschaftsministeriums und der anderen interessierten Institutionen. Das Ministerium plant, die Maßnahmen zur staatlichen Unterstützung der Erzeuger weiter zu vervollkommnen“, fügte man im Ministerium hinzu.

Wenn es um einzelne Arten von Nahrungsmitteln geht, so werde, wie man im Landwirtschaftsministerium präzisierte, eine Preiskorrektur für Kartoffeln ab Juni des Jahres 2021 erwartet. Die Zunahme der Kosten für Futtermittel und Importkomponenten und eine Verschlechterung der epizootischen Situation in einer Reihe von Regionen vor dem Hintergrund der Erhöhung der Verbrauchernachfrage nach Geflügelfleisch und Eiern können Voraussetzungen für eine gewisse Erhöhung der Abgabepreise in der kurzfristigen Perspektive schaffen… Gleichzeitig erwartet das Landwirtschaftsministerium, dass sich bis Ende des I. Quartals das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage stabilisiert“, fügte man im Ministerium hinzu. „Im Jahr 2021 gibt es keine Voraussetzungen für eine signifikante Zunahme der Preise für Geflügelfleisch und Eier, die insgesamt im Rahmen der Inflation der Lebensmittelpreise bleibt“.