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Russland: Droht Kindern von Gastarbeitern, ohne eine Schulbildung zu bleiben?


 

Den Kindern von Migranten müsse man in speziellen Zentren noch vor der Einschulung die russische Sprache vermitteln. Es sei unzulässig, Kinder mit einem unzureichenden Grad seiner Beherrschung in allgemeinbildende Schuleinrichtungen aufzunehmen, meint der Vorsitzende des Präsidialrates für Menschenrechtsfragen, Valerij Fadejew. Zuvor hatte der Chef der Partei „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“, Sergej Mironow, dem russischen Bildungsminister Sergej Krawzow vorgeschlagen, eine Obergrenze hinsichtlich der Zahl von Ausländer-Kindern mit mangelhaften Russisch-Kenntnissen in den Schulen festzulegen. Deren Anzahl dürfe nach Meinung des 70jährigen Politikers keine zehn Prozent von allen Schülern einer Klasse überschreiten.

„Das Gesetz erlaubt nicht, Kinder nicht einzuschulen. Folglich muss man das Gesetz ändern“, sagte Fadejew auf einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche. „Im Gesetz muss es zwei Bedingungen geben: Es dürfen keine Kinder eingeschult werden, die die russische Sprache nicht beherrschen. Und dieses Gesetz muss auch eine Vermittlung der russischen Sprache in einem speziellen Zentrum fordern, nicht zurückweisen… Wir müssen die Verfassungsnorm erfüllen, das (jeweilige) Kind ausbilden, ihm die Möglichkeit geben, normal in einer Schule zu lernen“, erklärte er.

Fadejew und Mironow waren sich in einem einig: Die Kinder, die die russische Sprache nicht in einem ausreichenden Maße beherrschen, sind eine Last für die Schule. Fadejew ist sich aber nicht sicher, dass diese Zentren kommerzielle sein sollten, wie dies Mironow zu organisieren vorgeschlagen hatte. „Wenn wir Migranten einladen, wenn wir der Meinung sind, dass sie unser Land braucht, so muss man sicherlich diese Kinder auf Kosten des Staates ausbilden. Dies ist meine Position. Den Arbeitsmigranten (Gastarbeitern) zusätzliche Maßnahmen und Kosten aufzuerlegen, ist nicht ganz gerecht“, betonte Fadejew, wobei er auf die Unterstützung des Bildungsministeriums verwies.

Grund für eine Quote laut Mironow sei: Der Grad der Beherrschung der russischen Sprache wirkt als Hauptfaktor für die Einbeziehung des Kindes in den Ausbildungsprozess. Daher müsse man die Anzahl der Kinder ausländischer Staatsbürger und der Kinder mit unzureichenden Russisch-Kenntnissen in einer allgemeinbildenden Schulklasse begrenzen – nicht mehr als zehn Prozent von der gesamten Anzahl der Schüler.

Und die erste Frage ist hier, warum denn zehn und nicht fünf oder nicht zwanzig Prozent? Natürlich, von zehn Prozent, die mit der Migration und Akkulturation (Übernahme von Elementen einer fremden Kultur durch den Einzelnen oder eine Gruppe, Sprich: kultureller Anpassungsprozess) verbunden sind, sprechen viele… Wissenschaftler von der britischen Exeter University verallgemeinerten statistische Informationen, die im Verlauf anderer Studien gesammelt worden waren, und entwickelten sogar ein gewisses mathematisches Modell, das erlaubt, die Auswirkung der Migration auf die kulturelle Vielfalt zu beurteilen. Gemäß diesem Modell würde, wenn die Anzahl der Einwanderer in einem Land keine zehn Prozent in jeder Generation überschreitet und wenn zumindest jeder fünfte Ankömmling die bestehende „Kultur der Mehrheit“ akzeptiert, die Identität des Landes nichts gefährden. Und dennoch, warum gerade zehn Prozent der Schüler in einer Klasse?

Der nächste Aspekt betrifft die Umsetzung der eigentlichen Idee der Einschränkungen. Ja, in Russland gibt es Schulen, wo es sehr wenige Schulkinder aus der einheimischen Bevölkerung gibt. Und alle übrigen Schüler sind Kinder von Ausländern, die schlecht Russisch sprechen. Solche Schulen bezeichnen die Einheimischen als Migranten-Schulen.

Wie haben sie sich herausgebildet? Gute Schulen haben die Möglichkeit einer Auswahl von Schülern und schulen oft unter unterschiedlichen Vorwänden keine Kinder von Einwanderern ein. Die Schuldirektoren befürchten Komplikationen bei einer Anpassung der Ausländer und ein Absacken der Ausbildungsergebnisse für die übrigen Schüler. Ja, aber weniger effektive Schulen nehmen aufgrund der Risiken, zu wenig Jungen und Mädchen einzuschulen, und einer Schließung jegliches Kontingent auf. Man nimmt auch Kinder aus schwierigen bzw. sozial auffälligen, aus unvollständigen und armen Familien auf. Man nimmt Kinder mit einem asozialen Verhalten auf. Und man nimmt halt auch Migrantenkinder auf, die die russische Sprache nicht beherrschen.

Die nationale Struktur der ausländischen Kinder-Community siegt laut Angaben aus dem russischen Bildungsministerium so aus: Am meisten werden in den Schulen Kinder aus Familien aus Aserbaidschan, Armenien und Georgien (22,6 Prozent) unterrichtet. Hinsichtlich der Anzahl rangieren auf dem zweiten Rang Kinder von Inlandsmigranten aus den nordkaukasischen Republiken der Russischen Föderation – Tschetschenien und Dagestan (elf Prozent). Auf dem dritten Rang liegen Kinder von Tadschiken, Usbeken und Kirgisen (8,5 Prozent). Bereits anhand dieser Zahlen ist zu sehen, dass man die Kinder von Einwanderern bedingt in die Gruppen „assimilierte“ und „jüngst angekommene“ unterteilen kann.

Wissenschaftler aus der in Moskau ansässigen Hochschule für Wirtschaftswissenschaften analysierten die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen und sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass, wenn die Familien von Ausländern schon lange in Russland leben und in das örtliche Leben integriert sind, deren Kinder in der Regel keine sprachlichen und keine anderen Probleme haben, die durch die kulturellen Unterschiede bedingt sind. Eine ganz andere Sache sind aber die jüngst angekommenen ausländischen Menschen. Unter ihnen hat die Anzahl der Familien zugenommen, in denen die Eltern die russische Sprache nicht beherrschen. Sie besitzen einen geringen sozialen Status und sind ohne eine Ausbildung.

Was tut sich letztlich heute? Die Eltern der jungen einheimischen Einwohner befürchten eine große Anzahl nicht russischsprechender Schüler in den Klassen und dementsprechend einen Rückgang des Ausbildungsniveaus im Zusammenhang damit. Die Familien der Einwanderer haben aber Angst vor Kontakten mit den staatlichen Schulen und zuständigen Beamten. Und die Schulen schaffen Barrieren, die die Einwanderer mitunter nötigen, auf die Leistungen der Schulen in der jeweiligen Region zu verzichten. Es gibt Situationen, in denen die Kinder von Einwanderer nicht in Klassen entsprechend ihres Alters kommen, sondern in Klassen mit Schülern, die ein, zwei Jahre jünger sind. Dabei fühlt sich das betroffene Kind als ein Outsider in der Klasse und kann sich weigern, weiterhin in die Schule zu gehen. Und solche Kinder können sich so lange Zeit außerhalb von Schulen befinden, ohne eine Ausbildung bleiben. Ausländische Eltern lassen sich manchmal gar bewusst darauf ein, dass ihre Kinder ohne eine Schulausbildung bleiben, dafür aber beispielsweise auf jüngere Geschwister aufpassen.

Wenn man Quoten von zehn Prozent einführt, so kann dies im Weiteren zu einer Zunahme der Anzahl von Kindern außerhalb der Schulklassen führen, zu einem Verlassen Russlands durch die Ausländer-Familien sowie zu einer Zunahme der Anzahl von Bestechungsversuchen bei der Einschulung der Kinder und noch zu vielen anderen Prozessen, die indirekt mit diesem Aspekt verbunden sind.

In der Regel bringen die ausländischen Familien ihre Kinder mit, die sich in Russland sicher fühlen. D. h., sie sind in die örtliche Wirtschaft integriert, sie beabsichtigen, sich im Land niederzulassen. Und ihre Kinder können sich recht schnell in die neuen Kollektive integrieren. Die Assimilierung solcher Kinder würde schneller erfolgen, wenn es Programme für eine Vermittlung der russischen Sprache als eine Fremdsprache geben würde. Heute aber müssen sich die Schulen damit befassen und werde nicht immer mit dieser Aufgabe fertig.