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Russland gegen das „Imperium der Lüge“: eine existentielle Herausforderung


Wladimir Putin versuchte in seiner Ansprache an das Volk in den frühen Morgenstunden des 24. Februars (da die Erstausstrahlung um 5.30 Uhr Moskauer Ortszeit erfolgte, wurde sie im weiteren Tagesverlauf noch mehrfach wiederholt – Anmerkung der Redaktion), nach der die „begrenzte Militäroperation“ russischer Truppen auf dem Territorium der Ukraine begonnen hat (unter Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität der Ukraine – Anmerkung der Redaktion), die Logik der eigenen Entscheidungen mit einer Zunahme existenzieller Bedrohungen für unser Land zu begründen. „Dies ist eine Frage von Leben und Tod, eine Frage unserer historischen Zukunft als Volk“. Die Gefahr gehe vom Territorium der Ukraine aus, die sich in ein „Anti-Russland“ verwandelt hätte und unter eine vollkommene äußere Kontrolle gestellt worden sei.

Ungeachtet seiner Anmerkung, dass eine Okkupation ukrainischer Territorien nicht zu den Plänen Russlands gehöre, hat er recht klare Aufgaben gestellt sowie Grundsätze und Ziele für die „begrenzte Militäroperation“ gestellt: eine Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine, aber auch „eine Übergabe jener an ein Gericht, die zahlreiche und blutige Verbrechen gegen Zivilisten begangen haben“, darunter auch gegen Bürger Russlands.

Putin sprach gleichfalls vom Recht der Nationen auf Selbstbestimmung entsprechend der UNO-Charta und beklagte, dass das ukrainische Volk nie „irgendwer gefragt hat, wie es sein Leben gestalten möchte“. Dies muss so verstanden werden, dass sich jetzt in der Ukraine solch eine Möglichkeit ergeben und dass Volk sich endlich selbst bestimmen werde. Putin äußerte sich in dieser Hinsicht zu seiner Sicht hinsichtlich der erwünschten Zukunft: die Schaffung von Bedingungen dafür, was „uns ungeachtet des Bestehens der Staatsgrenzen von innen her als ein einheitliches Ganzes stärken würde. Ich glaube daran. Gerade solch eine ist unsere Hoffnung“.

Solch ein Zukunftsbild (nach den Vorstellungen und Wünschen Putins – Anmerkung der Redaktion) sieht wie ein fantastisch günstiges aus, wenn nicht gar wie ein utopisches. Mit welcher der ehemaligen Sowjetrepubliken ist es gelungen, in den 30 Jahren nach dem Zusammenbruch der UdSSR „ein einheitliches Ganzes“ ungeachtet der Grenzen zu schaffen?

Putin bemühte sich in seiner Ansprache, ein System von Argumenten und Gegenargumenten unterschiedlicher Ebenen zu entwerfen, die durch seine Anhänger im Verlauf des unweigerlichen Propaganda-Krieges aktiv verwendet werden können. Er begründete detailliert das Verhalten Russlands als Selbstverteidigung. Er illustriert das Abgehen des Westens von den Normen des Völkerrechts mit den Bombardements von Belgrad, Libyen, dem Irak und Syrien. In letzterem erfolgten die Kampfhandlungen der westlichen Koalition ohne eine Zustimmung der syrischen Regierung und ohne eine Sanktionierung durch den UN-Sicherheitsrat. Er charakterisierte diese Handlungen als Aggression und Intervention.

Er gab dem Westen und seinem Anführer – den USA – gleichfalls eine umfangreiche moralisch-ethische Charakterisierung unter reichlicher Verwendung von Epitheta. Dies sei ein „Imperium der Lüge“, das sich „mit einem zynischen Betrüg, Lügen, Ausübung von Druck und Erpressung“ befasse. Das „betrügerische Verhalten“ des Westens widerspreche den „allgemein anerkannten Normen von Moral und Ethik“. Putin stellt sich die Frage: „Wo sind denn da die Gerechtigkeit und Wahrheit?“. Und er antwortet gleich selbst: „Da ist eine durchgängige Lüge und Heuchlerei“.

Er warf dem Westen gleichfalls unaufhörliche Versuche vor, „unsere traditionellen Werte zu zerstören und uns seine Pseudowerte aufzuzwingen, die uns, unser Volk von innen her zerfressen würden“.

Was wird in dieser Operation als ein Erfolg Russlands angesehen?

In militärischer Hinsicht kann man zumindest eine Unterdrückung des zentralisierten Widerstands der regulären Truppen ausmachen. Ja, aber in der Politik? Das Bild eines Erfolgs ergibt sich bisher nicht. In erster Linie, weil die Handlungen Russlands durch den UNO-Generalsekretär faktisch als inakzeptable bezeichnet wurden. Und gerade an die UNO als entscheidendes Institut der Weltpolitik hatten wir das letzte Jahrzehnt appelliert. Die äußerst negative Haltung des Westens gegenüber unseren Handlungen kann man da sogar gar nicht erst erwähnen.

Nun, und natürlich werden die heutigen Kriegsereignisse auch einen unmittelbaren Einfluss auf die Innenpolitik Russlands haben. Der Machttransit ist abgeschlossen worden. Eine Ablösung Putins an der Spitze des Landes ist unter solchen Bedingungen von der Agenda genommen. Schließt lässt ein verantwortungsvoller Politiker sein Volk nicht im Stich, wenn das Land von Feinden und russophoben (antirussischen) Kräften, von Sanktionen und einer Erpressung umgeben ist.

Nun, und noch eines: Jetzt kann man bereits als bewiesen ansehen, dass Putin Beiträge zu historischen Themen nicht aus heuristischen Erwägungen schreibt. Sondern ausschließlich als ein Praktiker.

Gern möchte man an die kluge Weisheit erinnern: Ziehst du in den Krieg, bereite zwei Särge vor. Für den Feind und für alle Fälle für sich selbst. Es ist wahnsinnig bedauerlich, dass durch des Schicksals Willen die zwei Brudervölker sich in einem Krieg gegenüberstehen. Und Opfer nicht zu vermeiden sind. Wen auch immer man für sie letzten Endes verantwortlich macht…