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Russland gestaltet eine neue Infrastruktur für die Gaslieferungen nach Europa


Mit der Inbetriebnahme der Gaspipeline „Nord Stream 2“ wird die Gestaltung einer neuen Konfiguration der Infrastruktur für die Exportlieferungen von Pipelinegas aus Russland nach Europa abgeschlossen. Beendet wird der Übergang vom zu Zeiten der UdSSR geschaffenen System linearer Transitkorridore (zuerst des ukrainischen, dann des polnischen, die von den Feldern des öl- und gashöffigen Beckens Nadym-Pu-Tasow beschickt werden) zu einem radialen und Ringsystem von Export-Gasleitungen, das jetzt auch zwei neue halbe Ringe umfasst – einen nördlichen, der bereits von Feldern einer anderen Ressourcenbasis des Landes aus versorgt wird, von der Halbinsel Jamal, und einen südlichen.

Der nördliche halbe Ring umfasst die Offshore-Gaspipeline „Nord Stream 1“ mit seinen Onshore-Fortsetzungen auf dem Territorium Deutschlands (OPAL) und Tschechiens (Gazelle) in südlicher Richtung und der NEL in westlicher sowie die maritime Pipeline „Nord Stream 2“ mit seiner Onshore-Anschlussleitung (Eugal). Der südliche halbe Ring besteht aus der Offshore-Leitung „Turk Stream“ mit ihrer Festlandsfortsetzung in die EU „Balkan Stream“ über das Territorium Bulgariens, Serbiens und Ungarns. Wichtig ist zu verstehen, dass sich der nördliche und der südliche halbe Ring an den historischen Punkten für die Übergabe/Übernahme des russischen Gases entsprechend den langfristigen Verträgen schließen. Letztere befinden sich an den Enden der linearen Korridore. Diese neuen Pipelines in Europa verlaufen unweit der Untergrundgasspeicher (UGS), an denen „Gazprom“ – der Konzern, der durch die russische Gesetzgebung mit dem Recht eines als Monopolist agierenden Exporteurs von Gas über Pipelines zwecks Ausschlusses einer Gas-Gas-Konkurrenz auf dem Exportmarkt und Erhöhung der Monetisierung dieser nichterneuerbaren Energieressource Russlands ausgestattet worden ist – Anteile besitzt.

Somit ist ein verzweigtes System von Export-Gaspipelines geschaffen worden, die durch sogenannte Brückenleitungen auf dem Territorium Russlands miteinander verbunden sind. Das System wird mit Gas von verschiedenen Feldern versorgt und besitzt einen Mechanismus, um Mengen auszugleichen und zu reservieren (UGS), sowie Möglichkeiten für eine Steuerung der Gasströme innerhalb dieser neuen Konfiguration als Antwort auf verschiedenartige Herausforderungen (technischer Art und durch den Menschen verursachte), die die Stabilität der Gasversorgung beeinflussen. Solch eine Architektur der Exportlieferungen erhöht die Zuverlässigkeit und Stabilität der Gasversorgung, garantiert die störungsfreie Beförderung des Gases zu den vertraglich vereinbarten Übergabe-/Übernahme-Punkten und entspricht vollkommen den Interessen sowohl des Lieferanten-Exporteurs als auch den europäischen Kunden-Importeuren. Das nächste analoge Beispiel ist das System der radialen und Ringlinien der Moskauer Metro, das ermöglicht, problemlos im Falle zeitweiliger Störungen auf einer der Linie dennoch von einem Ort der Stadt zu einem anderen zu gelangen.

Die neue Rolle des Ukraine-Transits

Unter diesen Bedingungen wird der Bedarf an einem Transit über das ukrainische Territorium nach 2024 nicht entfallen, sondern erlangt eine andere Relevanz. Aus dem anfangs einzigen und später hauptsächlichen Transitkorridor verwandelt er sich zu einem zusätzlichen Korridor. Und zu den hauptsächlichen werden begründet die beiden neuen halben Ringe, die im Grunde genommen Umgehungsrouten sind. Dabei geht es um deren Auslastung bis zur projektierten Leistung (dies sind Fragen nach der Rentabilität der Investitionen) und eine Senkung der Kosten für den Transport (dank dem moderneren technischen Zustand, der geringeren Anzahl von Verdichterstationen und überdies der kürzeren Routen für den Transport durch beide „Nord Stream“-Pipelines), was erlaubt, die Rentabilität der Lieferungen bei geringeren Gaspreisen an den europäischen Handelsplätzen und eine bessere Umweltfreundlichkeit der neuen Leitungen (im Ergebnis des wissenschaftlich-technischen Fortschritts) zu sichern.

Die ukrainische Route im Rahmen dieser Architektur der Lieferungen erlangt die Rolle eines „ausgleichenden Infrastruktur-Elements“, was in etwa der Rolle von Saudi-Arabien entspricht, das in der jüngsten Vergangenheit als „ausgleichender Lieferant“ auf dem internationalen Ölmarkt agierte. Natürlich ist dies nur unter der Bedingung einer adäquaten Modernisierung des ukrainischen Transitkorridors möglich. Laut einer Einschätzung von KPMG übersteigt die Störanfälligkeit des ukrainischen Gastransportsystems den analogen Wert in der EU und der BRD um ein 9faches.

Woher das Geld für eine Modernisierung des Gastransportsystems nehmen

Gelder für eine Modernisierung können nur vom internationalen Kapitalmarkt und nur zu Konditionen einer Projektfinanzierung kommen. Die ideale arbeitsfähige Konfiguration dafür ist die Entwicklung eines multilateralen internationalen Investitionsprojekts mit einer obligatorischen Beteiligung internationaler Finanzinstitute zur Finanzierung der Modernisierung des Transitkorridors im Rahmen des ukrainischen Gastransportsystems, der als eine isolierte marktwirtschaftliche Zone etabliert wird. Die seit 2011 auf dem Territorium der Ukraine angewandte Energiegesetzgebung der EU erlaubt dies. Zu Teilen solch einer gesonderten marktwirtschaftlichen Zone müssten die Gaspipelines Urengoi-Pomary-Uschgorod und „Progress“ werden, die parallel und dicht zueinander verlaufen.

Gerade internationale Finanzinstitute müssten zu Gläubigern bzw. Kreditgebern im Rahmen des Projekts werden, wobei die politisierte bilaterale Frage des Transits zu einer entpolitisierten multilateralen Aufgabe für eine standardmäßige Projektfinanzierung gemäß den Regeln und den Reglements der internationalen Finanzinstitute umfunktioniert wird. Eine Rentabilität der Investitionen für solch eine Modernisierung kann nur durch ein Pumpen russischen Erdgases durch den modernisierten Korridor in die EU gewährleistet werden. Folglich sind langfristige Verträge zwischen den europäischen Käufern und dem russischen Lieferanten als Absicherung der Rentabilität der Investitionen (Kapitalrentabilität) erforderlich. Als Kreditnehmer muss der Betreiber des Gastransportsystem der Ukraine oder ein anderes Unternehmen – der eigenständige Betreiber der neugebildeten marktwirtschaftlichen Zone – auftreten. Letzterer kann beispielsweise auch ein zertifizierter Betreiber von Gastransportsystemen irgendeines der EU-Länder sein. Der muss einen Vertrag mit dem russischen Lieferanten über das Durchpumpen des Gases abschließen. Und dies bedeutet ganz und gar nicht, dass dies ein Vertrag zu den Bedingungen „take or pay“ ist, wie im derzeitigen Transitabkommen von „Gazprom“ mit „Naftogaz“, sondern beispielsweise „nutze oder verkaufe auf dem Sekundärmarkt“ oder etwas Anderes, was durch die Energiegesetzgebung der EU zugelassen wird. Übrigens, in dem vorgeschlagenen Investitionsprojekt mit einer Transitkomponente gibt es entsprechend dem beschriebenen Schema keinen Platz für „Naftogaz“.

Also zeichnen sich folgende Zusammensetzung und Funktionen der Teilnehmer des Investitionsprojekts zur Modernisierung des separaten Transitkorridors des ukrainischen Gastransportsystems als Grundlage für die Bewahrung und Gewährleistung einer zuverlässigen Nutzung dieses Systems im Rahmen der neuen Architektur der Infrastruktur für den Export russischen Erdgases nach Europa nach dem Jahr 2024 ab:

1) internationale Finanzinstitute – ein Kreditgeber (mehrere Gläubiger);

2) ein Betreiberunternehmen von Gastransportsystemen für den gesonderten Transitkorridor (eine separate marktwirtschaftliche Zone im Rahmen des ukrainischen Gastransportsystems). Dies kann das Betreiberunternehmen des Gastransportsystems der Ukraine oder ein anderes, entsprechend den EU-Regeln zertifiziertes Betreiberunternehmen von Gastransportsystemen, zum Beispiel aus irgendeinem der EU-Länder. Es wird der Kreditnehmer und eine Seite des Vertrags über den Transit russischen Gases sein.

3) Unternehmen – Käufer des russischen Gases aus den EU-Ländern – Seiten langfristiger Verträge für die Lieferung russischen Erdgases;

4) das russische Lieferunternehmen. Es wird erstens eine Seite des langfristigen Vertrages über die Gaslieferung mit europäischen Unternehmen – Käufern und zweitens eine Seite des langfristigen Vertrages über den Gastransport mit dem Betreiber des Gastransportsystems der gesonderten marktwirtschaftlichen Zone sein. Dabei muss die „Vertragsübereinstimmung“ zwischen den Verträgen über die Lieferung und über den Transport (den Transit) eingehalten werden.

Die etwas mehr als drei Jahre, die bis Ende des Jahres 2024 geblieben sind, können durchaus ausreichen, um zuerst entsprechende Konsultationen und danach multilaterale Verhandlungen zu führen. Beginnen kann man im Rahmen der bereits erfolgenden Konsultationen zwischen dem russischen Vizepremier Alexander Nowak und dem Sondervertreter der deutschen Regierung für den Ukraine-Gastransit Georg Graf Waldersee (die ersten beiden erfolgten am 8. September und 14. Oktober).

Bestehen Chancen für ein Dagegenhalten

Im gesamten Zeitverlauf nach dem Zusammenbruch der UdSSR und des RGW verfolgt die Europäische Kommission konsequent eine Politik des „Exports der EU-Gesetzgebung“ in die Staaten des postsowjetischen Raums zwecks Gestaltung von Wettbewerbsvorteilen für die eigenen Unternehmen im Ausland, indem es für sie in diesen Ländern ein für sie aufgrund der Arbeit in der EU gewohntes institutionelles Umfeld gestaltet, dieses nach dem Vorbild und dem Aussehen des EU-Umfelds angleicht und somit für seine Unternehmen die Risiken des Investitionsklimas der postsowjetischen Länder minimiert. Dies betrifft in vollem Maße die Gasbranche. Die Schlüsselbestimmungen der EU-Gesetzgebung sind die Trennung der Wirtschaftsbereiche für den Wettbewerb (Förderung und Absatz) und der natürlichen Monopol-Bereiche (Transport) des Business (unbundling), aber auch ein unbedingter Zugang zur Gastransportinfrastruktur für Drittländer.

Das erste EU-Energiepaket in Bezug auf Gas (1998) sah lediglich eine statistische Trennung der Tätigkeitsarten und die Möglichkeit sowohl eines unbedingten Zugangs zur Gastransportinfrastruktur für Drittländer als auch eines vertraglich vereinbarten Zugangs zu der Infrastruktur vor. Das zweite Energiepaket (2003) führte den unbedingten Zugang zur Gastransportinfrastruktur für Drittländer ein. Und das dritte (2009) – die Trennung der Produktionsoperationen entsprechend dem Besitzstatus.

Im Jahr 2014 reichte Russland Klage gegen die Bestimmungen des Dritten EU-Energiepakets bei der WTO ein. Im Jahr 2014 unterstützte die Arbitragegruppe für den Streitfall Russland gegen die EU im Rahmen der WTO drei der sechs Beschwerden der russischen Seite bezüglich der Normen des Dritten Energiepakets der Europäischen Union in der Gasbranche. Jedoch gelang es nicht, die Forderung nach einer Trennung auf der Ebene des Besitzes der Operationen zum Transport und zur Förderung und/oder zum Absatz des Gases anzufechten. Aber selbst ohne ein Anfechten der eigentlichen Tatsache des Bestehens und folglich der Notwendigkeit einer Anwendung dieses Prinzips (souveräne Staaten haben das souveräne Recht auf die Gestaltung einer nationalen Gesetzgebung) ergibt sich die Frage nach den rationalen Grenzen seiner Anwendung und der Möglichkeit ihrer Verteidigung in internationalen Rechtsinstituten neben der WTO. Schließlich ist die Welthandelsorganisation keine im Branchenquerschnitt spezialisierte internationale Handelsorganisation. Sie behandelt keine Fragen von Investitionen, umso mehr in solchen spezifischen Branchen wie die Energiebranchen, die sich durch erhöhte Risiken auszeichnen. Und die Trennung der Tätigkeitsarten und der unbedingte Zugang zur Gastransportinfrastruktur für Drittländer besitzen im Falle von „Nord Stream 2“ einen markant ausgeprägten Investitionsinhalt und können und müssen daher zum Gegenstand eines Schutzes bzw. einer Verteidigung im Rahmen völkerrechtlicher Investitionsverträge und -institute werden, deren Normen und Regeln für die EU verbindliche sind.

Von der WTO zum Energiecharta-Vertrag

Solch ein Investitionsvertrag und internationales Rechtsinstitut ist der Energiecharta-Vertrag. Seit 1998 ist er zu einem untrennbaren Element des Systems des internationalen Rechts geworden. Eine Seite des Energiecharta-Vertrags ist sowohl die EU insgesamt als auch alle EU-Mitgliedsstaaten im Einzelnen. Eine Ausnahme bildet Italien, das im Jahr 2016 aus dem Vertrag ausgestiegen ist. Russland hatte den Energiecharta-Vertrag zeitweilig angewandt. Doch im Jahr 2009 hat es seine zeitweilige Anwendung eingestellt. Und im Jahr 2018 ist es aus dem eigentlichen Vertrag ausgestiegen, wobei es lediglich in der Rolle eines Beobachters in dessen Instituten geblieben ist. Entsprechend Artikel 26 des Energiecharta-Vertrages hat ein Investor aus einem Mitgliedsstaat des Vertrages das Recht, sich an das Internationale Schiedsgerichtstribunal unter Umgehung der Gerichte der nationalen Jurisdiktion hinsichtlich einer Klage gegen einen Mitgliedsstaat des Energiecharta-Vertrages im Falle einer Verletzung der Bestimmungen dieses Vertrages durch letzteren zu wenden. Daher ist „Gazprom“ solch einer Möglichkeit beraubt worden.

Aber das Betreiberunternehmen von „Nord Stream 2“, die Nord Stream 2 AG, ist in der Schweiz registriert, die Mitgliedsland des Energiecharta-Vertrages („eine vertragsschließende Seite“ in der Terminologie dieses Vertrages) ist, und hat das Recht, sich mit Klagen an das Internationale Tribunal auf der Grundlage des Energiecharta-Vertrages zu wenden. Und solch eine Möglichkeit hat sie bereits ausgenutzt. Am 26. September 2019 hat die Nord Stream 2 AG eine entsprechende Klage gegen die EU beim Internationalen Schiedsgericht (UNCITRAL) gemäß Artikel 26 des Vertrages wegen diskriminierender Änderungen an der Dritten Gasdirektive der EU eingereicht. Diese Änderungen fordern von der Nord Stream 2 AG, ihr den Status eines Betreibers zu verleihen, der unabhängig von der Muttergesellschaft „Gazprom“ ist (zwecks Realisierung des Prinzips der Teilung entsprechend den Tätigkeitsarten), und ein Auffüllen der „Nord Stream 2“-Pipeline nach deren Inbetriebnahme nur zu 50 Prozent mit eigenem Gas von „Gazprom“ (für die Realisierung des Prinzips des unbedingten Zugangs zur Gastransportinfrastruktur für Drittländer). Das in der Schweiz registrierte Unternehmen geht berechtigt gegen die Unrechtmäßigkeit der Anwendung der Bestimmungen der aktualisierten Dritten Gasdirektive ihr gegenüber vor, die (die Bestimmungen) die Pipelines betreffen sollen, deren Bau bis zum Inkrafttreten der Änderungen abgeschlossen wurde, das heißt bis zum 23. Mai 2019.

Aus der Sicht des Investitionsrechts und der objektiven Logik der Projektfinanzierung ist jedoch das Argument der Nord Stream 2 ein begründetes und beweisbares, wonach das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt die Finanzierung des Projekts abgeschlossen hatte, was im Investitions- und Finanzsinne dessen Abschluss bedeutet, da danach die schaffende Trägheit und Materialisierung der vorgenommenen Projektfinanzierung mit einem objektiv begründeten Zeitverzug zwischen dem Abschluss der Finanzierung und der Beendigung der Bauarbeiten andauern. Die Klage ist angenommen worden und wird in Toronto behandelt werden. Die Entscheidung und – das Wichtigste – ihre Motivierung werden zeigen, inwieweit das Internationale Schiedsgerichts neutral und objektiv beim Treffen von Entscheidungen ist (im Unterschied zu den Gerichten der nationalen Jurisdiktion) und es sich auf die Logik der Investitionsprozesse stützt, die durch die Änderungen an der Dritten Gasdirektive verletzt worden ist.

Das Irrationale der Änderungen an der Dritten Gasdirektive für Offshore-Leitungen

Die aktuelle Dritte Gasdirektive verlangt, dass ihre Regeln am Zugang zum Territorium der EU zu gelten beginnen, was für Offshore-Pipelines bedeutet – am Zugang zur 12-Meilenzone (der Territorialgewässer), das heißt dort, wo es physisch keinen Punkt für die Messung der Charakteristika des Gasstroms für die Übergabe der Eigentumsrechte und die Vertragspflichten zwischen den Seiten gibt und er auch nicht geschaffen werden kann.

Mehrfach ist erläutert worden, dass es keinerlei Gas von anderen Lieferanten außer das Gas von „Gazprom“ in der Pipeline „Nord Stream 2“ geben kann, da gemäß der Gesetzgebung der Russischen Föderation (Gesetz „Über den Gasexport“) der monopolistische Exporteur russischen Erdgases durch Pipelines ausschließlich der Konzern „Gazprom“ sein kann. Einer der hauptsächlichen Wirtschaftsgründe dafür (aber m. E. nicht der einzige) ist, eine Konkurrenz russischen Gases mit dem russischen Gas „in der Röhre“ auch auf dem Exportmarkt in Europa zu vermeiden. (Obgleich NOVATEK bereits aktiv LNG exportiert und der staatliche Ölkonzern „Rosneftj“ immer mehr mit den Hufen scharrt, um sein Erdgas auch international zu vermarkten. – Anmerkung der Redaktion). Die Aufgabe von „Gazprom“ als ein Wirtschaftsagent des russischen Staates im System der Beziehungen „Souverän – Agent“ besteht darin, allseitig die Umwandlung der Gasressourcen in bare Münze zu verstärken. Das Monopol bezüglich des Exports per Pipelines ist eines der Instrumente solch einer Monetisierung auf dem internationalen Markt.

Das zweite Instrument ist eine Übergabe des Eigentumsrechts in Bezug auf das Gastransportsystem Russlands an „Gazprom“ und auch der Funktionen dessen Betreibers (bis zum Punkt einer Übergabe dieser Funktion an einen Betreiber des Gastransportsystems eines angrenzenden Landes hinsichtlich der Route für die Exportlieferungen). Dabei gibt es jedoch auch ein bedeutsames Argument auf Seiten des Binnenmarkts, denn auf „Gazprom“ ruht die Verantwortung für die Gasifizierung des Landes (den Anschluss an eine zentrale Gasversorgung). Und dies bedeutet für die Realisierung einer der von der Verfassung garantierten sozialen Funktionen des russischen Staates. Zwecks effektiver Verwirklichung der Pflichten zur Gasifizierung sind dem Konzern die Rechte des Eigners und die Funktionen des Betreibers des Gastransportsystems übergeben worden, was für „Gazprom“ die Möglichkeit sichert, einen ordnungsgemäßen technischen Zustand des Gastransportsystems aufrechtzuerhalten.

Daher, wenn die europäische Seite für eine Übereinstimmung mit der EU-Gesetzgebung vorschlägt, den Zugang anderen Gaslieferanten auf dem russischen Markt zur Pipeline „Nord Stream 2“ zu ermöglichen (und solche Vorschläge werden schon lange und regelmäßig unterbreitet), bedeutet dies erstens (als Rechtskomponente) jenen „Export der EU-Gesetzgebung“ in Reinform, das heißt einen Verzicht auf die Anwendung der Gesetzgebung der Russischen Föderation auf dem Territorium der Russischen Föderation. Zweitens (als wirtschaftliche Komponente) eine unweigerliche Konkurrenz der verschiedenen russischen Lieferanten „in der Röhre“ und – das Wichtigste – am Ende der Gaspipeline. Der Vorschlag, wonach „Gazprom“ Gas anderer Lieferanten entsprechend „Agenten-Abkommen“ in die Leitungen in die EU einspeist, um der Forderung der Europäischen Union nachzukommen, formal aber das Exportmonopol von „Gazprom“ zu bewahren, bedeutet, dass das Gas von „Gazprom“ und der anderen russischen Lieferanten auf dem EU-Markt im Rahmen sich unterscheidender Exportstrategien verkauft wird. So hat „Rosneftj“ ein Agenten-Abkommen mit seinem Aktionär, mit BP, über die Realisierung des Gases von „Rosneftj“ durch letzteren Konzern auf dem Markt der Europäischen Union. Dazu kommen „unabhängige“ Gaserzeuger, die nicht jene zusätzliche Investitionsbelastung zur Aufrechterhaltung und Entwicklung des Gastransportsystems des Landes besitzen, die voll und ganz auf „Gazprom“ liegt. Daher ist für den Konzern „Gazprom“ das ihm durch den Staat eingeräumte Monopol hinsichtlich des Exports per Pipelines eine gewisse teilweise Kompensation für jene aufwandsintensive soziale Funktion, die er in Bezug auf die Gasifizierung des Binnenmarktes wahrnimmt und die die „unabhängigen Gaserzeuger“ nicht haben.

Schließlich ist da die politische Komponente, das Bestreben, die beiden staatlichen russischen Energieunternehmen dadurch gegeneinander auszuspielen (genauer gesagt: sie zu veranlassen gegeneinander vorzugehen), dass vorgeschlagen wird, „Rosneftj“ (und anderen Unternehmen) zu erlauben, sein Gas durch „Nord Stream 2“ nach Europa in der Eigenschaft eines alternativen Lieferanten zu exportieren.

Grenzen für eine vernünftige Anwendung

Meines Erachtens existieren Grenzen für ein vernünftiges Anwenden der Forderungen nach einer Realisierung des Prinzips der Aufteilung nach Tätigkeitsarten (unbundling) und in Bezug auf einen obligatorischen Zugang zur Gastransportinfrastruktur für Drittländer, die man vor dem Internationalen Investitionsschiedsgericht, dessen Entscheidungen für die EU verbindlich sind, verteidigen kann und muss. Dieses Gericht ist eines der drei Schiedsgerichtsinstitute entsprechend der Auswahl des „Investors“ (das heißt im vorliegenden Fall der Nord Stream 2 AG) entsprechend dem Artikel 26 des Energiecharta-Vertrages.

Das Schlüsselelement ist die Begründung der Irrationalität des Beginns der Anwendung der EU-Gesetzgebung für die Offshore-Gaspipeline „Nord Stream 2“ an irgendeinem beliebigen virtuellen Punkt am Verlauf von „Nord Stream 2“ zwischen der letzten Verdichterstation auf dem Territorium Russlands und der ersten Verdichterstation auf dem Territorium der EU außer als am ersten Punkt für die Messung des Gasstroms, der auf das Territorium der Europäischen Union gelangt. Nicht an einem solcher virtuellen Punkte kann man dessen Vertragseigenschaften messen. Und dies bedeutet, dass man keine juristisch verbindlichen Dokumente unterzeichnen kann, die die Rechte und Pflichten von einem Betreiber der Gaspipeline an einen anderen oder von einem Eigner des Gases „in der Röhre“ an einen anderen übergeben.

Eine analoge Frage (wo soll die Zollgrenze der EU beim Transport von Gas durch eine Pipeline beginnen) ist bereits früher durch Experten Russlands und der EU im Verlauf bilateraler Konsultationen zum Entwurf eines Transitprotokolls zum Energiecharta-Vertrag in den Jahren 2004-2007 diskutiert worden. Das Wesen des Problems besteht in Folgendem: Wo endet der Begriff „Transit“ auf dem Territorium der EU und beginnt der „Inlandstransport“? Die Delegation der EU hatte darauf bestanden, dass dies an der Grenze der EU mit dem entsprechenden Nachbarland der Fall ist, da es auf dem Territorium der Europäischen Union nach dem Jahr 2003 (als die Zweite Gasdirektive die Gestaltung eines einheitlichen Binnenmarktes für Gas innerhalb der EU deklarierte) keinen Transit geben kann. Dieser Begriff wurde im Jahr 2005 gänzlich aus der Gesetzgebung der Europäischen Union ausgeschlossen. Die russische Seite wies nach, dass eine Änderung der Forderungen an die Vertragsbeziehungen (an den Gasstrom in einer Gaspipeline) an der politischen Grenze, zwischen zwei Verdichterstationen unmöglich sei. Wladimir Feigin, der Teilnehmer jener Konsultationen gewesen war und bereits verstorben ist, hatte damals einen Entwurf für Artikel 20.1. des Transitprotokolls vorgeschlagen. Darin hieß es, dass der Begriff „Transit“ für die Pipelinesysteme am ersten Punkt der Übergabe der Eigentumsrechte nach Passieren der EU-Grenze ende und begonnen werde, die Regeln für den EU-Binnenmarkt an eben diesem Punkt anzuwenden. Das heißt dort, wo man die Messungen der Vertragseigenschaften des Gasstroms vornehmen kann. Die Experten der Europäischen Kommission akzeptierten letztlich diese Vorgehensweise und stimmten auf der technischen Ebene diese Version des Dokuments ab, erhielten aber keine Unterstützung auf politischer Ebene in der Europäischen Kommission und zogen daher ihre Zustimmung zurück. Und dann hat man auch schnell diese Experten an sich ausgetauscht…

Aus der Sicht des gesunden Menschenverstands und der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit muss die Realisierung der Forderung der EU-Gesetzgebung nach einer Trennung der Unternehmen hinsichtlich des Eigentums, das heißt die Übergabe der Funktionen des Betreibers an ein anderes Unternehmen gerade an den physischen Punkten für die Übergabe/Übernahme des Gases vorgenommen werden, das heißt am ersten solchen Punkt (an der ersten Verdichterstation) nach Erreichen des EU-Festlands durch die Gaspipeline. Das heißt: Es kann gesagt werden, dass das „Gas-Territorium“ eines jeden beliebigen Landes nicht ab dem Zeitpunkt des Passierens der juristischen Grenze durch die Pipeline beginnt (sei dies die reale Grenze auf dem Festland oder die virtuelle Grenze der 12-Meilen-Meereszone), sondern ab dem ersten Messpunkt, das heißt ab dem ersten Punkt der Übergabe/Übernahme des Gases oder ab dem Punkt des Wechsels des Betreibers des Transportsystems auf dem Festland des jeweiligen Staates. Analog der Entzollung von Straßen-, Bahn-, Luft- und anderen Frachtgütern innerhalb des Territoriums des einen oder anderen Landes am ersten Punkt, wo die Möglichkeit einer Messung und Überprüfung der Unversehrtheit der Plomben an den Containern mit dem Frachtgut besteht und der weit in der Tiefe des Landes liegen kann.

Somit ist das Prinzip für die Bestimmung der Zollgrenze für die Gaslieferungen über Pipelines, wenn sie nicht an der politischen Grenze der EU (sei es auf dem Festland oder auf See) liegt, sondern innerhalb der politischen Grenzen der EU (am ersten Punkt der Messungen, das heißt an der ersten Verdichterstation auf dem Territorium der EU), eines, das aufgrund seiner wirtschaftlichen Rationalität vor dem Internationalen Investitionsschiedsgericht als Schiedsgerichtsinstanz im Rahmen des Energiecharta-Vertrages verteidigt werden kann.