Präsident Wladimir Putin hat dieser Tage die Konzeption für die humanitäre Politik der Russischen Föderation im Ausland bestätigt. Das mehrseitige Dokument ist in sechs Kapitel und 117 Punkte untergliedert worden und beschreibt detailliert, worin der Staat seine „Soft Power“ sieht und wie er beabsichtigt, sie umzusetzen, „nach außen zu projizieren“. Von besonderem Interesse sind in dieser Hinsicht das ideologische Weltbild, das in der Konzeption konstruiert wird, und der Platz, der in diesem Bild Russland eingeräumt wird.
Vom Wesen her wird Russland als eine globale Hochburg der konservativen Kräfte auftreten, die sich dem „aggressiven“ Propagieren der neoliberalen Agenda in Welt widersetzen. Nach der Strategie für die nationale Sicherheit verankert die Konzeption offiziell, wenn auch auf einer deklarativen Ebene, die entsprechenden Gedanken und Ideen. Beispielsweise die Notwendigkeit der Verteidigung der „traditionellen geistig-moralischen Werte“. Unter ihnen werden in dem Dokument die „Priorität des Geistigen gegenüber dem Materiellen, die Verteidigung der Menschenrechte und -freiheiten, die Familie, die Normen von Moral und Ethischem, Humanismus und Barmherzigkeit“ verstanden.
„Der russischen Mentalität sind gegenseitige Hilfe, Kollektivismus, der Glaube an das Gute und die Gerechtigkeit wesenseigen“, wird in der Konzeption betont. Neben einem Bekenntnis zu den traditionellen geistig-moralischen Werten hat sich in der russischen Gesellschaft im Verlauf der tausendjährigen Geschichte unseres Landes eine Achtung gegenüber fremden Kulturen, Religionen und Bräuchen herausgebildet“. In dem Dokument werden gleichfalls die „Traditionen und Ideale, die der Russischen Welt wesenseigen sind“, erwähnt, freilich bereits ohne eine Erläuterung dieses Begriffs.
Die Autoren der Konzeption konstatieren dabei ein „in der Welt zunehmendes Bedürfnis nach traditionellen Werten, in erster Linie familiärer“. Bedingt werde dies nach ihrer Meinung „durch das aggressive Aufoktroyieren neoliberaler Anschauungen durch eine Reihe von Staaten“. Hervorgehoben werden Versuche, „die Russische Welt, ihre Traditionen und Ideale zu diskreditieren, wobei sie diese durch Pseudowerte ersetzen“. Der russische Staat wird vor diesem Hintergrund im Ausland „immer mehr als ein Bewahrer und Verteidiger der traditionellen geistig-moralischen Werte, des geistigen Erbes der Weltzivilisation wahrgenommen“.
Es ist unbestritten: Solch ein Bild Russlands hat sich wirklich im vergangenen Jahrzehnt spontan herausgebildet und erhielt eine relativ weite Verbreitung – und keine geringe Anzahl von Sympathisanten – im Ausland. Diese Ressource nicht auszunutzen, wäre ein Fehler. Es hat sich so ergeben, dass dies auch ein Teil der russischen „Soft Power“ ist, obgleich sie möglicherweise vorerst nicht die wirksamste ist.
Dabei erregt Aufmerksamkeit, dass, während in der Außenpolitik die Inkorporation ideologischer Herangehensweisen und von Rhetorik schmerzfrei erfolgt, dies im Land mitunter Widerstand auslöst. Die Maßnahmen zur „Verteidigung der traditionellen Werte“ werden mitunter mit einem Angriff auf die Bürgerrechte, mit einer Einmischung in das Privatleben, Verboten, einer Zensur, Bürokratismus und der Gefahr einer willkürlichen Auslegung auch von „Klerikalismus“ assoziiert. Besonders, wenn die Frage unterschwellig finanzielle Interessen einflussreicher Lobbyisten betrifft. Vor nicht allzu langer Zeit gab es nicht wenige Streits um den Entwurf des Dokuments „Grundlagen der Staatspolitik zur Bewahrung und Stärkung der traditionellen russischen geistig-moralischen Werte“. Das Dokument wurde letztlich nicht angenommen. Und die brisanten Diskussionen wurden ausgesetzt, um eine Zunahme des im Kulturbereich entstandenen Konflikts zu vermeiden.
In welcher Hinsicht kann die Konzeption Menschen unterschiedlicher ideologischen Ansichten aussöhnen? Dahingehend, was die Offenheit Russlands gegenüber der Welt angeht. In diesem Kontext ist die Erörterung einer möglichen Antwort Moskaus auf die Visa-Restriktionen der EU bemerkenswert: Wie die Offiziellen unterstreichen, dürfe man sich nicht vom Prinzip der Gegenseitigkeit leiten lassen, sondern müsse im Gegenteil das Einreiseregime erleichtern. Wie man sich in der Staatsagentur Rostourismus ausdrückte, „wollen sie unsere Touristen nicht sehen. Wir würden uns aber freuen, ihre Touristen bei uns zu sehen. Mögen sie hier ihr Geld ausgeben und sich mit Genugtuung mit unserem wunderbaren Land bekanntmachen“. Solch eine „Soft Power“ wird wohl kaum bei irgendwem Einspruch auslösen.