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Russland kann 40 Prozent seines wissenschaftlich-technologischen Potenzials verlieren


Die russische Regierung ist bereit, die Finanzierung des wissenschaftlich-technischen Bereichs aufzustocken. Am vergangenen Montag unterschrieb Premierminister Michail Mischustin Dokumente über die Bereitstellung von fast einer halben Billion Rubel für das neue Programm von Synchrotron- und Neutronen-Forschungen. Zuvor hatte Präsident Wladimir Putin die Bereitstellung von 60 Milliarden Rubel zur Unterstützung ingenieurtechnischer Spitzenschulen in der Russischen Föderation unterstützt, deren Anzahl plötzlich von 30 bis auf 50 hochschnellte. Hinsichtlich der Gesamtausgaben für Forschungsarbeiten kann Russland bei einer richtigen Auswahl des Währungskurses in die Top-10 der führenden Staaten aufrücken, wobei Italien oder Taiwan hinter sich gelassen werden. Aber hinsichtlich der spezifischen Ausgaben für einen Entwicklungsingenieur könne unser Land einfach aus der Kategorie der technologisch entwickelten Länder herausfallen. Und dieses Herausfallen werde sich in einem Verlust vieler Kompetenzen darstellen, aber auch im Verschwinden von ingenieurtechnischen Schulen, meinen unabhängige Wirtschaftsexperten. Den Verlust technologischer Kompetenzen konnten Russlands Bürger an den Beispielen der Mondsonde „Luna-25“ und des universellen „Roboters Fjodor“ beobachten. Die Anzahl der Wissenschaftler und Entwicklungsingenieure in unserem Land werde sich in der nächsten Zeit um 40 Prozent verringern, prognostizieren Spezialisten.

Die russische Regierung verlängerte und erweiterte das Programm der Synchrotron- und Neutronen-Forschungsarbeiten, indem sie dafür zusätzliche Finanzen bereitstellte. Dies erklärte Michail Mischustin, der Regierungschef Russlands, am vergangenen Montag bei einer Beratung mit seinen Stellvertretern. „Im Auftrag des Staatsoberhauptes verlängern wir es (das Programm) bis zum Jahr 2030. Wir planen für diese Maßnahmen um die 450 Milliarden Rubel bereitzustellen. Die Mittel sind für die Entwicklung bahnbrechender Technologien sowie für eine Erweiterung und Modernisierung der Forschungsinfrastruktur bestimmt, die hinsichtlich ihrer Charakteristika sowohl die existierenden als auch die zu projektierenden internationalen Quellen für Synchrotron- und Neutronen-Strahlungen übertreffen“, erklärte der russische Kabinettschef. Mischustin unterstrich, dass ein Teil der bereitzustellenden Mittel für eine Unterstützung von Projekten und die Ausbildung von Spezialisten eingesetzt werden würden, wobei diese Zuschüsse nicht zurückzuerstatten seien.

Der Regierungsvorsitzende betonte, dass Russland weiterhin sein Wissenschaftspotenzial verstärke, wobei ein breiter Komplex von Maßnahmen genutzt werde, unter anderem ein Programm zur Entwicklung der Synchrotron- und Neutronen-Forschungen. Im Rahmen des Programms werde im Land ein Netzwerk von Anlagen der Klasse „Mega-Science“ entstehen. Dies sind sowohl die Sibirische Photonen-Ringquelle in Kolzowo als auch die „Russische Photonen-Quelle“ auf der Insel Russkij und der PIK-Reaktor in Gatschina, aber auch die Kurtschatow-Quelle für Synchrotron-Strahlung in Moskau. „Mit ihrer Hilfe wird es möglich werden, die Struktur und die Wirkungsmechanismen von Stoffen zu verstehen und neue Materialien zu schaffen“, erläuterte Mischustin. „Man muss alles Notwendige unternehmen, um schneller eigene Kompetenzen in kritisch bedeutsamen Bereichen zu entwickeln und eine technologische Souveränität unseres Landes zu erreichen“, resümierte der Premier.

Bisher sehen jedoch die konkreten Erfolge im Bereich von Wissenschaft und Technologien der Russischen Föderation nicht sehr beeindruckend aus. Für Russland ist ein geringer Effizienzgrad der Ausgaben für Forschungs-, Entwicklungs-, Versuchs- und Konstruktionsarbeiten charakteristisch. Und diese Tatsache bestätigt unter anderem das schlechte Verhältnis von Ausgaben für die genannten Arbeiten und Entwicklungen einerseits und der Export der High-Tech-Branchen andererseits, betonte Dmitrij Beloussow, Sektorenleiter im Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung. Nach seinen Aussagen sei der Grad der Konzentrierung von Ausgaben für die Forschungs- sowie Versuchs- du Konstruktionsarbeiten auf einen Forschungsingenieur in der Russischen Föderation wesentlich geringer als der „für die technologisch entwickelten Länder übliche Grad“. Die Gründe dafür sind das breite Spektrum der Prioritäten bei einer eingeschränkten Finanzierung und bei einem geringen Aktivitätsgrad des Business im Bereich der Forschungen und Entwicklungsarbeiten. Wenn solch eine Situation anhält, wird es zu einem Rückgang des Beschäftigungsgrades im wissenschaftlich-technischen Bereich mit einem schrittweisen Verlust des technologischen Vorlaufs und von ingenieurtechnischen Schulen kommen.

An Beispielen für einen Verluste von „Vorlaufarbeiten und ingenieurtechnischen Schulen“ im heutigen Russland kann man nicht wenige anführen. Dies sind sowohl auf AliExpress eingekaufte „einheimische wissenschaftlich-technologische Entwicklungen“ als auch das Fehlen moderner Fernmeldemittel selbst in den Truppen sowie die Unfähigkeit, sowjetische Kosmos-Programme für die Erforschung des Monds u. a. zu wiederholen.

Wenn die finanzielle und materielle Absicherung des Bereichs der Forschungs- sowie Versuchs- und Konstruktionsarbeiten auf dem heutigen Stand bleibe, so werde das Nivellieren der Finanzierung eines Arbeitsplatzes in der Wissenschaft zu einem Rückgang der Anzahl von Forschungskräften um 30 bis 40 Prozent, von 410.000 bis 250.000-280.000 Menschen mit einem entsprechenden Verlust der Kompetenzen und des Entwicklungspotenzial führen, sagt Beloussow voraus.

Um den Trend der wissenschaftlich-technologischen Degradierung zu stoppen, schlägt man im Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung vor, die Finanzierung für die Forschungs- sowie Versuchs- und Konstruktionsarbeiten seitens der Unternehmen um ein 4faches anzuheben – von den gegenwärtigen zwölf Milliarden Dollar bis auf 50 Milliarden Dollar. Solche Schätzungen für die aktuellen und erforderlichen Ausgaben nennt Beloussow unter Berücksichtigung einer Umrechnung des Rubelkurses entsprechend der Parität der Kaufkraft. Ob eine derartige Währungsumrechnung in Bezug auf den Erwerb von hochtechnologischen und Forschungsanlagen und -ausrüstungen internationalen Niveaus berechtigt ist, ist eine gesonderte Frage. Für ein Stoppen des technologischen Degradierens Russlands sei nach Einschätzungen des Zentrums gleichfalls „ein begleitendes Wachstum anderer Quellen von 1,4 Milliarden Dollar bis 6,2 Milliarden Dollar bezüglich der Kaufkraftparität“ erforderlich. „All dies wird eine generelle Zunahme der Ausgaben für die Forschungs- sowie Versuchs- und Konstruktionsarbeiten von 41,4 bis auf 83 Milliarden Dollar (von 1 Prozent bis auf 2 Prozent des BIP) bedeuten. Im Ergebnis dessen kann das russische Niveau der Finanzierung mit Blick auf einen Forschungsingenieur an die Werte von Finnland, Tschechien, Island oder Mexico herankommen. In diesen Ländern macht die Finanzierung für jeden Entwicklungsingenieur rund 200.000 Dollar entsprechend der Kaufkraftparität aus“.

Freilich, wie die Erfahrungen vom Fußball oder der Grundlagenwissenschaften zeigen, ist es einfach unmöglich, ein internationales Ergebnis nur durch eine Anhebung der Finanzierung zu erwerben. Und genauso wird es schwer werden, die Ergebnisse der langjährigen staatlichen Sparpolitik in Bezug auf die nationale Wissenschaft und die Technologien zu überwinden.

Allerdings erfolgt hinsichtlich der bürokratischen Parameter keinerlei „Verlust von ingenieurtechnischen Schulen“ im heutigen Russland (über das das Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung spricht). Mehr noch, die Zahl der ingenieurtechnischen Spitzenschulen nimmt in der Russischen Föderation laut offiziellen Dokumenten rasant zu.

Entsprechend den Ergebnissen einer Auswahl auf der Grundlage eines Wettbewerbs wird sich in diesem Jahr die Anzahl der ingenieurtechnischen Spitzenschulen von 30 bis 50 erhöhen, behaupten Beamte des russischen Ministeriums für Wissenschaft und Hochschulbildung. „Ingenieurtechnische Spitzenschulen“ ist der Name eines entsprechenden föderalen Projekts. Im Jahr 2022 waren entsprechend einer solchen Auswahl auf Wettbewerbsgrundlage 30 Universitäten zu Gewinnern des Projekts „Ingenieurtechnische Spitzenschulen“ geworden. Nach der „zweiten Welle“ einer Auswahl sind weitere 20 Schulen zu Teilnehmern des Projekts geworden. Somit wird sich ihre Anzahl bis auf 50 erhöhen, erläuterte man im von Valerij Falkow geleiteten Ministerium für Wissenschaft und Hochschulbildung.

Eines der entscheidenden Ziele des ausgewiesenen föderalen Projekts sei die Ausbildung hochqualifizierter Ingenieurkräfte, die in der Lage sind, dem Land die Bewahrung der technologischen Souveränität zu sichern, betont man im Ministerium. Bis Ende vergangenen Jahres lag die Anzahl der Studenten der ingenieurtechnischen Spitzenschulen bei mehr als 6000 Personen. „Im Auftrag des Präsidenten Russlands, Wladimir Putin, werden für eine Ausbildung in ihnen auch begabte Schüler gewonnen, die für sich den Erhalt einer Ingenieurausbildung erwägen. Bis Ende des Jahres 2024 werden über 11.000 Auszubildende an Berufsorientierungsprogrammen auf der Basis der ingenieurtechnischen Spitzenschulen teilnehmen“, informierte das Ministerium für Wissenschaft und Hochschulausbildung.

Gerade dieses Ministerium „agiert als Koordinator“ des Programms für die Entwicklung von Synchrotron- und Neutronen-Forschungsarbeiten. Im Zusammenhang mit der Verlängerung dieses Programms ist es durch eine dritte Realisierungsetappe – von 2028 bis einschließlich 2032 – erweitert worden. In diesem Zeitraum wird das Netz der Forschungsinfrastruktur und der Arbeiten zur Neutronenforschung erweitert. Geplant ist gleichfalls, technische und klinische Tests neuer medizinischer Erzeugnisse durchzuführen und neue Technologien entsprechend den Richtungen zur Realisierung des Programms zu entwickeln, meldete die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS. Das föderale Programm war durch die Regierung der Russischen Föderation im Jahr 2020 bestätigt worden. In seinem Rahmen wird geplant, Synchrotron-Strahlungsquellen im Verwaltungsgebiet Nowosibirsk, im Moskauer Gebiet und auf der Insel Russkij zu schaffen, aber auch die Kurtschatow-Quelle für Synchrotron-Strahlung zu modernisieren. Und auf der Basis des Moskauer Kurtschatow-Instituts soll ein Zentrum für Nuklearmedizin geschaffen werden. Vorgesehen ist ebenfalls, mindestens 25 Forschungsstationen in Gatschina in Betrieb zu nehmen.