Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Russland kann vorerst die Baumwoll-Abhängigkeit von Asien nicht überwinden


In den drei Jahren, die vergangen sind, seitdem das Landwirtschaftsministerium eine Wiedergeburt der strategisch wichtigen Baumwollerzeugung in Russland proklamierte, vermochte das Land, eine Ernte von lediglich einigen Dutzend Tonnen des Rohstoffs zu sichern. Laut den Angaben, die das Landwirtschaftsministerium der „NG“ zur Verfügung stellte, hat die gesamte Bruttoernte an Rohbaumwolle im vergangenen Jahr nicht einmal 35 Tonnen bei einer Anbaufläche von weniger als 60 Hektar erreicht. Wie man der „NG“ im Verband der Leichtindustrie (Sojuslegprom) mitteilte, müsse man, um zu 80 Prozent den Bedarf der Russischen Föderation zu decken, mindestens 250.000 Tonnen Baumwollfasern im Jahr erzeugen, wofür 280.000 Hektar Ackerflächen für den Anbau erforderlich seien. Sich Gedanken über eigene Baumwolle zu machen, zwingen die Schwierigkeiten hinsichtlich der Lieferungen aus Mittelasien. Außerdem wird die Erzeugung einheimischer Stoffe aufgrund der zurückgehenden zahlungskräftigen Nachfrage der Bevölkerung immer aktueller. Der Import wird immer teurer und weniger zugänglich.

Um die aktuellen Bedürfnisse Russlands zumindest zu etwa 80 Prozent der Nachfrage zu decken, müssen mindestens 250.000 Tonnen Baumwollfasern im Jahr erzeugt werden. Und dafür müssen bis zu 280.000 Hektar angebaut werden. Dies teilte der „NG“ der Präsident von Sojuslegprom Andrej Rasbrodin mit. Die realen Baumwollanbauflächen in der Russischen Föderation sind aber geringer als die erforderlichen. Außerdem sind technologisch vervollkommnete Systeme für die Melioration, den Anbau, die Ernte und Verarbeitung des Rohstoffs sowie ein vollwertiger Saatgutfonds nötig.

In der Russischen Föderation ist es möglich, schnellreifende Sorten und Hybridformen rentabel und auch aus der Sicht des Klimas anzubauen, wie bereits die bestehenden Erfahrungen belegen. Und die Qualität der gewonnenen Fasern steht beispielsweise den mittelasiatischen praktisch nicht nach. Wie Rasbrodin meint, könne man all diese Fragen „im Rahmen eines komplexen staatlichen Programms, das unter anderem eine Gewinnung des Business für die Branche stimuliert“, lösen. Jedoch gebe es laut seiner Präzisierung „bisher kein einheitliches föderales Programm zur Entwicklung des Baumwollkomplexes in Russland“. „Die Regionen und Agrarerzeuger finanzieren eigenständig diese Projekte, wobei sie unter anderem den Bankensektor hinzuziehen“, betonte er.

Wie man der „NG“ im Pressedienst des Landwirtschaftsministeriums erläuterte, würden die Klima- und Naturbedingungen der Russischen Föderation erlauben, Baumwolle auf begrenzten Territorien in den südlichen Regionen – in den Verwaltungsgebieten Astrachan und Wolgograd sowie in der Stawropoler Verwaltungsregion – anzubauen. „Im Jahr 2020 belief sich laut Angaben der regionalen Verwaltungsorgane die Anbaufläche für diese Kultur auf 59,5 Hektar, die Gesamternte – 34,65 Tonnen“, teilte man im Landwirtschaftsministerium mit.

Vor drei Jahren hatte das Ministerium bekanntgegeben, dass Russland die Erzeugung von eigener Baumwolle beginne (siehe „NG“ vom 01.02.2018 – https://www.ng.ru/economics/2018-02-01/1_7163_cotton.html). „Dies ist eine neue Kultur. Wir sind (dafür) reif geworden. Gegenwärtig sind alle Fragen der Technologien durchgearbeitet worden. In diesem Jahr werden rund 1000 Hektar mit Baumwolle in (den Gebieten) Astrachan und Wolgograd angebaut“, hatte Anfang des Jahres 2018 der Direktor des Departments für Pflanzenanbau im Landwirtschaftsministerium Pjotr Tschekmarjew erklärt. Wie das Ministerium damals erläuterte, bestehe in Russland die Möglichkeit, rund 220.000 Hektar Flächen mit Baumwolle unter der Bedingung einer Wiederherstellung und des Baus von Meliorationssystemen anzubauen.

Später, im Jahr 2019 hat das Landwirtschaftsministerium diese Kultur in die Liste der Richtungen für eine vergünstigte Kreditvergabe zwecks Stimulierung von Investitionen in die Branche aufgenommen. Tschekmarjew hatte auf die großen Risiken hingewiesen, dass Russland in einigen Jahren aus den Ländern Mittelasiens keine Baumwolle erhalten könne. Erwähnt wurde insbesondere Usbekistan. Erklärt wurde dies damit, dass die Länder aktiv eine Verarbeitung des Rohstoffs entwickeln würden.

Wie Andrej Rasbrodin der „NG“ mitteilte, gebe es derzeit allen Grund zu erklären, dass die Abhängigkeit Russlands vom Import der Rohbaumwolle und von Baumwoll-Zwischenprodukten anhalten werde. Er bestätigte aber, dass in den Ländern Mittelasiens, besonders in Usbekistan und Turkmenistan wirklich „immer aktiver der Export von Rohbaumwolle bei einer gleichzeitigen Forcierung der Herstellung und des Exports von Fertigerzeugnissen verringert wird“. „Im Zusammenhang damit gehen die Lieferungen von Baumwoll-Zwischenerzeugnissen in die Russische Föderation zurück (zumindest stagnieren sie), was zwingt, sich auf neue Lieferanten umzuorientieren“, fügte er hinzu. „Obgleich auch in anderen Ländern auf eine Erhöhung der Verarbeitung des Rohstoffs gesetzt wird.“ Und diese Tendenz wird im Übrigen zu einer der Hauptgründe für die Verteuerung der Rohbaumwolle und der Baumwoll-Zwischenprodukte auf dem internationalen Markt.

Zuvor hatte Dmitrij Bakarinow, Vorsitzender des Sojuslegprom-Komitees für Baumwollfasern und Baumwollerzeugnisse, während der Russischen Woche der Textil- und Leichtindustrie mitgeteilt, dass „Usbekistan praktisch bereits nicht das erste Jahr keine Baumwollfasern nach Russland liefert, die von vielen großen Betrieben in der Region Iwanowo sehr gebraucht werden“. Und die russischen Unternehmen waren seinen Worten zufolge gezwungen, sich auf türkische, tadschikische und kasachische Erzeuger umzuorientieren.

Laut Angaben des Föderalen Zolldienstes geht zwei Jahre in Folge der Import von Baumwollfasern nach Russland zurück. Entsprechend den Ergebnissen des Jahres 2019 verringerte er sich fast um 30 Prozent, laut der Bilanz für das Jahr 2020 – um etwa zwölf Prozent. Parallel dazu hat die Einfuhr von Baumwollstoffen drastisch zugenommen. Im vorletzten Jahr machte der Anstieg fast 30 Prozent aus. Im vergangenen Jahr – bereits das 2fache.

Aber daneben steigert das Land jetzt auch die eigene Herstellung von Stoffen. Laut dem russischen Statistikamt Rosstat hat im Jahr 2020 die Herstellung aller Stoffe und Gewebe um 8,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zugenommen, und hinsichtlich der Baumwollstoffe – um vier Prozent.

Wie Rasbrodin meint, gebe es dennoch „Grund zur Annahme, dass die Seiten wahrscheinlich zu einem „gemeinsamen Nenner“ kommen werden, zumal Usbekistan seit diesem Jahr den Status eines Beobachterlandes in der Eurasischen Wirtschaftsunion hat und plant, enger im Handelsbereich zu kooperieren“.

Dabei macht es Sinn zu berücksichtigen, dass das Problem der preisbedingten Zugänglichkeit bzw. Erschwinglichkeit von Bekleidung für die Bevölkerung der Russischen Föderation vor dem Hintergrund des teurer werdenden Imports und der fallenden Einkommen sehr akut steht. Wie Experten der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst mitteilten, konnten im Pandemiejahr 26 Prozent der Familien ihre grundlegenden Verbraucherbedürfnisse nicht befrieden. „Ihnen mangelte es entweder an Geld selbst für das Essen oder es reichte für das Essen, doch fällt es ihnen schwer, Bekleidung zu kaufen sowie die Wohnungsmieten und kommunalen Dienstleistungen zu bezahlen“. Von eben diesen Familien können rund zwei Drittel sich über einen langen Zeitraum keine Ausgaben für noch etwas anderes außer für Essen erlauben – zumindest in den letzten drei Jahren.