Als eine Antwort auf den Energie-Gipfel, der in der 3. Oktober-Dekade in Brüssel stattgefunden hatte, kann man die Diskussion im Pressezentrum der staatlichen russischen Nachrichtenagentur „Russland heute“ ansehen, die im Rahmen eines Runden Tischs über die Perspektiven des russischen Brennstoff- und Energie-Komplexes und neue internationale Projekte im Energie-Sektor erfolgte.
Es ging dabei um eine Antwort russischer Experten auf das Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer in Bezug auf Maßnahmen zum sogenannten Preisdeckel zwecks Verhinderung einer übermäßigen Zunahme der Preise für Gas. Das deutsche Nachrichtenmagazin „FOCUS“ behauptete in diesem Zusammenhang, dass man in Brüssel Elemente für den Weg zum Erreichen eines „Preisdeckels“ abgestimmt hätte. Details müssten aber noch in den entsprechenden Ministerien der Mitgliedsländer ausgearbeitet werden.
Vom Wesen der Sache her konnten die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene neue Paket von Maßnahmen zur Bekämpfung der Energiekrise inkl. der Vorschläge zur Etablierung eines „dynamischen Korridors für die Gaspreise“ nicht bestätigen. Sie haben lediglich der Europäischen Kommission und dem EU-Rat „strategische Anweisungen“ zur weiteren Überarbeitung dieser Vorschläge gegeben. Gerade dies bezeichnete der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, als eine „Vereinbarung“ zu den Ergebnissen der mehr als zehnstündigen Diskussion beim Summit. Die Staats- und Regierungschefs forderten unter anderem von der EU-Kommission, keine Normierung des Gasverbrauchs in den Ländern der Gemeinschaft zuzulassen, aber auch zu garantieren, dass die künftigen Maßnahmen zur Kontrolle der Erdgaspreise nicht die existierenden langfristigen Verträge über seine Lieferungen beeinflussen.
Gerade daher ist die Rundtischdiskussion in der Agentur „Russland heute“ auch von besonderem Interesse. Es ist klar, dass die Moderatorin der Rundtischdiskussion die Notwendigkeit der Erörterung mit den wichtigen Ereignissen der vergangenen Tage begründete. Und dies war vor allem der Abschluss der in Moskau erfolgten Russischen Energiewoche, bei der traditionsgemäß die Entwicklungsperspektiven für den russischen Brennstoff- und Energiekomplex sowie die Möglichkeiten für eine internationale Zusammenarbeit im Energiebereich diskutiert wurden. Zu einer solcher wichtigen internationalen Vorhaben wurde die Idee für die Etablierung eines Gas-Hubs in der Türkei, worüber Russlands Präsident Wladimir Putin bei den am 13. Oktober in Astana erfolgten Gesprächen mit dem türkischen Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan gesprochen hatte. Über die Ergebnisse dieser Energiewoche, über die Möglichkeiten der Schaffung eines Gastransport- und preisbildenden Hubs am Schwarzen Meer, über die Perspektiven für die Gaslieferungen nach Europa, aber auch über die nichts mit der Marktwirtschaft gemein habenden Maßnahmen des Kampfes der Europäer gegen die Energiekrise ging es auch im Rahmen der Rundtischdiskussion in der Nachrichtenagentur „Russland heute“.
Zweifellos schaffen die Diversionsakte Ende September an den Pipelines „Nord Stream 1“ und „Nord Stream 2“, der Unwille der Europäer, Russland zur Untersuchung der Ursachen für das Geschehen zuzulassen (obgleich ein von GAZPROM gechartertes Spezialschiff schon erste Untersuchungen an den Schadstellen der beiden Gaspipelines mit umfangreichen Video- und Foto-Aufnahmen in der zweiten Oktoberhälfte vorgenommen hat – Anmerkung der Redaktion), das Verschleppen des Beginns von Instandsetzungsarbeiten und die für die eigene Bevölkerung mörderische Energiepolitik der Europäischen Union, die letztlich Glieder einer Kette sind, für die EU-Länder düstere Perspektiven für den kommenden Winter. Und diese Perspektive wurde gleichfalls durch die Teilnehmer der Diskussion besprochen, unter denen der Rektor der Russischen staatlichen I.-M.-Gubkin-Universität für Erdöl und Gas, Prof. Viktor Martynow, der Generaldirektor der Stiftung für nationale Energiesicherheit und Professor der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation, Konstantin Simonow, und Wjatscheslaw Mistschenko, Leiter des Zentrums für die Analyse von Strategien und Technologien für die Entwicklung des Brennstoff- und Energiekomplexes aus der Gubkin-Universität, waren. Vervollständigt wurde der Teilnehmerkreis durch Nikita Golunow, Leiter des Lehrstuhls für Projektierung und den Betrieb von Gas- und Ölpipelines der Gubkin-Universität, und Leonid Grigorjew, wissenschaftlicher Leiter des Departments für Weltwirtschaft der Fakultät für Weltwirtschaft und internationale Politik an der Moskauer Hochschule für Wirtschaftswirtschaften.
Aus der Sicht von Viktor Martynow, der den Versuch unternahm, den Ergebnissen der Russischen Energiewoche eine Wertung zu geben, seien einer der Hauptaspekte die Diskussionen über die Absicht des Westens, eine Obergrenze für die Preise für russische Kohlenwasserstoffe festzulegen, gewesen. Er ist der Annahme, dass es verfrüht sei, darüber zu sprechen, wie sich der Energiemarkt verändern werde. Unbekannt seien noch viele seiner Komponenten. Eines sei aber klar, dass sich Russland keinem Diktat beugen werde. Den Ländern, die Obergrenzen für die Preise einführen, würden keine Energieressourcen geliefert werden. Und Russland werde selbst den eigenen Verbrauch an Energieressourcen entwickeln. In dieser Hinsicht nannte er die Erweiterung des Prozesses der Gasifizierung (Anschluss an eine zentrale Gasversorgung – Anmerkung der Redaktion) und die Verarbeitung von Kohlenwasserstoffen, unter anderem eine tiefgreifende Verarbeitung.
Seinem Auftritt nach zu urteilen, sei Russland nicht gewillt, sich von einer Gasversorgung für Europa zu verabschieden. Übrigens, bei seinem Auftritt während der Russischen Energiewoche hatte Präsident Putin betont, dass es möglich sei, die beschädigten Gaspipelines instand zu setzen. Dies zu tun, sei nur im Falle deren weiteren, wirtschaftlich gerechtfertigten Nutzung und bei einer Gewährleistung der Sicherheit der Transportrouten zweckmäßig.
Wenn aber Russland von der Absicht spricht, die Gasversorgung für Europa fortzusetzen, so geht es in diesem Fall um eine Verlegung das Gas-Hubs aus Deutschland in die Türkei. Anstelle der zwei Stränge von „Turk Stream“ kann man vier bauen. Der türkische Hub kann ein internationaler sein, da auch aserbaidschanisches Gas in die Türkei gelangt. Und möglicherweise wird über die Transanatolische Gaspipeline Gas auch anderer Länder fließen. Dies ist eine Idee für die Perspektive, die Änderungen an der Beurteilung der Zukunft das Gasmarktes in Europa bewirken kann.
Wie Wjatscheslaw Mistschenko meint, sei die Mitteilung des russischen Präsidenten hinsichtlich der Schaffung eines Gas-Hubs in der Türkei für Europa eine gewisse Sensation für einen großen Kreis der Öffentlichkeit gewesen. Hier ist es natürlich angebracht, die Leser an die Position vor allem der bundesdeutschen Grünen zu erinnern, die anfangs die Inbetriebnahme von „Nord Stream 2“ blockiert hatten und sich nach den Diversionsakten gegen drei Stränge der Ostsee-Gaspipelines anschickten, die Andeutungen zu machen, dass dies angeblich eine Sache von Russland selbst gewesen sei. Aus der Sicht von Mistschenko würde ein Gas-Hub das über ihn verlaufende Gas anonymisieren. Und da werde es keinerlei Politik geben.
Weiter würde über einen Korridor durch die Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn, die Slowakei und eventuell Österreich dieses Gas bereits ohne einen politischen Anstrich zu den Verbrauchern in Europa gelangen. Dies würde auch den Perspektivreichtum des türkischen Hubs begründen. Er ist auch aus der Sicht der Sicherheit perspektivreich, da die Gasleitungen für ihn in einer erheblich größeren Tiefe als in der mehr oder weniger seichten Ostsee liegen.
Eine andere Frage ist: Werden die europäischen Länder unter den gegenwärtigen Bedingungen die Möglichkeiten des neuen Hubs nutzen, zumal man da nicht bestimmen werden kann, wessen Gas gekauft wird.
Aufmerksamkeit verdient, dass die Administration des US-Präsidenten bereits die Führung der Türkei hinsichtlich der Notwendigkeit gewarnt hat, das restriktive Regime einzuhalten, das in Bezug auf den Kreml wirkt. Ihren zweitätigen Besuch in Ankara und Istanbul hat jüngst die stellvertretende US-Finanzministerin Elizabeth Rosenberg beendet, die mit dortigen offiziellen Vertretern die „Beseitigung von Risiken im Zusammenhang mit einem Ausweichen vor den Sanktionen und einer anderen widerrechtlichen Finanztätigkeit“ erörterte. Derartige Türkei-Besuche westlicher Beamter werden zu häufigen, was Präsident Recep Tayyip Erdogan veranlasst, sich an den Druck anzupassen.
Im Verlauf der Reise hatte sich Elizabeth Rosenberg mit Kollegen aus dem Finanz- und aus dem Außenministerium der Türkei getroffen. Außerdem führte die Beamtin aus Washington Verhandlungen und Gespräche mit Vertretern des privaten finanziellen und kommerziellen Sektors, von Wissenschaftler-Kreisen und der Zivilgesellschaft. „Bei den Begegnungen tangierte Rosenberg eine ganze Reihe von Themen, unter ihnen Sanktionen und Maßnahmen zur Exportkontrolle, die gegen Russland durch eine breite Koalition aus mehr als 30 Ländern verhängt wurden, sowie die Energiesicherheit, Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Diese Treffen bestätigten die Wichtigkeit einer engen Partnerschaft zwischen den USA und der Türkei bei der Beseitigung der Risiken, die mit einem Umgehen der Sanktionen und einer anderen widerrechtlichen Finanztätigkeit zusammenhängen“, teilte das US-Finanzministerium mit.
Hinsichtlich einer Preis-Obergrenze betonte Konstantin Simonow, dass das Hauptereignis des laufenden Jahres der Versuch des Westens sei, die marktwirtschaftlichen Beziehungen im Gassektor zu liquidieren. Die Einmaligkeit der gegenwärtigen Energiekrise bestehe darin, dass sie nicht durch die Erzeuger, wie das in früheren Jahren gewesen sei, sondern durch die Käufer geschaffen werde. Sie würden Probleme auslösen, die sich sowohl auf die Preise als auch die Logistik auswirken würden. Und wenn die vorangegangenen Experten von der Etablierung eines Hubs in der Türkei gesprochen hätten, so müsse man verstehen, dass er nur in dem Falle funktionieren werde, wenn es gelinge, die marktwirtschaftlichen Beziehungen nach Europa zurückzubringen.
Derweil soll ab dem 5. Dezember das sechste Sanktionspaket der Europäischen zur Wirkung kommen, das durch ein achtes Paket ergänzt wurde. Bekanntlich sieht das sechste EU-Sanktionspaket die Einstellung des Exports russischen Erdöls über Seehäfen vor. Und entsprechend dem achten Paket sollen die europäischen Unternehmen keine Versicherungs- und andere Leistungen im Falle eines Seetransports russischen Erdöls in Drittländer erbringen. Die Modalitäten für die Umsetzung der Pakete sind aber aufgrund ihrer unklaren Formulierungen bisher unklar.
In dieser Hinsicht spielt die Entscheidung der OPEC-Plus-Staaten Russland in die Hand. Schließlich nimmt sie den Ländern, die Sanktionen verhängen, alternative Varianten für einen Erhalt von Erdöl. Die Unterstützung für die Handlungen Russlands seitens Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate (schließlich haben vor allem sie die Entscheidung über die Drosselung der Ölförderung umzusetzen) belegt, dass diese Länder eine weitere Degradierung des Marktes im Ergebnis der Handlungen der USA und der EU befürchten.
Hinsichtlich der Frage nach der Energiesicherheit der Europäer in diesem Winter äußerte sich auf Bitten der Moderatorin Leonid Grigorjew. Nach seiner Meinung könnten die EU-Länder für sich nach der vollständigen Einstellung der Gaslieferungen aus Russland keine Energiesicherheit gewährleisten. Bisher könne Russland Gas über das ukrainische Gastransportsystem und die Pipeline „Turk Stream“ nach Europa liefern. Dies seien um die 100 Millionen Kubikmeter Gas am Tag.
Freilich berücksichtigt Grigorjew in diesem Fall nicht die russischen LNG-Lieferungen. Die Sache ist, dass ungeachtet der geopolitischen Zuspitzung Europa die Einkäufe russischen LNG vor dem Hintergrund des Rückgangs der „Gazprom“-Lieferungen über Pipelines fordert. In den ersten neun Monaten dieses Jahres hat der Export russischen LNG nach Europa um das 1,5fache zugenommen und 15 Milliarden Kubikmeter erreicht. Daher sind einige Analytiker der Auffassung, dass die Zunahme der LNG-Lieferungen die Stabilität dieses Exportkanals demonstriere und die Notwendigkeit belege, gerade ihn zu entwickeln und keine neuen Gaspipelines zu bauen. Mehr noch, es gibt Experten, die der Meinung sind, dass das Setzen auf LNG beinahe der einzige Ausweg für Russland nach den Diversionsakten an den Ostsee-Gaspipelines und des Versuchs eines Diversionsaktes gegen „Turk Stream“ (worüber Putin jüngst berichtete – Anmerkung der Redaktion) sei. Auf jeden Fall denkt so der Experte der Stiftung für nationale Energiesicherheit Igor Juschkow in Bezug auf Europa.
„Gazprom“ hat die Erzeugung von LNG in einem Betrieb aufgenommen, der sich neben der Verdichterstation Portowaja (Beginn der Pipeline „Nord Stream 1“ – Anmerkung der Redaktion) im Verwaltungskreis Wyborg des Leningrader Gebietes befindet. Ein Problem für Russland ist die Tatsache, dass der Westen den Zugang zu Technologien für die Herstellung von LNG in großen Umfängen versperrte. Technologien für die Erzeugung von LNG in mittleren Umfängen haben sowohl „Gazprom“ als auch „NOVATEK“. Es ist aber verständlich, dass jegliche Gaspipeline eine weitaus größere Leistung als ein Betrieb für die Herstellung von LNG in mittleren Umfängen besitzt. Die Inbetriebnahme solches eines Betriebes ist jedoch die Möglichkeit, zumindest einen Teil der europäischen Verbraucher mit Gas zu versorgen.
Im vergangenen Winter, meinte Grigorjew, hätte die EU im November, Februar und März jeweils 40 Milliarden Kubikmeter Gas verbraucht. Und im Dezember-Januar – jeweils 50 Milliarden Kubikmeter Gas. Im Dezember letzten Jahres hatte „Gazprom“ für Europa täglich bis zu 460 Millionen Kubikmeter Gas bereitgestellt. Heutzutage nur 60 Millionen Kubikmeter Gas am Tag. Grigorjew nimmt an, dass in Europa die Vernunft triumphieren werde. Und dies könnte man – ausgehend von der derzeitigen Situation – als die Möglichkeit für die Inbetriebnahme des nach den Diversionsakten unversehrt verbliebenen zweiten Strangs von „Nord Stream 2“ ansehen. Er machte aber sofort einen Vorbehalt geltend, wobei er betonte, dass politische Entscheidungen in Europa separat von einer ingenieurtechnischen und energiewirtschaftlichen Analyse getroffen werden würden.
Zugunsten solch einer Vermutung sei angemerkt, dass derzeit fieberhaft nach einem Ersatz für das russische Erdgas gesucht, sei dies nun im Nahen Osten, in den USA oder in Norwegen. Bisher sind beispielsweise die Deutschen bis zur industriemäßigen Anwendung des Verfahrens eines Frackings für die Förderung von Schiefergas in Deutschland an sich noch nicht gegangen. Obgleich Deutschland über Vorräte im Umfang von 0,7 bis 2,3 Billionen Kubikmeter Schiefergas verfügt. Und seine Förderung würde sicherlich das Problem der Gasversorgung des Landes lösen (vorausgesetzt die Umweltschützer machen dem keinen Strich durch die Rechnung, da das Hydro-Fracking mit sogenannten kleinen Erdbeben einhergeht, die der betroffenen Bevölkerung wohl kaum gefallen werden – Anmerkung der Redaktion).
Vieles werde in der Perspektive von der Wirtschaftskonjunktur abhängen. Und nach Aussagen von Grigorjew werde Europa gegenwärtig in eine Rezession hineingezogen.