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Russland stellt sich mit großen Reserven und einem anormalen Haushaltsplus den kommenden Stabilitätsprüfungen


Die Zunahme der militärischen Spannungen zwischen Russland und den Ländern des Westens wirkt sich auch auf die einheimische Wirtschaft aus. Es nehmen die Risiken einer Abkopplung der Russischen Föderation vom internationalen System des Zahlungsverkehrs zwischen Banken SWIFT zu, es verschlechtern sich die Perspektiven für die Inbetriebnahme der Exportgasleitung „Nord Stream 2“, und es erklingen Androhungen von empfindlicheren Wirtschaftssanktionen gegen den russischen Export. Dabei gestehen einige westliche Experten ein, dass die russische Wirtschaft eine große Stabilität unter den Bedingungen des Sanktionsdrucks demonstriert habe. Und selbst „höllische“ Sanktionen seien nicht imstande, die Wirtschaft der Russischen Föderation schnell zu zerstören. Die Reserven des Landes wachsen weiter an, der Etat wird mit einem anormalen Plus realisiert.

Das Finanzministerium erwarte eine Umsetzung des Haushalts der Russischen Föderation im Jahr 2021 mit einem Plus im Bereich von 0,5 Prozent des BIP, teilte am Freitag Finanzminister Anton Siluanow mit. Freilich, wie das gesamte Jahr 2021 gezeigt hat, macht es keinen Sinn, allzu sehr den von der Führung des Finanzministeriums genannten Zahlen aufgrund ihrer zahlreichen Nichtübereinstimmungen mit der Realität zu glauben. Unabhängige Experten schätzen, dass die Einnahmen die Ausgaben mit 1,8 Prozent des BIP übersteigen würden. Laut Angaben des Finanzministeriums sei der föderale Haushalt im Zeitraum Januar-November mit einem Plus von 2,338 Billionen Rubel erfüllt worden was etwa zwei Prozent des BIP entsprechen würde. Der Umfang der internationalen Reserven machte mit Stand vom 10. Dezember 625,5 Milliarden Dollar aus, wobei sie innerhalb einer Woche um 2,7 Milliarden Dollar oder um 0,4 Prozent gewachsen sind. Dies geschah im Ergebnis von Operationen zum Erwerb ausländischer Devisen im Rahmen der Haushaltsregel, aber auch aufgrund einer positiven Neubewertung, teilte am Donnerstag die Zentralbank mit.

Gleich danach hob die Zentralbank den Leitzins von 7,5 auf 8,5 Prozent an. Im gesamten zu Ende gehenden Jahr hat die Zentralbank den Leitzins zweimal angehoben, was in der Geschichte noch nie der Fall gewesen war (mit Ausnahme des Krisenjahres 2014). Die Zentralbank gab bekannt, dass die Geld- und Kreditbedingungen bisher nicht so strenge seien, um eine Rückkehr der Inflationsrate zum Target (Ziel) im Jahr 2022 zu fördern. Obgleich (ZB-Chefin) Elvira Nabiullina behauptet, dass die Inflationsrate in der Russischen Föderation bis Ende kommenden Jahres zu 4 bis 4,5 Prozent zurückkehren werde, halten dies viele unabhängige Experten für wenig wahrscheinlich. Eine der Ursachen liegt darin, dass die Politik der Anhebung der Zinssätze, die die ZB seit März dieses Jahres verfolgt, die in Russland an Tempo gewinnende Inflation praktisch nicht beeinflusst.

Dabei hat der Anstieg der Preise in der Russischen Föderation bereits viele nationale Projekte aufgrund der Ablehnung von Bau-Auftragnehmern, sich der Verträge mit nichtadäquaten und offenkundig zu gering kalkulierten Budgets anzunehmen, zum Stoppen gebracht. Vizepremier Marat Chusnullin teilte am Mittwoch auf einer Tagung des Präsidialrates mit, dass viele große Firmen nicht an staatlichen Bauvorhaben teilnehmen wollen. Den Baufirmen passt unter anderem nicht der unerprobte Mechanismus für das Reagieren der Finanz-Offiziellen auf die Verteuerung der Baumaterialien. „Wir bereiten derzeit einen Mechanismus bis zum Jahresende vor. Und im Falle eines weiteren Preisanstiegs für die Materialien werden diese Verteuerung kompensieren, wenn sie größer ist als in unserem Beschluss verankert wurde“, versprach Chusnullin. Es geht um einen bestätigten Beschluss, der erlaubt, die Preise von staatlichen Bauverträgen in einem Spielraum von 30 Prozent bei einer Verteuerung der Baumaterialien anzuheben.

Die Selbstkosten des Wohnungsbaus in Russland sind seit Jahresbeginn um 22 Prozent angestiegen, teilte Chusnullin bei einer Tagung des Rates für strategische Entwicklung und nationale Projekte mit. „Die Schulen sind bereits um 26 Prozent bei der Errichtung teurer geworden, der Wohnraum – um 22 Prozent, Metall- bzw. Stahlbetonbrücken mit Brückenbögen – um 30 Prozent, ingenieurtechnische Netze – um 19 Prozent“, erklärte Chusnullin. Nach seinen Worten seien Metall und Bitumen um 70 Prozent teurer geworden, und Bausand – fast um 100 Prozent.

Derweil erklingen in der Russischen Föderation immer häufiger Warnungen vor der Gefahr einer Stagnation oder gar einer Stagflation. Das Hauptrisiko des kommenden Jahres bestehe in einer Rückkehr zu einer Stagnation, erklärte am Freitag Alexej Wedjew, Leiter des Labors für Finanzstudien des Gaidar-Instituts. Die operative Dezember-Statistik zeuge von einer wahrscheinlichen Verschlechterung der Situation in der Wirtschaft, teilten am Freitag Spezialisten des Zentrums für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung mit. Eine Stagnation sei praktisch hinsichtlich aller Komponenten des BIP zu beobachten, sowohl hinsichtlich der Investitionen in das Grundkapital als auch hinsichtlich des Konsums der Bevölkerung und bezüglich des Exports. Die Inflationsrate sei nach wie vor hoch. Und es halte das Risiko eines beschleunigten Preisanstiegs für die Produkte an, die aus Getreide, Fleisch- und Milchprodukten und Erdölprodukten erzeugt werden. Die Jahresinflationsrate werde auf einem Stand von 8 bis 8,3 Prozent geschätzt, schreibt man im erwähnten Zentrum.

Am Freitag trat der russische Präsident Wladimir Putin beim Kongress des Russischen Industriellen- und Unternehmerverbands auf und versprach, dass der Russischen Föderation „eine großangelegte Transformation des Wirtschaftslebens bevorsteht. Dies sind sowohl die Digitalisierung als auch die ökologische Agenda sowie die Schaffung faktisch neuer Branchen“. Nach seinen Worten dürfe das Big Business die Lösung der ökologischen Probleme aufschieben.