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Russland und Kirgisien vor einer Revision ihrer Beziehungen


Kirgisiens Präsident Sadyr Dschaparow wird am 8. und 9. Mai auf Einladung des Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin, Russland einen offiziellen Besuch abstatten. Dies teilte der Leiter der Abteilung für Außenpolitik der Administration von Kirgisiens Staatsoberhaupt, Muratbek Asymbakijew, mit und wurde auch in Moskau bereits offiziell bestätigt. Wie man der „NG“ in der Administration des kirgisischen Präsidenten erklärte, würden die Beziehungen zwischen den Ländern einen Aufschwung erleben, es gebe aber auch Probleme. Unter anderem verhängt die russische Agrar-Aufsichtsbehörde Rosselchosnadzor gelegentlich Verbote für Lieferungen von Nahrungsmitteln aus Kirgisien. Dieses Mal tangierte dies Milchprodukte. In Bischkek bringt man dies mit dem Gesetz über die Staatssprache in einen Zusammenhang.

Der Moskau-Besuch von Sadyr Dschaparow erfolgt nach einer Serie von Gesprächen und Verhandlungen mit US-amerikanischen Beamten. Am 24. April empfing er den Berater des US-Außenministers für Süd- und Zentralasien, Donald Lu, mit dem er erreichte Vereinbarungen und die geplante Zusammenarbeit im Bereich der Gewinnung von Investitionen für die „grüne Wirtschaft“ erörterte. Donald Lu bestätigte unter anderem die Absichten der amerikanischen Seite, die Wirtschaftskooperation mit Kirgisien zu entwickeln, und versprach Unterstützung bei der Entwicklung der digitalen Wirtschaft. Es ist nicht üblich, solche Angebote auszuschlagen, umso mehr durch das arme Land, das in den letzten Jahren faktisch einen Großteil der ausländischen Investitionen verloren hat.

Aber außer „Zuckerbroten“ wird es auch eine „Peitsche“ von den USA geben. Vom 26. bis 28. April weilte eine Delegation des US-Finanzministeriums in der kirgisischen Hauptstadt. Die Beraterin der US-Finanzministerin für eine Bekämpfung der Finanzierung von Terrorismus und von Finanzverbrechen, Elizabeth Rosenberg, befasste sich mit Fragen einer Beteiligung Kirgisiens an der Umgehung von Sanktionen in der Zusammenarbeit mit Russland. Experten schließen nicht aus, dass punktuelle Sanktionen gegen die kirgisischen Unternehmer verhängt werden können, die besonders eng mit der Russischen Föderation zusammenarbeiten. Wird sich dies auf die Beziehungen mit Russland auswirken? Wohl kaum, meinen Experten, da Moskau Bischkek als einen zuverlässigen Partner ansehe.

Der Co-Vorsitzende der Regierungskommission, Russlands Vizepremier Alexej Owertschuk, erklärte bei deren letzten Tagung, dass die Entwicklung der Kontakte das positiv beeinflusse, dass Kirgisien und die Russische Föderation strategische Partner und Verbündete bleiben würden. Die Zusammenarbeit zwischen den Ländern trage einen realen mehrschichtigen Charakter und sei auf die Entwicklung der eurasischen Integrationsprozesse ausgerichtet. „Die Beziehungen der beiden Bruderländer basieren auf einer langen (gemeinsamen) Geschichte, gegenseitiger Achtung und Vertrauen“, unterstrich Owertschuk.

Entsprechend den Ergebnissen der Tagung der gemeinsamen Regierungskommission wurden durch die Ministerkabinette Kirgisiens und Russlands ein Programm für die Wirtschaftszusammenarbeit bis zum Jahr 2027 unterzeichnet. Russland wird der Hauptlieferant von Kraft- und Schmierstoffen sowie von Elektroenergie, die in den letzten Jahren in der Republik katastrophal nicht ausreicht, bleiben. Aus militärischer Sicht hat Moskau im Rahmen des Abkommens über die Schaffung eines vereinigten Systems der Luftverteidigung nicht nur den Luftraum über Kirgisien, sondern auch über der gesamten Region gesichert.

Der Moskau-Besuch von Kirgisiens Präsident gilt auch den Feierlichkeiten zum wichtigsten Feiertag – zum Tag des Sieges. „Wir erinnern uns natürlich auch ständig daran, was für einen Beitrag Kirgisien für diesen Sieg und für die Verteidigung Moskaus geleistet hat. Dies ist für uns heilig“, betonte der Vizepremier der russischen Regierung.

„Der Moskau-Besuch von Sadyr Dschaparow, dies ist nicht nur den Erinnerungen an den Großen Vaterländischen Krieg geschuldet, sondern er wird auch einen Handels- und Wirtschaftscharakter tragen. Es gibt Insider-Informationen, dass im Verlauf der Gespräche Fragen einer Erweiterung des Russisch-kirgisischen Entwicklungsfonds erörtert werden, der seit 2015 eine Rolle bei der Unterstützung der Entwicklung von Projekten, die auf einen Export kirgisischen Erzeugnisse ausgerichtet sind, spielt“, sagte der „NG“ Igor Schestakow, Direktor des in Bischkek ansässigen Zentrums für Experten-Initiativen „Oy Ordo“ (deutsch: „Zentrum für Ideen“). Nach Meinung des Experten würden auch Fragen des Zusammenwirkens im Energie-Bereich diskutiert werden. Es sei daran erinnert, dass im Verlauf des ersten Moskau-Besuchs von Sadyr Dschaparow im Februar 2021 die Seiten die Gewinnung russischer Investoren für die Energie-Vorhaben hinsichtlich der Errichtung des Kambarata-Wasserkraftwerks-2, der Suusamyr-Kaskade und der Kaskade für den Kirowsk-Stausee vereinbart hatten. Aber weiter als bis zu einer Erörterung sind diese Pläne bisher nicht vorangekommen, während die Republik dringend Elektroenergie braucht.

Allem nach zu urteilen, erwartet das russische Business eine vollständige Stabilisierung der innenpolitischen Situation in Kirgisien. Damals hatte Wladimir Putin bei den Gesprächen gesagt: „Wir hoffen sehr darauf, dass es Ihnen gelingen wird, die innenpolitische Situation zu normalisieren“. In den letzten drei Jahren haben die Kirgisen jedoch nicht aufgehört, zu Meetings und Kundgebungen auf die Straßen zu gehen. Die größten waren die Aktionen gegen eine Übergabe des Kempir-Abad-Stausees an Usbekistan. Und nur durch Massenfestnahmen von Aktivisten und den Anklagen hinsichtlich eines Staatsstreichversuches war es den Herrschenden gelungen, diese Frage ad acta zu legen.

„Insgesamt wird der Besuch auf eine Entwicklung der Handels- und Wirtschaftskooperation im begonnenen Jahr fokussiert werden, da Russland heute einer der entscheidenden Handelspartner Kirgisiens ist. Im vergangenen Jahr ist ein nie dagewesenes Wachstum des Handelsumsatzes fixiert worden – bis auf 3,4 Milliarden Dollar. Freilich verbinden einige Experten dies mit dem parallelen Import, der aus China nach Russland erfolgt“, betonte Schestakow, wobei er unterstrich, dass es in den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder auch nicht wenige Probleme gebe.

Unter anderem findet die russische Agrar-Aufsichtsbehörde Rosselkhosnadzor regelmäßig Verstöße bei der Herstellung kirgisischer Nahrungsmittel. Seit Beginn des Jahres wurde ein Verbot für die Lieferungen kirgisischer Forellen und deren Rogen verhängt. Im letzteren waren verbotene Chemikalien gefunden worden. In Halal-Wurstwaren fand man Schweinefleisch. Und dieser Tage wurde die Einfuhr kirgisischer Molkereiprodukte gestoppt. Dies hat den Unmut einer Reihe von Vertretern des öffentlichen Lebens, von Vertretern aus NGOs ausgelöst, die den Parlamentsabgeordneten die Frage nach einer Zweckmäßigkeit der Mitgliedschaft Kirgisiens in der Eurasischen Wirtschaftsunion gestellt haben.

„Zweifellos müssen die kirgisischen Hersteller die Qualität ihrer Erzeugnisse kontrollieren. Aber eine Reihe von Experten tendiert zu der Meinung, dass in diesem Fall die Ursache nicht in der Qualität, sondern in der Politik liege. Sie verbinden das Verbot für Lieferungen von Erzeugnissen mit der Sprachen-Frage, die seit Beginn des Jahres im Trend bei den Abgeordneten liegt – die Frage nach der Verabschiedung der Gesetzesvorlage über die Staatssprache“, meint Igor Schestakow. Es sei daran erinnert, dass der Gesetzentwurf zwei Lesungen absolvierte. Wenn er verabschiedet wird, wird der gesamte Dokumentenverkehr im Land nur in der kirgisischen Sprache abgewickelt werden. Zu einem nächsten Schritt kann die Verringerung des Status der russischen Sprache werden – von einer offiziellen bis zu einer Sprache für zwischennationale Kontakte. Der Experte ist der Annahme, dass ungeachtet der formulierten Versicherungen der Offiziellen, dass das Gesetz das Wirken der offiziellen Sprachen nicht einschränken werde, dennoch Befürchtungen bleiben würden. Auf jeden Fall wird bei den anstehenden Gesprächen der Sprachen-Frage eine Bewertung gegeben werden. Zumal Ende März ein Vertrag über die Errichtung von neun Schulen in den Regionen der Republik, in denen der Unterricht in russischer Sprache erfolgen wird, unterzeichnet wurde. Moskau hat für die Realisierung dieses Vorhabens eine halbe Milliarde Dollar bereitgestellt.

„Die Arbeiter-Migration bleibt eines der Schlüsselthemen der Zusammenarbeit als „sanfte Kraft“, als Volksdiplomatie und Garant für die soziale Sicherheit Kirgisiens. Alljährlich überweisen die kirgisischen Migranten mehr als die Hälfte des Jahresetats der Republik ins Land. Im vergangenen Jahr haben sie die Rekordsumme von 2,6 Milliarden Dollar überwiesen. Daher sind beide Länder an einer engeren wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit interessiert, zumal sich die geopolitische Landkarte drastisch verändert hat, wie auch Russlands Außenpolitik“, unterstrich der Experte.

Post Scriptum:

Mit Stand vom Oktober vergangenen Jahres lag die Bevölkerungszahl Kirgisiens über sieben Millionen Menschen. Und von denen arbeiten derzeit mehr als 1,5 Millionen im Ausland. Und diese Zahl nimmt von Jahr zu Jahr zu, meldete am 3. Mai der Pressedienst der Regierung der zentralasiatischen Republik unter Berufung auf Zahlen des Ministeriums für Arbeit und soziale Entwicklung.

Und noch eine Zahl ist im Zusammenhang mit dem umstrittenen parallelen Import aus Kirgisien nach Russland interessant. Die deutschen Exporte nach Kirgisien sind im vergangenen Jahr um 561 Prozent gestiegen, während die Kaufkraft der Bevölkerung und das BIP keine bedeutenden Steigerungen vorweisen konnten. Folglich liegt der Verdacht nahe, dass ein Teil dieser eingeführten Waren gen Russland weitergeleitet werden. Und damit läuft Bischkek Gefahr, von EU- und anderen westlichen Sanktionen erfasst zu werden.