Das erste Halbjahr des neuen Studienjahres geht dem Ende zu. Die Hochschulen beginnen, Bilanz zu ziehen und das Kontingent zu analysieren, das zu ihnen gekommen ist und immatrikuliert wurde. Die Hauptbilanz: Die Studenten des 1. Semesters sind sozusagen von Anfang an vom Virus der Erfolglosigkeit infiziert. Und dieser Zustand wird von der Schule aus an die Hochschulen und danach in das Berufsleben weitergegeben.
Einen traurigen Zustand der Angelegenheiten konstatieren die Hochschulprofessoren. Dieser Tage berichtete Prof. Leonid Golowko von der Moskauer Staatlichen M.-W.- Lomonossow-Universität über sensationelle Zahlen, die eine Vorstellung vom Niveau der Abiturienten in den russischen Hochschulen vermitteln. In einem Interview für die gesellschaftliche Bewegung „Eltern Moskaus“ führte er solche Angaben an: Der Anteil der Studenten, die die ersten Zwischenprüfungen nicht ohne die Bewertung „unbefriedigend“ oder Nachprüfungen bestanden, erreicht 70 Prozent. Unter den Ursachen nannte der Professor die generelle Digitalisierung der Schulausbildung. Die Abiturienten seien nach seiner Meinung nicht in der Lage, das Material zu strukturieren und das Wichtigste herauszukristallisieren. Sie würden keine Fertigkeiten für ein schriftliches Darlegen von Gedanken besitzen. „Sie können sich nur Videos anschauen sowie eine Präsentation oder eine elektronische Tafel abfotografieren. Gleichfalls mangelt es ihnen an allgemeinen Grundkenntnissen, auf deren Grundlage die Hochschulen bei der Vermittlung von Fachwissen aufbauen könnten“, erklärte der Professor.
Allerdings sind auch die Hochschullehrer schon nicht mehr jene Altruisten und Vorreiter wie in früheren Zeiten. Forscher aus der Nationalen Forschungsuniversität „Hochschule für Wirtschaftswissenschaften“ (mit Sitz in Moskau) betonen in ihrem „Monitoring der Wirtschaft des Bildungswesens“, dass die Belastung der Hochschullehrer durch Unterrichtsstunden eine große sei. Und seit 2019 habe sie noch erheblich zugenommen. Wahrscheinlich haben jetzt die Hochschullehrer einfach keine Zeit, um sich mit neuen Herangehensweisen des Unterrichtens vertraut zu machen. Ja, und eine Inspiration haben auch schon nicht mehr. So haben die Daten einer Befragung, die von der „Nationalen Universitätsinitiative für die Qualität der Ausbildung“ ein sehr besorgniserregendes Bild vermittelt: 47 Prozent der Hochschullehrer gestanden ein, dass sie sich stark ermüdet fühlen. Und über 45 Prozent hoben hervor, dass sie häufiger, mehr als einmal in der Woche ein Gefühl von Bedrücktheit, Niedergeschlagenheit und Ausweglosigkeit verspüren.
In der Hochschule für Wirtschaftswissenschaften analysierte man, was der Auswahl der Hochschule durch die Abiturienten zugrunde liegt. Es stellte sich heraus, dass die russischen Studenten Universitäten auswählen, um die Chancen für den Erhalt eines Jobs zu erhöhen. Während des Studiums erwarten sie, Freunde zu finden. Sie planen, nur mit solchen Bewertungen wie „sehr gut“ („ausgezeichnet“) und „gut“ zu studieren sowie an wissenschaftlichen Forschungsarbeiten und Projekten teilzunehmen.
Die Befragung zeigte gleichfalls, dass die Universität in den Vorstellungen der meisten Studenten lediglich einer Pufferfunktion zwischen der Schule und dem Arbeitsmarkt erfüllt. Auf eine Entwicklung universeller Fertigkeiten (ein kritisches Denken, Kommunikationsfertigkeiten, analytische Fähigkeiten, die heutzutage für die Arbeitgeber so wichtig sind) ist während des Universitätsstudiums nur ein Viertel der Befragten orientiert. Weiter folgen entsprechend der Popularität Motive, die mit einem Persönlichkeitswachstum (44 Prozent), Lebenserfahrungen (29 Prozent) und einer Erweiterung des Gesichtskreises (19 Prozent) zusammenhängen.
Bemerkenswert ist, dass die Studenten selten das Studium in der Universität als eine Möglichkeit für die Erlangung eines Kultur-Codes ansehen. Die Motive, die mit der Möglichkeit verbunden sind, sich in einem kulturellen und Bildungsumfeld wiederzufinden (15 Prozent), aber auch mit einer Anhebung des eigenen sozialen Status (14 Prozent), gehören zu den am wenigsten populären.
Die überwiegende Mehrheit der Studenten pflichtet dem Gedanken bei, dass eine Hochschulausbildung dem Menschen eine erfolgreiche Karriere sichere und das Erreichen von Lebenszielen erleichtere. Eine noch größere Anzahl der Befragten stimmte jedoch der Meinung zu, dass die Relevanz der Hochschulausbildung in der heutigen Welt überbewertet sei. Die Studenten stimmen eher dem nicht zu, dass der Mensch ohne eine Hochschulausbildung zu einer gering bezahlten und wenig geachteten Arbeit verdammt sei. Anders gesagt: die Hochschulausbildung wird gerade als eine Möglichkeit angesehen, die die Chancen für eine erfolgreiche berufliche Selbstrealisierung erhöht. Sie garantiere sie aber nicht. Und mehr noch: Sie sei nicht die einzige Form für ihr Erreichen.
Die Ergebnisse der Studie differieren nur in wenigen Details mit Angaben des staatlichen Allrussischen Meinungsforschungszentrums (VTsIOM), das zu Jahresbeginn Ergebnisse einer Untersuchung über die Bedeutsamkeit der Hochschulausbildung vorgelegt hatte. Die Meinung von Russlands Bürgern, dass man diese Relevanz oft überbewerte und man ohne eine Hochschulausbildung eine erfolgreiche Karriere machen und sein Leben gestalten könne, wird heute widersprüchlich aufgenommen. Die Befragten bildeten etwa zwei gleiche Gruppen. Mit dieser Aussage einverstanden waren 45 Prozent. 51 Prozent stimmte ihr nicht zu.
Die Jugendlichen sind insgesamt dazu geneigt, die Bedeutsamkeit einer Hochschulausbildung geringer zu bewerten. Der Anteil jener, die der Auffassung sind, dass man in unserer Zeit auch ohne sie eine erfolgreiche Karriere machen und sein Leben gestalten könne, ist in dieser Bevölkerungsgruppe der größte (60 Prozent unter den 18- bis 24jährigen, 52 Prozent unter den 25- bis 34jährigen). Der Anteil der Bürger Russlands, die denken, dass man ohne eine Hochschulausbildung auskommen und Karriere machen könne, sah so aus: Unter den Befragten ohne eine abgeschlossene Mittelschulausbildung – 63 Prozent, mit einer Mittelschulausbildung – 50 Prozent und mit einer Facharbeiterausbildung – 51 Prozent.
Zwölf Prozent der Befragten vertraten die kategorische Meinung, dass weder eine Hochschul- noch eine Facharbeiterausbildung die Gewissheit vermitteln, dass der Absolvent einen hochbezahlten Arbeitsplatz bekommt. In der Gruppe derjenigen, die keine abgeschlossene Mittelschulausbildung besitzen, waren die meisten (41 Prozent), die nicht an die Effektivität weder einer Hochschul- noch einer Facharbeiterausbildung für die künftige Berufstätigkeit und einen würdigen Verdienst glauben.