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Russlands Abschied vom US-Dollar kann zu Euro-Verlusten führen


Die europäischen Banken bereiten sich auf Verlangen der Finanzbehörden auf neue antirussische Sanktionen vor, darunter auch auf eine Loslösung vom System für Finanztransaktionen zwischen den Bank SWIFT. Wenn sich die EU den amerikanischen Sanktionen anschließt, kann sich das Ersetzen der Dollar durch Euro in den russischen Reserven in Vielem als sinnloses erweisen. Enge Finanzbeziehungen mit Russland haben die größten Banken Deutschlands, Frankreichs, Österreichs, Italiens und der Niederlande. In der Hoffnung, ihre Reserven zu sichern, haben die russischen Offiziellen deren Loslösung vom Dollar vorgenommen und den Anteil der europäischen Währung erheblich vergrößert. Experten der „NG“ betonen, dass von einer Konfiszierung der russischen Reserven, in denen der Euro etwa ein Drittel ausmache, bisher keine Rede sei. Doch ein Verbot für die Nutzung des Euros im Außenhandel führe zu einer Zunahme der Unkosten sowohl für die Bürger Russlands als auch für die Europäer.

Vertreter der Europäischen Zentralbank (EZB) haben bei den europäischen Banken um Informationen darüber gebeten, inwieweit sie auf die Möglichkeit der Verhängung harter westlicher Sanktionen gegen Russland bereit sind, darunter dessen Abschaltung vom System SWIFT, informierte „The Financial Times“ auf ihrer Internetseite. Laut Angaben des Blattes habe die EZB eine eigene Beurteilung der Risiken im Zusammenhang mit verschiedenen Varianten für eine Entwicklung der Ereignisse vorgenommen und jenen Banken empfohlen, die aktiv mit Russland zusammenarbeiten, sich auf die Verhängung restriktiver Maßnahmen gegen Moskau vorzubereiten.

Am Mittwochabend hatte Russland von den USA vom Wesen her eine negative Antwort auf die Sicherheitsvorschläge bekommen. Im Zusammenhang damit erklärte man im Kreml, dass es wenig Anlässe für Optimismus gebe. Am Donnerstag erfolgte allerdings eine Stärkung des Rubels. Das heißt: Die Marktakteure haben sichere Anzeichen dafür ausgemacht, dass sich die geopolitische Lage nicht entsprechend dem schlimmsten Szenario entwickeln werde, schlussfolgerten auch Analytiker der Moskauer Investitionsfirma „BKS Welt der Investitionen“.

Als solch ein Szenario wird die Verhängung „bisher nie dagewesener Sanktionen“ im Falle eines durch den Westen erwarteten Einmarschs der Russischen Föderation in die Ukraine. Damit hatte Joseph Biden gedroht. Es ging dabei unter anderem darum, den russischen Banken Operationen mit dem US-Dollar vorzunehmen.

Der Umfang der Kredite, der russischen Unternehmen und Privatpersonen durch ausländische Banken gewährt wurden, erreicht 121 Milliarden Dollar. Daneben befinden sich auf mit Russland verbundenen Depositenkonten rund 128 Milliarden Dollar. Am stärksten mit Russland finanziell verbunden sind unter den europäischen Banken die Société Générale, die österreichische Raiffeisenbank und die italienische UniCredit. Die Europäische Zentralbank hat aber Angaben über die Umfänge der Finanzoperationen in Russland und in der Ukraine auch von anderen Banken abgefragt – unter anderem von der Deutschen Bank und der niederländischen ING.

Russland hat seit 2014 eine ernsthafte Diversifizierung seiner Aktiva aufgrund der Sanktionen vorgenommen, wobei es den Anteil der Dollar-Anlagen in ihnen spürbar verringerte und die in Euro nominierten vergrößerte, schreibt das Institut für internationale Finanzen in einem Report. „Am offensichtlichsten ist die Veränderung der Währungsstruktur der offiziellen Reserven. Auf den Dollar entfallen bei ihnen jetzt 16 Prozent im Vergleich zu den 40 Prozent im Jahr 2014. Obgleich die Veränderungen in der Struktur der Export- und Importverrechnungen und -zahlungen länger erfolgen, sehen wir eine Zunahme des Anteils des Euros in ihnen von weniger als zehn Prozent im Jahr 2013 bis auf beinahe 30 Prozent im Jahr 2021 und eine entsprechende Verringerung des Dollar-Anteils von 80 bis auf 55 Prozent im gleichen Zeitraum“, heißt es in dem erwähnten Papier.

In den Jahren 2010-2013 überstiegen die russischen Investitionen in US-amerikanische Schuldverschreibungen 140 Milliarden Dollar. Aber innerhalb eines Jahres hat die Zentralbank ab Beginn des Julis des Jahres 2017 bis Ende Juni des Jahres 2018 den Anteil des Dollars in den Reserven mehr als halbiert, um 24,4 Prozentpunkte (von 46,3 bis auf 21,9 Prozent, wobei sie gleichzeitig den Anteil des chinesischen Yuans um das 150fache erhöhte – von 0,1 bis auf 14,7 Prozent. Gerade damals war der Anteil des Euros von 25,1 bis auf 32 Prozent angestiegen.

Jüngst meldete die von Elvira Nabiullina geführte Zentralbank Russlands, dass der Anteil der europäischen Währung an den internationalen Reserven der Russischen Föderation ab Mitte des Jahres 2020 bis Mitte des vergangenen Jahres von 29,5 bis auf 32,3 Prozent angestiegen sei, während sich gleichzeitig der Anteil des Dollars bis auf 16,4 von 22,2 Prozent verringert hätte. Der Anteil des Yuans ist von 12,2 bis auf 13,1 Prozent gewachsen. Und der des Pound Sterling von 5,9 bis auf 6,5 Prozent. Der Anteil anderer ausländischer Währungen (des Yens sowie der Dollars aus Kanada, Australien und Singapur) ist bis auf zehn von 7,2 Prozent gestiegen. Der Anteil des Golds verringerte sich um 1,2 Prozentpunkte bis auf 21,7 Prozent. In dieser Zeit hat die Größe der Aktiva der Bank Russlands in ausländischen Währungen und Gold um 24,3 Milliarden Dollar zugenommen und machte 585,3 Milliarden Dollar aus. Zum Jahresende wurden die Reserven bereits mit 630,6 Milliarden Dollar beziffert. Und die letzte veröffentlichte Zahl für den 14. Januar war 638,2 Milliarden Dollar.

Das Finanzministerium der Vereinigten Staaten teilte mit, dass Russland im November die Investitionen in US-amerikanische staatliche Wertpapiere bis auf 2,4 Milliarden Dollar verringert habe. Im Oktober waren es 3,7 Milliarden Dollar und im September 3,9 Milliarden Dollar gewesen.

Der Euro, der in diesem Januar den 20. Jahrestag seiner Einführung in den Bargeld-Umlauf feiert, ist gegenwärtig weltweit die zweitpopulärste Währung nach dem US-Dollar. Mit ihm bezahlen 340 Millionen Bürger von 19 EU-Staaten ihre tagtäglichen Ausgaben. Weitere sieben EU-Länder planen, der Euro-Zone beizutreten. Laut Angaben des Popularitätsratings der Währungen, das durch das System SWIFT erstellt wird, hält sich der Euro mit 38,43 Prozent an zweiter Stelle gleich nach dem US-Dollar, der auf 39,38 Prozent kommt. An dritte Stelle liegt mit einem Anteil von 5,99 Prozent das britische Pfund. Der russische Rubel gelangt jüngst erst ehrenvoll in die Top 20 mit einem Anteil von 0,18 Prozent.

Laut Angaben des Finanzministeriums sind fast zwei Drittel der staatlichen Auslandsschulden der Russischen Föderation in der europäischen Währung nominiert. Geplant ist, in den nächsten acht Jahren etwa die Hälfte der souveränen Schulden in Euro-Obligationen zu tilgen. „Die Möglichkeiten für eine Rückkehr der Russischen Föderation auf den internationalen Kapitalmarkt sind bisher stark eingeschränkt. Anleihen in Dollar sind einfach blockiert“, betonen Experten des Finanzkanals Macro Markets Inside (MMI).

Aufgrund der starken Turbulenzen hat die Zentralbank der Russischen Föderation ab dem 24. Januar den Erwerb von Devisen im Rahmen der sogenannten Haushaltsregel gestoppt. Das heiß: Die Auffüllung der Reserven durch Devisen-Aktiva über den Mechanismus des Erwerbs von Devisen ist faktisch eingestellt worden. Geplant war, dass der tägliche Umfang der Käufe 36,6 Milliarden Rubel ausmachen wird. Das russische Finanzministerium sollte für diese Ziele 585,9 Milliarden Rubel im Zeitraum vom 14. Januar bis einschließlich 4. Februar bereitstellen. Im Juni bezeichnete Finanzminister Anton Siluanow den Ausschluss des Dollars aus den Devisen des Fonds für nationale Sicherheit als einen Schutz der Reserven vor politischen Folgen. Im Pressedienst des Finanzministeriums erklärte man am Donnerstag, die Fragen der „NG“ über die Risiken im Zusammenhang mit einem Verlust russischer Anlagen in Euro an die „zuständige Institution“, an die Zentralbank Russlands, zu richten. In der Zentralbank hüllte man sich jedoch hinsichtlich der Anfragen der „NG“ in Schweigen.

„Wir streben an, die Abhängigkeit vom Dollar zu verringern. Und die Amerikaner helfen uns aktiv dabei, denn sie tun fast alles Mögliche, um das Vertrauen in diese Währung zu untergraben und sie zu einer riskanten für die internationalen Zahlungen nicht nur für die Russische Föderation, sondern auch für jedes beliebige Land der Welt zu machen“, erklärte am Mittwoch der Außenminister des Landes, Sergej Lawrow, bei seinem Auftritt im Rahmen der Regierungsfragestunde in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion). Er rief auf, aktiver das System der Übertragung von Finanzinformationen, das von der Bank Russlands geschaffen wurde, zu nutzen.

Es gehe nicht um eine Konfiszierung unserer in Eurobonds nominierten Reserven, kommentiert Igor Nikolajew, Direktor des Instituts für strategische Analyse des Unternehmens „FBC Grant Thornton“. „In solch einem Aspekt wird die Frage nicht formuliert. Auf der Agenda steht auch keine Konfiszierung unserer Dollar-Anlagen. Restriktionen in Gestalt einer Abschaltung von SWIFT können die laufenden Verrechnungen und Zahlungen beeinflussen. Dies wird eine Zunahme der Schwierigkeiten bei der Realisierung der Außenhandelstätigkeit bedeuten, darunter auch hinsichtlich der in Euro nominierten Verträge. Die Geschäftspartner müssen nach Wegen für eine Lösung des Problems suchen. Dies führt zu einer Zunahme der Kosten. Wobei das Problem für beide Seiten ein akutes ist. Bei uns wird ein Rückgang des Erlöses in Euro beobachtet werden, beispielsweise bei den Lieferungen von Energieträgern nach Europa. Doch auch dort werden die Käufer sich darüber Gedanken machen müssen, womit sie die Lieferungen bezahlen werden. Unsere Verluste werden aber natürlich größere sein, da diese Unkosten zu einer Verringerung der Effektivität des Exports führen werden. Denn teurere Erzeugnisse werden für die Konsumenten weniger attraktiv“, sagt er.

Die Devisenreserven in Euro würden sich in dieser Situation wahrscheinlich verringern, meint der Experte. „Alles wird davon abhängen, wie lange die Sanktionen dauern werden. Die Deviseneinnahmen in Euro werden sich verringern. Und außerdem wird man in der Krise aktiv Mittel aus den Staatsreserven für den kritischen Import ausgeben müssen“, betont Nikolajew.

Die Konvertierung eines Teils der Reserven in Euro werde nicht durch wirtschaftliche, sondern durch politische Erwägungen gerechtfertigt, denkt der Chefanalytiker der Investitionsfirma „TeleTrade“, Mark Goichman. „Die Wahrscheinlichkeit einer Ausdehnung der Sanktionen auf die russischen Euro-Anlagen ist weitaus geringer, auch wenn bei weitem keine im Nullbereich. Die Gefahr besteht aber vor allem in den Sanktionen der USA, die nicht direkt auf andere Länder ausgedehnt werden können. Und unter Berücksichtigung der weitaus größeren gegenseitigen Abhängigkeit der Volkswirtschaften Russlands und der EU werden sich die Europäer wohl kaum leicht auf eine Blockierung von Aktiva und Konten in Euro einlassen. Und gegen eine Abkopplung der russischen Banken vom System SWIFT treten gerade die europäischen Geschäftspartner aktiv auf. Außerdem gibt es neben dem Dollar und dem Euro nicht so viele Anlagen in alternativen Währungen, die hinsichtlich der Sicherheit, Stabilität, Liquidität, Rentabilität und Anwendbarkeit adäquate sind. Ergo ist die Auswahl keine große. Und eine Erhöhung des spezifischen Anteils des Euros hängt notgedrungen auch noch mit diesen Umständen zusammen“, sagt Nikolajew.

Aber wirtschaftlich sei eine Erhöhung des spezifischen Anteils der Reserven in Euro im Vergleich zu denen in Dollar äußerst unvorteilhaft, unterstreicht der Experte. „Erstens, weil die Renditenprozentsätze für die Anlagen in Euro (Obligationen, Depositen u. a.) weitaus geringer als in Dollar sind. Diese Differenz wird sich auch im Weiteren vergrößern, da die Fed (das Federal Reserve System – Anmerkung der Redaktion) der USA Kurs auf eine Verschärfung der Geldpolitik genommen hat und sie bereits im März ihre Zinssätze anheben kann. Bei der Tagung der US-Notenbank vom 26. Januar ist dies noch einmal mit einer größeren Bestimmtheit unterstrichen worden. Die EZB ist bisher aber noch sehr weit davon entfernt. Zweitens steigt der Dollar im Zusammenhang mit diesen Umständen. Und augenscheinlich wird er weiter gegenüber dem Euro steigen. Dem entsprechend verliert Russland, indem es Aktiva aus der US-amerikanischen Währung in die europäische transferiert, sowohl hinsichtlich der Rentabilität als auch beim Kurswert seiner Reserven“, sagt Goichman.