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Russlands Anwälte fürchten Rückkehr in die sowjetische Vergangenheit


Oft beklagen sich Anwälte über schlechte Bedingungen, unter denen sie zu arbeiten gezwungen sind. In den Gerichten gibt es mitunter keine ausreichenden Tische und Stühle für die Verteidiger. Und man verweist sie auf Plätze für Prozesshörer. Die materiellen Unbequemlichkeiten sind mit dem Mangel an Finanzen zu erklären. Das Justizministerium der Russischen Föderation hat jedoch die Schaffung staatlicher juristischer Büros angekündigt, die nach Meinung von Experten kolossale Ausgaben erfordern würden. Anstatt für die Verbesserung des bestehenden Systems Ausgaben vorzunehmen, etablieren die Herrschenden eine neue Struktur mit kontrollierbaren Anwälten, die ständige finanzielle Investitionen aus dem Etat zwecks dessen Verwaltung verlangt.

Das Besuchen von Mandanten in U-Haftanstalten wird für die Verteidiger zu einer Qual, die gezwungen sind, Stunden in Warteschlangen aufgrund des Mangels an Gesprächsräumen zu stehen. Oft findet sich für sie auch in den Gerichten kein Platz. Den Anwälten mangelt es an Tischen, und man platziert sie auf den Zuhörer-Plätzen, von wo aus es schwierig ist, den Prozess zu verfolgen, oder man setzt sie demonstrativ mit dem Mandanten auseinander, damit sie sich nicht vertraulich unterhalten können. Außerdem sind ungeachtet der deklarierten Gleichheit der Parteien für die Verteidiger oft keine Arbeitszimmer in den Gerichten vorgesehen, obgleich es diese für die Staatsanwälte gibt. Solcher Beispiele gibt es nach Aussagen von Anwälten eine Menge, doch Verbesserungen sind nicht abzusehen, da die Offiziellen für die materiellen Bedürfnisse der Verteidiger keine Mittel haben.

„Der Raum des Gerichts ist ein gemeinsamer Arbeitsraum für alle: für Richter, die Mitarbeiter des Apparats der Gerichte, die Staatsanwälte und Anwälte“, sagte der „NG“ Dr. jur. Maxim Nikonow, Anwalt des Zentralen Anwaltskollegiums der Stadt Wladimir, wobei er bestätigte, dass die Anwälte von Zeit zu Zeit mit einem Mangel an Plätze in den Gerichtsverhandlungssälen konfrontiert werden. Dies sei nicht nur eine Frage des Komforts, da im Prozessverlauf Aufzeichnungen vorgenommen, Dokumente ausgetauscht, schnell notwendige Materialien in den Anwaltsunterlagen aufgefunden und sogar operativ Informationen im Internet gegoogelt werden müssten. Das Geschehen demonstriere die Haltung zu den Anwälten und Mandanten. Die materiellen Unannehmlichkeiten der Verteidiger rechtfertigt man oft mit dem Mangel an Finanzen. Schließlich befinden sich viele Gerichte in alten Gebäuden, wo ein Mangel an Arbeitsflächen besteht. Mitunter halten es die Beamten simpel für unnötig, sich um die Gewährleistung normale Bedingungen für die Arbeit der Parteien zu sorgen. „Die Situation kann durch die Enge des Saals für die Gerichtsverhandlungen, durch einen Mangel an Mobiliar, aber auch durch die subjektive Einstellung des vorsitzführenden Richters gegenüber den Prozessteilnehmern verursacht werden“, betonte Nikonow, obgleich ihm keine Fälle bekannt sind, in denen man für den Staatsanwalt keinen Tisch oder Stuhl gefunden hätte.

„Den Richtern kommt einfach auch nicht in den Sinn, dass die Parteien bei uns a priori gleich sind“, sagte der „NG“ der föderale Richter im Ruhestand Sergej Paschin. „Der Staatsanwalt ist für die Richter einer von den eigenen Leuten, der Anwalt aber ein fremder und auswärtiger, mit einem Wort „ein Stiefkind der einheimischen Rechtsprechung“. Aus der Sicht des Staates tue der Anwalt nichts Nützliches, betont der Experte. Und es gebe keinen Sinn, für ihn Ausgaben vorzunehmen. Die Aufseher bzw. Aufsicht vornehmenden Vertreter aber, die ständig im Gericht arbeiten, werden als Mitglieder des Arbeitsteams wahrgenommen, für deren Komfort stets ein nötiger Stuhl gefunden wird. Überdies wirken bei den Gerichten „hörige“ Anwälte, die ebenfalls als die eigenen Leute aufgenommen werden. Aber „solche Verteidiger brauchen auch keine Zimmer. Sie wissen vorab, was getan und gesagt werden muss, um den Richter nicht zu ermüden“.

Das ernsthafteste Problem für die Verteidiger sei jedoch, fährt Paschin fort, der Zugang zu den Untersuchungsgefängnissen. Zu gewohnten sind die Warteschlangen geworden, in denen man ab 5 Uhr morgens stehen müsse. Gleiches gilt für die Verzeichnisse der Wartenden auf zerknittertem Papier, die durch die Verteidiger selbst angelegt werden, und das mehrstündige Warten, das sich erneut aufgrund des Mangels an Gesprächszimmern für ein Treffen mit dem Mandanten in die Länge ziehen kann. „Das Justizministerium hat die Funktion des Arbeitens mit den U-Haftanstalten übernommen, aber sich nicht die Mühe gemacht, den Zugang zu den Mandanten unter neuen komfortablen Bedingungen zu sichern. Im Ergebnis dessen interessieren sich einige Anwälte zuerst, ob der Angeklagte in U-Haft sei. Und wenn ja, so übernehmen viele einfach gar nicht solche Fälle“, klagte der Gesprächspartner gegenüber der „NG“.

Das Justizministerium unter Leitung von Konstantin Tschujitschenko könnte dieses Problem lösen, indem es sich an die Offiziellen mit einem Plan zur Vervollkommnung der Bedingungen für die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung wendet. Der erste Schritt ist da nach Aussagen von Paschin offensichtlich – ein Investieren von Geld in die U-Haftanstalten und in normale Bedingungen für die Begegnungen. Dann „wird sich die Situation sofort um Einiges verbessern“. „Und weiter – jeglicher Art von einfachen Dingen wie das Einrichten von Zimmern für die Anwälte. Und dies darf nicht ein guter Wille des Vorsitzenden sein, sondern Teil des Architektenentwurfs. Das Gerichtsdepartment (des Justizministeriums) muss die entsprechenden Normativen ausarbeiten und darf keine Gerichtsgebäude übernehmen, wo es kein solches Zimmer gibt. Und in denen, die bereits errichtet worden sind, ist dieses Zimmer zu gewährleisten, wobei es mit jeglicher Art von technischem Zubehör ausgestattet wird. Das Justizministerium ist jedoch eine staatliche Struktur, die ihre institutionellen Parameter hat. Und es ist eine klare Sache, dass der Arbeitskomfort eines Anwalts und die Gewährleistung des Rechts auf Verteidigung sich in diese nicht einfügen.

Wie in einem Gespräch mit der „NG“ der Anwalt Wjatscheslaw Golenjew betonte, würden sich bei den Behörden in der Regel keine Gelder für die Klärung wichtiger und drängender Probleme finden – für Anlagen und Ausrüstungen für eben jene Zimmer für die Anwälte, was in Vielem die Gleichheit der Parteien demonstrieren würde. Es gibt auch kein Geld für eine Umgestaltung der Gerichte entsprechend den Rechtspositionen, die das Verfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte formulierte, unter anderem im Zusammenhang mit der Entfernung der Käfige und „Aquarien“ für die Angeklagten.

Dabei tritt das Justizministerium, wie die „NG“ bereits berichtete, mit der Initiative auf, ein Netzwerk staatlicher Büros für kostenlose Rechtshilfe zu schaffen. „Es stellt sich heraus, dass unser Staat gewaltige Mittel hat. Er ist aber bereit, sie nur für die Einrichtung gewisser staatlicher Büros bereitzustellen, deren Auftauchen und Sinn für wenige klar sind“, sagt Golenjew. „Unklar sind die Kriterien, entsprechend welchen Kriterien sie eigentumsschwache Bürger Russlands konsultieren werden, wie die Qualität der durch sie zu gewährenden Hilfe überprüft wird und wie auch die Ausgaben für diese Sache kontrolliert werden“. Anwälte lenken das Augenmerk darauf, dass im Land ein Jahrzehnt aktiv ein System zur Gewährung kostenloser juristischer Hilfe im Rahmen des föderalen Gesetzes Nr. 324 entwickelt werde. Es gebe eine riesige Anzahl von professionellen Anwälten, die bereit seien, pro bono zu arbeiten (zum Wohle der Öffentlichkeit — impliziert generell freiwillig geleistete, professionelle Arbeit mit stark reduzierter oder ohne Bezahlung für das Gemeinwohl). Und unter diesen Bedingungen sei unverständlich, wozu eine neue Struktur geschaffen werden soll, wobei kolossale Summen für sie bereitgestellt werden. „Wenn zumindest ein Teil dieser Mittel für eine Vervollkommnung der Arbeit der Anwaltschaft und des bereits bestehenden Systems der kostenlosen Rechtshilfe eingesetzt werden würde, hätte man viele Probleme bereits lösen können“, sagt Golenjew, der das Geschehen als „den Versuch eines Rollbacks in die Sowjetzeiten“ bezeichnet.