Staatsbeamte und Politiker Russlands äußern sich bisher auf unterschiedliche Art und Weise über die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA. Inhomogen kommentiert dies beinahe jeden Tag auch der Kreml. Der Stil „einerseits, andererseits“ wird bewahrt. Aber der eine oder andere spricht bereits offen über den Nutzen eines möglichen Sieges von Donald Trump über Kamala Harris. KPRF-Chef Gennadij Sjuganow ist sich sicher, dass dies Russland eine zeitweilige Atempause in der Konfrontation mit dem Westen auf dem Territorium der Ukraine verschaffen werde. Experten sind der Auffassung, dass das Format der staatlichen Propaganda der Russischen Föderation im Verlauf der US-amerikanischen Wahlkampagne von der innenpolitischen Konjunktur abhängen werde. Eine Wiederholung der „Trumpphilie“ von 2016 werde es sicher nicht geben, obgleich die Verteilung der Sympathien und Antipathien durchaus klar ist. Und es besteht eine Frage in Bezug auf die „Harrislogie“, das heißt hinsichtlich eines Darstellens der „dreckigen Wäsche“ der Kandidatin von der Demokratischen Partei.
Sjuganow bezeichnete in einer Sendung des staatlichen TV-Kanals „Rossia-24“ den harten Zweikampf der Seiten der Wahlkampagne in den USA als einen Beleg für die Krise, die die amerikanische Gesellschaft und die gesamte westliche Welt erfasst habe. Dabei sagte er, dass im Falle eines Sieges von Trump Russland eine geringe Atempause erwarte, da dieser sich andere Aufgaben als „die sich zum gegenwärtigen Moment an der Macht befindlichen Globalisten“ stellen würde. Das heißt, dieser würde sich angeblich mehr auf die Innenpolitik der USA und nicht auf die Ukraine konzentrieren. Man müsse jedoch schon heute entscheiden, unterstrich Sjuganow, wie man die mögliche Pause nutzt, um nicht vergebens Zeit zu vergeuden. Das heißt, selbst der KPRF-Chef wechselte sehr rasch zur innerrussischen Thematik.
Allem nach zu urteilen, wird solch eine auch zu einer bestimmenden für jene Formate, die die russische Staatspropaganda für ein Covern des US-amerikanischen Wahlkampfs zum Einsatz bringt. Es ist klar, dass dies für die Vereinigten Staaten an sich keinerlei Bedeutung hat. Aber in Russland sind so wenig für ein Vorführen erlaubte öffentliche gesellschaftspolitische Konflikte geblieben, so dass man ohne den amerikanischen die TV-Sendungen einfach mit nichts ausfüllen kann. Als eine Bremse für die Vehemenz der staatlichen Propaganda werden – allem nach zu urteilen – sowohl die Erfahrungen aus der vergangenen Präsidentschaft Trumps als auch der Unwille der Herrschenden zu demonstrieren, dass sie auf eine bestimmte Figur setzen, die auch plötzlich verlieren kann, dienen.
Daher ist jene Vorsicht durchaus offensichtlich, mit der hochrangige Staatsbeamte und Politiker der Russischen Föderation in der Startphase handeln. Festzustellen ist bereits auch eine gewisse Widersprüchlichkeit der Aussagen von ein und denselben Persönlichkeiten. Allerdings ist sie keine kritische, da im Großen und Ganzen allgemeine Worte und Phrasen verwendet werden. Dies zeigte beispielsweise der Kreml-Pressesekretär Dmitrij Peskow, der am Tag des Attentats auf Trump sagte, dass nicht Russland zu urteilen habe, wer und in wesen Auftrag auf ihn geschossen hatte. Dies sei eine innere Angelegenheit Amerikas, in die sich die Russische Föderation nicht einmische. Danach äußerte er freilich die Meinung, dass Trump sympathischer als der amtierende US-Präsident Joseph Biden aussehe. Und nachdem dieser endgültig aus dem Wahlkampf ausstieg, erläuterte Peskow: „Bis zu den Wahlen sind es noch vier Monate. Und dies ist ein langer Zeitraum, in dem sich vieles ändern kann. Man muss Aufmerksamkeit aufbringen und verfolgen, was weiter passieren wird. Die Priorität für uns ist das Erreichen der Ziele der militärischen Sonderoperation und nicht die Ergebnisse der Wahlen in den USA“.
Es fingen jedoch schon Etiketten bestimmter Art für Harris aufzutauchen, die bisher Figuren mittleren Rangs formulieren, möglicherweise nur um den russischen Zuschauer vor einem interessanteren Spektakel aufzuheizen und eventuell auch um nur eine Nummer und nicht mehr abzuziehen. Daher hält sich zum Beispiel das Außenministerium Russlands bisher klar an die Linie einer Neutralität in den Aussagen. Wenn man genauer ist, so wird natürlich das gesamte politische System der USA im Zusammenhang mit dem geringen Grad an Demokratie und mit dem großen Maß an Theatralität in ihm in Zweifel gezogen. Doch die Schlussfolgerung ist stets ein und dieselbe – dies sei ja ihre, eine amerikanische Angelegenheit.
Experten und Politiker haben in Gesprächen mit der „NG“ probiert, eine Prognose dazu abzugeben, wie die staatlichen Medien in Russland dem Volk die jetzigen amerikanischen Wahlen präsentieren werden. Und sie kamen zu dem vorläufigen Fazit, dass es vorerst scheinbar keine bestimmte Vorgabe gebe. Dass sich aber die informationsseitige „Trumpphilie“ von 2016 wiederholen werde, bezweifeln sie stark. Und ganz und gar unklar bleibt die Frage, ob eine gewisse „Harrislogie“ („Harris-Kunde“) beginnen werde oder nicht, das heißt ein Präsentieren inneramerikanischer „dreckiger Wäsche“ im Wahlkampf und anderer Diffamierungen für das russische Volk.
Der Leiter der analytischen Verwaltung der KPRF, Sergej Obuchow, beharrt darauf, dass „alle staatlichen Medien für Trump rödeln werden und Harris für eine neue Ausgeburt der Hölle halten“. Er verknüpfte dies mit einer Sublimierung jener Situation, dass in Russland ja fast keine Wahlen geblieben seien. Obuchow bestätigte, dass bereits Erwartungen im Zusammenhang mit Trump und einer Verbesserung der Beziehungen der Russischen Föderation und der Vereinigten Staaten auftauchen würden. „Aber nicht, dass man dann heulen muss. Und es geht nicht nur um eine mögliche Niederlage von Donald, sondern darum, dass er auf einmal eine antirussische Haltung an den Tag legen und in ihr konsequenter als ein Republikaner als die Demokraten sein kann“.
Emilia Slabunowa, Mitglied des Politischen Komitees der Partei „Jabloko“, vermutete dagegen, dass sich die russischen staatlichen Medien weder auf die eine noch die andere Seite offen stellen werden. Ihre Rhetorik werde eine zurückhaltende und vorsichtige sein. „Trump hatte scheinbar gesagt, dass er den Konflikt in Europa stoppen kann. Er machte aber keine Andeutungen, wie. Folglich wird unsere Propaganda jedes Wort der Kandidaten in ihrer Auseinandersetzung um Russland verfolgen. Die Analytiker und Politiker werden dies im Fernsehen und in der Presse kommentieren. Insgesamt wird das Reagieren der Staatspropaganda auf die Wahlen in den USA ein situatives sein. Nicht umsonst ist bereits von oben erklärt worden, dass der Kreml zu Verhandlungen mit jeglichem Präsidenten bereit sei. Die Fehler von 2016-2020 wird man bestimmt nicht begehen. Daher wird man sich scharfer Attacken enthalten. Obgleich klar ist, dass für die Offiziellen der Russischen Föderation ein Sieg Trumps eher wünschenswert ist“, vermutete Slabunowa.
Das Mitglied des Zentralrates der Partei „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“, Michail Jemeljanow, erklärte gegenüber der „NG“, dass „sich die Geschichte einer informationsseitigen Begleitung für Trump nicht wiederholen wird, denn eine innere Unterstützung aus Russland wirkt nicht auf die amerikanischen Wähler, gibt dafür denjenigen einen Trumpf in die Hände, die ihn gegen Trump nutzen können“. Daher würden die Medien eine neutrale Position einnehmen, betonte er. „Die Unterstützung wird mittels anderer Formen und Methoden erfolgen.“ Natürlich, wenn Trump siegt, werde man sich in den russischen Massenmedien einen vorsichtigen Optimismus erlauben können. „Erneut wird man die Fernsehzuschauer aufrufen, sich die USA anzuschauen. Alles Schlechte wird man den Vorgängern von Trump zuschreiben. Mit ihm aber wird man gute Erwartungen verknüpfen. Konzeptuell wird sich aber sicher wohl kaum eine Zusammenarbeit ergeben. Wenn jedoch ein Russland unliebsamer Kandidat gewinnt, wird gesagt werden, dass für ihn das gesamte amerikanische System gearbeitet habe, dass es Fälschungen gegeben hätte und dass eine Fortsetzung der Konfrontation erwartet werden müsse“.
Alexej Muchin, Generaldirektor des Zentrums für politische Informationen, sagte der „NG“: „Die amerikanischen Wahlen nimmt man bei uns traditionell mit einer Ironie, mit einem Scherz zur Kenntnis. Bekanntlich war unser Kandidat Biden, er ist aber ausgestiegen. Dennoch hat aber der FBI Russland bereits einer Einmischung in die Innenpolitik der USA bezichtigt. Daher steht der Wunsch, mehr Geld vom Kongress für einen „Schutz der Wahlen“ zu bekommen. Russlands Position wird aber eine neutrale sei, dies sei doch eine Entscheidung des amerikanischen Volkes“. Dabei unterstrich der Politologe, dass es gegenwärtig schwierig sei, den Kurs der Informationspolitik des russischen Staates vorauszusagen. Die staatlichen Medien könnten zu jedem beliebigen Zeitpunkt sich auf die Seite des einen oder anderen US-Präsidentschaftskandidaten stellen oder eine Neutralität bis zum Ende der Kampagne wahren. Zumal dies in keiner Weise ihren Verlauf beeinflusse. Doch für den innerrussischen Kontext werde dies aber aus irgendwelchen Gründen gebraucht.
Der Präsident der Stiftung „Petersburger Politik“, Michail Winogradow, erklärte der „NG“: „Teilweise wird die Sache davon abhängen, ob es ein politisches Signal geben wird. Der Rückzug von Biden hat die Propaganda ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht, da Harris und andere mögliche Kandidaten der Demokraten nicht als Allergene vorgestellt worden waren. Dazu kommet, wenn man rational herangeht, dass es offensichtlich ist, dass Trump wenig voraussagbar ist. Die Jahre seiner vergangenen Präsidentschaft waren kein goldenes Jahrhundert in den Beziehungen Moskaus und Washingtons“. Daher wird, nimmt er an, die „Aufmerksamkeit für die amerikanischen Wahlen eher durch das bedingt werden, ob es in dieser Zeit andere Ereignisse auf der Tagesordnung geben wird, unter anderem sowohl im Verhandlungsprozess als auch an den Fronten, oder ob vor dem Hintergrund dessen, dass das Informationsspektrum nicht ausgefüllt ist, die markante und dramatische Kampagne in den USA die Aufmerksamkeit objektiv auf sich ziehen wird“.
Konstantin Kalatschjow, Leiter der Politischen Expertengruppe, hegt nicht einmal einen Zweifel daran, dass „eine Kampagne zu den US-Präsidentschaftswahlen in Russland stattfinden wird“. Er ist sich gewiss, dass sie insgesamt helfen werde, die russischen Fernsehzuschauer von den inneren Problemen abzulenken. Daher werde der Verlauf der amerikanischen Wahlen in der Russischen Föderation umfangreich gecovert werden. Dennoch aber werde im Unterschied zur Situation von vor acht Jahren nicht irgendein Kandidat idealisiert. „Man wird eher zu einer entgegengesetzten Taktik übergehen – zur Diskreditierung seines Opponenten“. Dabei unterstrich Kalatschjow, dass die staatliche Propaganda auch nicht die Bürger Russlands für Trump gewinnen müsse, da die soziologischen Untersuchungen bereits gezeigt hätten, auf wessen Seite ihre Sympathien seien. „Schon jetzt dämonisiert man in den russischen Massenmedien Harris und stelle sie gar direkt als einen Unmenschen dar. Dafür werden ihr Geschlecht, ihre Nationalität, Sexismus, Rassismus und ihre geistigen Fähigkeiten zum Einsatz gebracht“, erinnerte er. Wie aber diese Informationskampagne in den russischen staatlichen Medien enden werde, werde direkt von den Ergebnissen der US-Wahlen abhängen. „Wenn Trump siegt, wird es Feiern und Gratulationen wie das letzte Mal geben. Bekundet werden Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme der Beziehungen. Wenn aber Trump verliert, wird man den Fernsehzuschauern bereits wie im Jahr 2020 erklären, dass die Wahlen keine ehrlichen gewesen seien, dass das Wahlsystem in den USA ein tückisches sei. Und keines wie bei uns. Und überhaupt sei dort alles gekauft, daher hätte es auch von Anfang an keinen Sinn gemacht, etwas gutes zu erwarten“.