Die gegenwärtige Wirtschaftskrise in Russland wird sich als die längste aller vorangegangenen erweisen, weshalb das russische Wirtschaft seine Anpassungsfähigkeiten erschöpfen kann, die während der früheren Erschütterungen entwickelt worden waren. Der wirtschaftliche Rückgang in der Russischen Föderation könne mehrere Jahre anhalten, prognostiziert man im Institut für volkswirtschaftliche Prognostizierung. Der stärkste Rückgang im begonnenen Jahr bedrohe die Rohstoff-Sektoren, die genau solch einen Rückgang wie auch der Automobilbau im vergangenen Jahr erleben können. Befragungen von Unternehmen demonstrieren eine geringe Bereitschaft zu einer Anpassung und Herstellung neuer Erzeugnisse.
Der entscheidende Unterschied der gegenwärtigen Krise bestehe in ihrer Dauer, meint Alexander Schirow, Direktor des Instituts für volkswirtschaftliche Prognostizierung der Russischen Akademie der Wissenschaften. Sowohl das Business als auch die Bevölkerung hätten es gelernt, relativ kurzzeitige Verschlechterungen der Wirtschaft zu überstehen. Bei einer langanhaltenden Krise könnten aber die früher entwickelten Kompensationsmechanismen nicht ausreichen, warnt der Wirtschaftsexperte. Das Ausschöpfen der Anpassungsmöglichkeiten könne sich in einer Zunahme der Zahl entlassener Beschäftigter äußern, sagt Schirow voraus. „Das russische Business kann von der Politik einer Bewahrung des Personals zur Politik einer Freisetzung von Arbeitskräften übergehen“, warnt der Wirtschaftsfachmann.
Die russischen Offiziellen beginnen wahrscheinlich auch, sich auf eine langanhaltende Krise durch eine Anhebung der Mindestverdienste und Zügelung der Inflation vorzubereiten.
Die Inflation könne im ersten Quartal des Jahres 2023 fünf Prozent ausmachen, erklärte der russische Präsident Wladimir Putin am Mittwoch bei einem Treffen mit Beschäftigten des Petersburger Obuchow-Werkes. „Wenn man die Inflation ganz und gar freigibt, kann es in der Wirtschaft zu bestimmten Störungen kommen. Die Zentralbank geht davon aus, dass sie irgendwo im Bereich von fünf bis sieben Prozent liegen wird“, fügte der Präsident hinzu. (Laut Prognosen des oben ausgewiesenen Instituts werde die Inflationsrate im begonnenen Jahr rund 6,4 Prozent mit der Perspektive eines Rückgangs bis auf 5,8 bis 4,7 Prozent in den Jahren 2024-2025 ausmachen.)
Zu einer Antwort auf das Ansteigen der Preise im Land wurde die Indexierung der Mindestlöhne, Beihilfen sowie Gehälter und Löhne der Beschäftigten, die in den aus dem Staatshaushalt finanzierten Sektoren tätig sind. Der russische Präsident Wladimir Putin unterstrich am Dienstag, dass die Indexierung der Mindestlöhne und anderen Komponenten, die die Höhe der Realeinkommen der Bürger beeinflussen, über der Inflationsrate liegen müsse. Das Staatsoberhaupt bezeichnete die Frage des Wohlergehens der Bürger als „eine der heikelsten. Die Regierung hat bereits den Auftrag, im Januar eine Indexierung im Budget-Bereich vorzunehmen“, fügte er hinzu.
Nach Aussagen des Kremlchefs müsse man im privaten Sektor dieses Problem anders lösen. „Hier haben wir eine ganz andere Geschichte. Hier ist es recht gefährlich, auf administrativem Wege die Höhe der Löhne und Gehälter zu diktieren. Dies kann zu einer Dysbalance der Wirtschaft der Unternehmen an sich führen. Letzten Endes, wenn man diesen Weg beschreitet, kann sich so ein Unternehmen als unrentables erweisen. Es wird einfach stillgelegt. Und das war es. Arbeitsplätze werden verschwinden“, sagte der Präsident.
Er betonte, dass für einen Anstieg der Löhne und Gehälter im privaten Sektor die Anhebung der Mindestlöhne helfen könne, da von ihrer Höhe die anderen Komponenten auf dem Gebiet der Löhne und Gehälter abhängen würden, darunter im privaten Bereich. Der Präsident erinnerte daran, dass im vergangenen Jahr die Mindestlöhne zweimal angehoben wurden.
„Wir werden natürlich die Höhe der Löhne und Gehälter und das Verhältnis zwischen den Inflationsprozessen, der Verteuerung der Produkte und Dienstleistungen sowie der Höhe der Realeinkommen der Menschen verfolgen. In diesem Jahr ist der Regierung durch mich die Aufgabe gestellt worden, die Mindestlöhnte über die Inflationsrate hinaus zu indexieren“, unterstrich das Staatsoberhaupt.
Die russischen Offiziellen hoffen nach wie vor auf eine strukturelle Umgestaltung der Wirtschaft und eine erfolgreiche Importsubstitution. Die Zunahme der Kosten, aber auch der Mangel oder die Instabilität der marktwirtschaftlichen Nachfrage behindern jedoch die Entwicklung und die Vermarktung neuer Erzeugnisse, weisen Befragungen von Unternehmen aus. Über 40 Prozent der Unternehmen, die an den Befragungen teilgenommen hatten, haben nicht vor, in den kommenden ein, zwei Jahren neue Erzeugnisse herzustellen.
Und unter jenen, die sich anschicken, neue Waren und Leistungen auf den Markt zu bringen, sind die neuen Erzeugnisse meistens lediglich ein Neuaufguss eines vorhandenen Produktes unter Berücksichtigung der Anforderungen des neuen Marktes oder neuer Verbraucher. Über die Herstellung technologisch fortgeschrittenerer Waren oder Leistungen berichteten lediglich 22,5 Prozent der Befragten.
Der hohe Grad an Unbestimmtheit ist für das russische Business an und für sich nicht so schlimm. Die Unternehmen verstehen es und sind bereit, in einem turbulenten Umfeld zu arbeiten. Das bestehende System der staatlichen Unterstützung erlaube jedoch den Unternehmen bisher nicht, die Anstrengungen auf diese Aufgaben zu konzentrieren, meint Sergej Sawerskij, Leiter der Abteilung für analytische Studien des Instituts für komplexe strategische Untersuchungen.
„Die russischen Unternehmen würden sich ungeachtet der schwierigen Umstände auch gern entwickeln und sehen dafür gar Möglichkeiten im Zusammenhang mit dem Verlassen des Marktes durch eine Reihe ausländischer Waren. Jedoch sind sie gegenwärtig in den Entwicklungsprozessen recht passiv“, meint Anton Swiridenko, Direktor des P.-A.-Stolypin-Instituts für Wachstumswirtschaft. „Dies ist eine neue Etappe für die russische Wirtschaft, in der unser Business in die Entwicklung investieren muss. Es ist dies jedoch nicht gewohnt und kann dies aufgrund der teuren Finanzen nicht tun. Es besteht immer noch ein unzureichend komfortables regulierendes Umfeld. Ja, und auch die Steuern sind insgesamt hohe. Das Stimulieren gerade einer Entwicklung des Business muss zu einem neuen Schritt der Politik des Staates werden. Wir haben uns aber 30 Jahre lang daran gewöhnt, im Regime einer einfachen Reproduktion zu leben. Man muss jedoch lernen, mit einer Entwicklung zu leben“, betonte Swiridenko.
Der Erdölexport aus Russland ist entsprechend den Ergebnissen des vergangenen Jahres um sieben Prozent gestiegen, teilte der zuständige Vizepremier Alexander Nowak bei einer Tagung unter Leitung von Premierminister Michail Mischustin mit. Der Verbrauch von Erdgas in Russland ist im Jahr 2022 bis auf 484 Milliarden Kubikmeter von 470 Milliarden Kubikmeter im Jahr zuvor angestiegen. „Im Gas-Sektor wurde der Binnenmarkt — die Unternehmen der Energiewirtschaft und der kommunalen Wohnungswirtschaft sowie die Bürger — stabil versorgt. Für den Binnenmarkt wurden 484 Milliarden Kubikmeter Gas bereitgestellt“, erklärte Nowak