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Russlands Elektronik-Produktion soll wieder aus der Taufe gehoben werden


Die Fertigung von integrierten Schaltkreisen auf dem eigenen Territorium werde die Russische Föderation aufgrund des Verbots für Lieferungen entsprechender Anlagen und Ausrüstungen nicht anschieben können, meinen Experten. Das Fehlen einer eigenen Herstellung vieler Arten von Elektronik ist einer der kritischen Schwachpunkte für die Wirtschaft. Am Mittwoch hat der US-amerikanische Konzern Intel eine Einstellung der Arbeit in der Russischen Föderation bekanntgegeben. Regionale Beamte versprechen aber, dem russischen Personal dieses amerikanischen Unternehmens bei der Beschaffung neuer Arbeitsplätze zu unterstützen.

Ausländische Unternehmen aus den High-Tech-Bereichen stellen weiterhin die Arbeit in Russland ein. Am 6. April informierte Intel, einer der weltweit größten Entwickler und Hersteller elektronischer Anlagen und Computerbauteile, über die Beendigung der Tätigkeit in der Russischen Föderation und in Weißrussland.

Der Konzern erklärte, dass er an einer Unterstützung seiner Mitarbeiter arbeite, darunter sind 1.200 Beschäftigte in den russischen Vertretungen sowie Entwicklungs- und Forschungszentren in Moskau und Nishnij Nowgorod, die man laut einigen Angaben bereits in Urlaub geschickt hat.

Die Probleme mit der Elektronik wirken sich auf andere Industriebetriebe aus. Im März sind die Absätze des Automobilbauers „AvtoVAZ“ in der Russischen Föderation um 63,6 Prozent laut Angaben der Europäischen Business-Assoziation eingebrochen. Im I. Quartal verkaufte der Konzern 52.700 Autos. Und dies sind um 37,2 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahres. Der Rückgang hängt damit zusammen, dass die Fließbänder des Unternehmens in Togliatti und Ischewsk aufgrund des Mangels an Bauteilen lange Zeit stillstanden. Bedingt durch den Mangel an Halbleitern hatten Produktionsunterbrechungen bereits Mitte vergangenen Jahres begonnen.

Das Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung hat eine Analyse der Technologie-Sanktionen und deren Folgen für Russland vorgenommen. Den kritischen Charakter der Sanktionen in Bezug auf einige Richtungen, beispielsweise hinsichtlich der Systeme für automatisierte Projektierungsarbeiten sowie der Herstellung integrierter Schaltkreise (Mikrochips) bezeichnet das Zentrum für einen hohen. Und die Situation mit der Herstellung von Anlagen und Ausrüstungen für die Fertigung von integrierten Schaltkreisen wird als eine kritische bewertet. Zur gleichen Zeit wird hinsichtlich solcher Elemente der technologischen Kette zur Entwicklung und Produktion von Mikroelektronik-Erzeugnissen wie das Vorhandensein chemischer Rohstoffe für die Branche und die Serienherstellung fertiger mikroelektronischer Geräte die Schwere der Handelsrestriktionen als eine moderate eingeschätzt.

Die Hauptmasse der mikroelektronischen Geräte wird im Rahmen der globalen Kette zur Wertschöpfung hergestellt, in die russische Unternehmen an einzelnen Abschnitten eingetaktet worden sind (beispielsweise die Herstellung von Neon). Eigene Mikroelektronik-Fertigungsstätten in Russland sind vor allem Hersteller von Erzeugnissen für militärische Zwecke und mit einer doppelten Zweckbestimmung, die in kleinen Serien produzieren, betonen die Wissenschaftler.

Beispielsweise sind die Hersteller von Ausgangsrohstoffen (den sogenannten chemischen Stoffen, die in extrem begrenzten Umfängen erzeugt werden) durchgängig aus den sogenannten unfreundlichen Ländern. Dies sind solche Unternehmen wie Air Liquide (Frankreich), die Linde Group und Dörken MKS-Systeme (Deutschland), Cabot Corporation (USA) und die JSR Group (Japan). Dabei sich die russischen Hersteller in diesem Bereich einzelne Forschungsinstitute und Hochschulen, die sich buchstäblich mit einer Stückfertigung und nicht immer von hoher Qualität befassen.

Die globalen Spitzenreiter bei der Herstellung von automatisierten Projektierungssystemen sind die US-amerikanischen Hersteller Synopsys, Cadence Design Systems und Mentor Graphics. In der Russischen Föderation arbeiten auf diesem Gebiet Einheiten der globalen Verkäufer, aber auch die Unternehmen „Ledas“ und „Ascon“. „Die russischen automatisierten Projektierungssysteme stehen den globalen Spitzenreitern nach, sind nicht in der Lage, das gesamte Spektrum an Aufgaben zu lösen. Aber es gibt sie“, heißt es in dem Dokument.

Die Herstellung von Anlagen und Ausrüstungen für die Fertigung integrierter Mikrochips befindet sich gleichfalls in den Händen von Unternehmen aus den Ländern, die die Sanktionen gegen den Technologie-Sektor initiieren und unterstützen – Applied Materials, KLA und Lam Research aus den USA, Tokyo Electron (Japan) und ASML (Niederlande). Im vergangenen Jahr startete Russlands Industrie- und Handelsministerium zwei Projekte in diesem Bereich. Und das weißrussische Unternehmen „Planar“ baut auch Anlagen und Ausrüstungen für die Herstellung von Mikroelektronik. Insgesamt aber, wie bereits betont wurde, veranlasste die Unmöglichkeit, die Fertigung von Mikrochips in der Russischen Föderation aufgrund des Fehlens eigener Hersteller von Anlagen und Ausrüstungen und der unfreundlichen Politik der wichtigsten Lieferländer solcher Anlagen und Ausrüstungen erheblich zu steigern, das Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung, die Beschränkungen in diesem Bereich als kritische zu bewerten.

„Wenn all die zehn Jahre, in denen von der Notwendigkeit einer Unterstützung für die russische Funk- und Mikroelektronik gesprochen wird, nicht auf eine Lokalisierung in erster Linie ausländischer Fertigungen gesetzt worden wäre, sondern auf eigene Entwicklungen, so wäre die Branche jetzt in einem weitaus besseren Zustand. Und die „Technologie“-Sanktionen wären möglicherweise überhaupt nicht aufgrund dessen, dass sie unnötig gewesen wären, verhängt worden“, sagte der „NG“ Swetlana Apollonowa, Vorsitzende des Rates der Vereinigung von Herstellern elektronischer Apparate und Geräte. „Leider ändert sich auch heute nicht das Paradigma. Unsere besten Absolventen arbeiten weiterhin in den russischen R&D-Zentren ausländischer Unternehmen. Und Steuervergünstigungen erhalten gerade diese Unternehmen, da gemäß den verabschiedeten Änderungen am Steuerkodex Vergünstigungen in der Funkelektronik-/mikroelektronischen Branche denjenigen gewährt werden, die Aufträge „Dritter“ realisieren. Das heißt: Die Vertretung eines ausländischen Unternehmens in der Russischen Föderation, das einen Auftrag des Mutterhauses erfüllt, zum Beispiel aus China, bekommt Vergünstigungen. Das russische Unternehmen aber, das ein Produkt entwickelte und es selbst realisiert, wird der Vergünstigungen beraubt“.

Das Hauptproblem der Branche sei das Fehlen von aus der Branche kommenden Fachleuten im Top-Management der Aufsichtsbehörden, die deren Spezifik verstehen und klar die vom russischen Präsidenten gestellte Aufgabe lösen würden – die Verstärkung der technologischen Souveränität des Landes, meint Apollonowa. „Bei uns kommen in den nationalen Projekten absolut nichtrealisierbare Pläne vor, wonach das eine oder andere Produkt für zwei Milliarden Rubel und in anderthalb Jahren entwickelt werden soll, während das ausländische analoge Produkt im Verlauf von Jahrzehnten und für hunderte Milliarden Dollar entwickelt wurde. Ungeachtet der ganzen Ernsthaftigkeit der Situation mit den Sanktionen erfolgt nach wie vor irgendein unverständliches Hickhack mit der Ausarbeitung von Kriterien und der Expertise dessen, was in der Funkelektronik und im Telecom-Bereich als russisch angesehen werden soll. Nach wie vor erfolgen Versuche, etwas aufs Neue verpacktes Ausländisches als russisches anzusehen. Und dies in jenen Segmenten, wo es im Register bereits wirklich russische Entwicklungen gibt“, sagte die Expertin.

„Gegenwärtig ändert sich drastisch die Herangehensweise an den Einsatz von Lizenzausrüstungen und -anlagen sowie Software. Theoretisch können unsere Spezialisten praktisch alles „knacken“. Aber diese Arbeit muss man doch auch richtig organisieren. Wenn es bereits russische Entwicklungen gibt, muss man sie natürlich in erster Linie nutzen. In einigen Segmenten kann man sich aber zwecks Beschleunigung des Prozesses ohne Pietät gegenüber den Lizenzprodukten verhalten. Solch einen Weg ist China gegangen. Und wir sehen das Ergebnis. Bei uns waren die Offiziellen der Russischen Föderation bis in die jüngste Vergangenheit heiliger als der Papst und verfolgten hart die Unternehmen und Bevölkerung aufgrund der Nutzung von Piraten-Software“, sagt Apollonowa.

Nach der Verhängung der neuen Sanktionen sei die russische Industrie gezwungen, eine reale Importsubstitution vorzunehmen, heißt es in einer Grußadresse von Vizepremier Jurij Borisow an das Forum „Staatsauftrag“. „Vor einem Jahr haben wir diskutiert, was man tun muss, um die staatlichen Auftraggeber mit dem Gesicht zur einheimischen Industrie auszurichten. Und seit kurzer Zeit leben wir unter Bedingungen, unter denen der staatliche Auftraggeber bereits selbst auf dem einheimischen Markt nach den für ihn nötigen Produkten sucht. Denn seit einem bestimmten Zeitintervall gibt es bereits keine andere Auswahl“, betonte das Kabinettsmitglied. „Anders gesagt, die Zeit einer bereits realen Importsubstitution ist gekommen, besonders in jenen Nischen, wo früher der Import dominierte, eine Vorherrschaft innehatte“, heißt es in dem Statement Borisows.

Der Vizepremier warnte vor einer Überführung des Landes zu einer Abhängigkeit von asiatischen Bauteilen. Bei allen Besonderheiten des gegenwärtigen Moments sei es nötig, die begonnene Arbeit zur Importsubstitution zu Ende zu bringen, damit wir uns nicht nach einer geraumen Zeit in der Situation einer vollkommenen Abhängigkeit bereits nicht von westlichen, sondern von asiatischen Bauteilen wiederfinden, betonte der Staatsbeamte.

Nach Aussagen Borisows würden die Verbote für Lieferungen ausländischer Bauteile, Rohstoffe und Materialien ins Land zu beurteilen erlauben, was real im Rahmen der vom Industrie- und Handelsministerium verabschiedeten 22 Branchenprogramm zur Importsubstitution getan worden ist. „Hinsichtlich einer Reihe von Richtungen ist die Importsubstitution nicht bis zur ganzen erforderlichen Tiefe konzipiert worden. Und dies wird jetzt zu einem Problem und gleichzeitig zu einer Chance für eine reale Importsubstitution“, betonte der Vizepremier.