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Russlands Etat verliert die wichtigsten Einnahmequellen


Durch die Zolleinnahmen wird in Russland fast ein Drittel des föderalen Haushalts gebildet. In diesem Jahr erwartet der Landeshaushalt ernsthafte Erschütterungen. Entsprechend den Ergebnissen des ersten Halbjahres sind die Zolleinnahmen für den Haushalt bereits um etwa 25 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres zurückgegangen. Dabei hat sich noch stärker der Verkauf der wichtigsten russischen Exportwaren verringert. Laut Angaben des Föderalen Zolldienstes (FZD) ist der Export von Rohöl wertmäßig um 35 Prozent im ersten Halbjahr eingebrochen, der von Erdgas – um mehr als 50 Prozent. 

Der Föderale Zolldienst hat aktuelle Zahlen zu den Ergebnissen der ersten Halbjahres vorgelegt: Der Umfang des gesamten Exports der Russischen Föderation machte rund 161 Milliarden US-Dollar aus, was um etwa 22 Prozent weniger ist als im analogen Zeitraum von 2019 ist. Die Grundlage des russischen Exports bilden Brennstoffe und Energieträger. Und gerade in dieser Kategorie von Exportgütern ist ein starker Rückgang zu beobachten. So ist die Ausfuhr von Rohöl im ausgewiesenen Zeitraum wertmäßig um etwa 35 Prozent zurückgegangen, die von Erdölprodukten – fast um 26 Prozent und von Erdgas – um mehr als 50 Prozent. 

Hinsichtlich des Exports von Metallen und von Erzeugnissen aus ihnen machte in Abhängigkeit von der Warengruppe der Rückgang etwa 14 bis 35 Prozent aus. Im Fall der Mineral- oder chemischen Dünger – 17 bis 24 Prozent. 

Doch es gab auch solche Warenkategorien, die ein Wachstum verzeichneten. Zum Beispiel ist in eben jenem Zeitraum der Export von Weizen und Weizen-Roggen-Gemischen wertmäßig um fast 14 Prozent gewachsen. Freilich, während dank dem Weizenexport Russland entsprechend den Ergebnissen des ersten Halbjahres rund 2,7 Milliarden Dollar gegenüber etwa 2,4 Milliarden Dollar im Jahr zuvor erhielt, so hat der Export allein  nur von Rohöl dem Land nunmehr beinahe 39 Milliarden Dollar gegenüber den 58 Milliarden Dollar im Zeitraum Januar-Juni 2019 eingebracht. 

Die Summen sind nicht vergleichbar. Daher werden die Agrarier, welche Erfolge sie auch immer demonstrieren mögen, jenes Loch wohl kaum vollkommen „stopfen“ können, das sich durch den signifikanten Rückgang des Öl- und Gas-Exports des Landes bilden kann. „Der Anteil der Landwirtschaft bei der Formierung des Haushalts ist im Unterschied zu den Branchen, deren Export erheblich eingebrochen ist, traditionell gering. Daher wird die Zunahme des Exports von Weizen und anderer Arten an Agrarprodukten nicht in der Lage sein, die Verluste wettzumachen“, bestätigt Professor Ibragim Ramazanov vom Basislehrstuhl für Handelspolitik der Russischen Wirtschaftsuniversität. 

Übrigens, es mache auch keinen Sinn, mit dem High-Tech-Export stark zu rechnen, fügte der Experte hinzu. „Irgendeine Wirkung durch ihn kann man in der strategischen Perspektive und nur bei wesentlichen Investitionen in die Wissenschaft und Entwicklung von Hochtechnologien erwarten. In Russland bleiben die Innovations- und Investitionsaktivitäten in den meisten Branchen im Vergleich zu den Konkurrenten aus China, Europa und Amerika sehr geringe“, betonte der Experte.     

Wie man früher im FZD mitgeteilt hatte, wird etwa ein Drittel des föderalen Haushaltes durch die Zollgebühren gebildet. Diese Zahlungen verringern sich beginnend ab 2019. Entsprechend den Ergebnissen des Jahres 2019 hat der FZD durch die Zollzahlungen rund 5,7 Billionen Rubel gegenüber den etwa 6,1 Billionen Rubel im Jahr 2018 an den Haushalt abgeführt. Rund 40 Prozent des Gesamtumfangs dieser Zahlungen bildete damals die Summe der Zahlungen aus dem Export. Und wie der Leiter des FZD Wladimir Bulawin mitteilte, hat sie sich entsprechend den Ergebnissen von 2019 um 24 Prozent verringert. 

Im Zeitraum Januar-Juni des laufenden Jahres hat der FZD insgesamt rund 2 Billionen Rubel an den föderalen Haushalt abgeführt, was um 23 Prozent weniger war als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Hinsichtlich der Ergebnisse des Jahres 2020 hat der FZD einen weiteren Rückgang der Einnahmen prognostiziert. Wobei sich die Meldungen hinsichtlich dessen, was für eine „Aufgabenstellung“ die Behörde für dieses Jahr hat, unterschieden. 

Zuerst hatten die Nachrichtenagenturen gemeldet, dass die Planaufgabe des FZD für das Jahr 2020 5,3 Billionen Rubel ausmachte. Später, im Juli, präzisierte Bulawin bei einem Treffen mit Präsident Wladimir Putin, dass die vorausgesagte Aufgabe für das Jahr 5,48 Billionen Rubel vorsehe.

Wie der Leiter des FZD erläuterte, seien die Zollzahlungen aufgrund des Verfalls der Preise für Erdöl und Erdölprodukte, aber auch durch die Verringerung der Mengen, die exportiert wurden, zurückgegangen. Jetzt aber erwartet der Leiter des FZD, dass „dadurch, dass unserer Wirtschaft eine wesentliche Unterstützung gewährt wird, es dennoch auch eine Aktivierung der Außenwirtschaftstätigkeit geben wird“. 

Nach Aussagen von Sergej Khestanow, Dozent an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst (RAVWuSD), sei der Rückgang des Exports im ersten Halbjahr vollkommen voraussagbar gewesen. „Die Einschränkungen im Zusammenhang mit der Pandemie und dem OPEC+-Deal haben dies gefördert.“ Das Ausmaß des Rückgangs entspreche ungefähr auch den Erwartungen. „Auf eine ähnliche Art und Weise hatte sich der Rohstoffexport auch während der Krise von 2008 verhalten“, erläuterte der Wirtschaftsexperte gegenüber der „NG“. 

„Der Export von Weizen aber demonstrierte ein Wachstum vor allem dank des Schwächelns des Rubels“, meint Khestanow. „Die Nachfrage nach ihm ist recht stabil, und der schwache Rubel erhöht die Wettbewerbsfähigkeit russischen Weizens auf dem Weltmarkt.“

Obgleich Anatolij Tichonow, Direktor des Zentrums für Agrarbusiness und Lebensmittelsicherheit der Hochschule für korporatives Management der RAVWuSD, präzisierte, dass sich die russischen Weizen-Trader mit jedem Jahr immer sicherer auf dem Weltmarkt fühlen würden, da „sie die Logistik vervollkommnen“. „Ein anderer Faktor, der das Wachstums des Exports unseres Weizens fördert, sind die in der Welt aufgekommenen großen Risiken hinsichtlich einer Missernte, die mit den Klimabedingungen in Europa, Kanada und den USA zusammenhängen“, fügte der Experte hinzu. 

„Der Export von Weizen, aber auch von Waffen sind wichtige Einnahmeposten des russischen Etats. Wenn man jedoch beispielsweise von den Agrar-Märkten spricht, so sind sie ebenfalls zyklisch und instabil, wobei noch stärker als die Märkte der Brennstoffressourcen“, wies Natalia Miltschakowa, stellvertretende Leiterin des Zentrums „Alpari“ hin. „Daher macht es keinen Sinn anzunehmen, dass, wenn der Preis für das Erdöl fällt, uns der Weizen retten wird.“ 

Dabei könne sich das Land, wie sich aus den Erläuterungen der Expertin ergibt, in Kürze vor einer sehr schmerzhaften Entscheidung wiederfinden – in dem Fall, dass eine zweite Pandemie-Welle wirklich einsetzt. Um den Etat vom Prinzip her nicht ohne Einnahmen zu lassen, die nicht nur durch den Export gebildet werden, sondern auch durch die inländischen Steuereinnahmen, muss auf eine erneute Einführung eines Regimes arbeitsfreier Tage verzichtet werden.

Einerseits sei es laut einer Präzisierung des Mitglieds des Generalrates der Vereinigung „Delowaja Rossija“ („Business-Russland“) Alim Bischenow in natura hinsichtlich vieler, für das Land entscheidender Warenkategorien gelungen, einen so drastischen Rückgang der Exportmengen zu vermeiden. In einer Reihe von Fällen habe der Export in natura sogar zugenommen. „Das heißt, wider aller Prognosen ist der internationale Handel nicht vollkommen zum Stillstand gekommen und die Auslieferungen wurden selbst in der Zeit der Einschränkungen fortgesetzt“, sagte der Experte. 

Andererseits werde, wie Ibragim Ramazanov warnte, der Rückgang der Einnahmen hinsichtlich der entscheidenden Richtungen des Exports zu einer ernsthaften Prüfung für die Wirtschaft der Russischen Föderation. „Die Bildung des föderalen Haushalts und die Realisierung der strategischen Entwicklungsprogramme werden zu problematischen. Die Regierung wird wahrscheinlich die Struktur des Ausgabenteils des Etats einer Revision unterziehen müssen“, erwartet er. 

„Es ist unmöglich, die ausfallenden Einnahmen in vollem Maße zu ersetzen. Man kann nur Versuche unternehmen, die negative Wirkung durch die Durchführung einer neuen Runde zur Verschärfung der Fiskalpolitik zu dämpfen“, gesteht auch Bischenow ein. 

Derweil hat, wie am 10. August Wladimir Putin auf einer Beratung mit Regierungsmitgliedern mitteilte, „das Finanzministerium … im Zusammenhang mit dem Verfall der Preise für Energieträger vorgeschlagen, hinsichtlich einiger Richtungen die Ausgaben zu kürzen, was insgesamt eine vernünftige Vorgehensweise ist“. 

„Gleichzeitig haben jetzt die Haushaltseinnahmen angefangen, wiederhergestellt zu werden, und ich würde darum bitten, die Ausgaben nicht zu kürzen“, rief der Präsident auf. Er präzierte gleichfalls, dass, wenn dennoch Kürzungen begonnen haben, man die Mittel, insbesondere die, die mit dem Erwerb von Medikamenten für die begünstigten Kategorien der Bürger und hinsichtlich der onkologischen Erkrankungen verbunden sind, kompensieren müsse. „Es gibt auch einige andere Richtungen, zum Beispiel die Verteidigungsindustrie“, fügte der Präsident hinzu.