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Russlands Finanzministerium visualisiert die Einnahmen der Exporteure


Auf dem Forex-Markt hat der Devisenkurs gegenwärtig, am 27. November die Marke 114 Rubel für einen Dollar genommen, aber nur kurzzeitig (die Zentralbank fixierte für das Wochenende einen offiziellen Kurs von 114,3149 Rbl./EUR1, für den Dollar — 107,7409 Rbl./$1 – Anmerkung der Redaktion). Experten meinen aber, dass auch der Dollar einen schockierenden Wert von 115 Rubel erreichen könne. Seit Novemberbeginn schwächelte der Rubel gegenüber dem Dollar und hat mehr als elf Prozent an Wert verloren, was zu einem signifikanten proinflationären Faktor für den Binnenmarkt wird. Dafür fördere solch ein Kurs das Business der Exporteure, teilte Finanzminister Anton Siluanow mit. Und wie die „NG“ bereits geschrieben hatte, wäre es unter Berücksichtigung der aktuellen Ölpreis-Notierungen und Haushaltsprojektierungen sowie ungeachtet aller Erklärungen über einen Übergang zu den nationalen Währungen in den gegenseitigen Zahlungen mit den befreundeten Ländern für die Staatskasse eigentlich vorteilhafter, dass sich der Dollar einige Zeit lang über der 100-Rubel-Marke hält. Befragte Experten verweisen bisher auf Differenzen – eventuell zeitweilige – in den Herangehensweisen an den Rubelkurs sowohl im vergangenen Jahr als auch in diesem.
Der Rubelkurs beeindruckt immer mehr. Unter Experten kann man derzeit hinsichtlich der emotionalen Bewertung unterschiedliche, vor allem aber negative Beschreibungen dessen antreffen, was sich mit der russischen Währung abspielt: ein wesentliches Abweichen von den fundamental begründeten Werten, ein freier Fall, ein aggressiver oder extremer Einbruch, eine entmutigende Abwertung und schließlich ein Kollaps.
Anlass für solch markante Beschreibungen wurde der Sprung des Dollars über die 110- und später auch die 114-Rubel-Marke auf dem internationalen Forex-Markt. Wobei sich dies praktisch sofort ereignete, als die vorangegangene psychologisch besorgniserregende Marke von 103-105 Rubel für einen Dollar genommen worden war, wovon sich der Markt nicht einmal richtig erholt hatte (siehe „NG“ vom 24.11.24).
Die Zentralbank hat bisher für 30. November einen offiziellen Kurs über 107 Rubel für einen Dollar festgelegt. Aber selbst, wenn man sich an den Kursen der Zentralbank orientiert, ist seit Beginn des Novembers der Rubel im Wert schon um mehr als elf Prozent gegenüber dem Dollar eingebrochen. Dies ist nicht einfach eine wesentliche, sondern auch noch eine rasante Verschlechterung der Situation mit dem Rubel, die für den Binnenmarkt zu einem statistisch signifikanten, einem negativen proinflationären Faktor wird.
Freilich, es macht Sinn, den Blickwinkel zu ändern und sich nicht auf den Binnen-, sondern auch den Auslandsmarkt zu fokussieren, wo man beginnt, den dreistelligen Rubelkurs, wenn auch akkurat, aber mit Begeisterung wahrzunehmen. „Ich sage nicht, dass der Kurs ein guter oder ein schlechter ist. Ich sage einfach, dass der Kurs heute für die Exporteure ein sehr, sehr und gar ein den Export fördernder ist“, erklärte Finanzminister Anton Siluanow bei einem internationalen Forum der Finanzuniversität bei der Regierung der Russischen Föderation.
Solche Worte des Ministers verbreiteten viele Nachrichtenagenturen, aus deren Meldungen sich ergab, dass Siluanow auf eine derartige Weise auf die Befürchtungen einiger überaus großer Vertreter des russischen Business hinsichtlich des hohen Leitzinses, der jetzt die Fertigung von Exporterzeugnissen erschwert, reagierte. „Ich denke, dass der Export schon heute augenscheinlich gestoppt werden muss, zumindest hinsichtlich der Erzeugnisse, die bei uns einen langen Produktionszeitraum aufweisen“, erklärte beim erwähnten Forum Sergej Tschemesow, Generaldirektor des Staatskonzern „Rostech“.
Zuvor hatte im Übrigen Tschemesow bereits den Senatoren erläutert, dass wahrscheinlich nicht ein einziges Business solch eine Rentabilität aufweise, die erlauben würde, die Unkosten aufgrund der Kreditzinsen, die 20 Prozent im Jahr übersteigen, zu kompensieren. „Selbst der Waffenhandel bringt keinen solchen Gewinn“, betonte Tschemesow (siehe „NG“ vom 27.10.24).
Nun denn, jetzt besteht augenscheinlich die Hauptantwort auf diese Befürchtungen darin, dass das Exportbusiness nicht allein nur mit den Zinssätzen leben muss. Der Rubelkurs, wenn man ihn ein wenig anstößt oder ihm zumindest nicht erlaubt, schnell zu erstarken, verheißt weitaus mehr interessante Möglichkeiten. Zumal unter den Bedingungen der unzureichend hohen Preise für Erdöl.
Vor kurzem hatte man in der Regierung der Russischen Föderation Notierungen für die Ölpreise auf einem Stand von 80 Dollar je Barrel als einen komfortablen Orientierungspunkt für den Etat genannt. Gegenwärtig wird Erdöl der Marke Brent um die 73-Dollar-Marke je Barrel gehandelt. Und laut Angaben des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung lag der Durchschnittspreis für russisches Erdöl der Marke Urals im Oktober dieses Jahres bei 64,7 Dollar je Barrel.
Aber auch diese Werte können hypothetisch zu komfortablen in Abhängigkeit davon werden, durch was für einen Rubelkurs sie begleitet werden. Früher hatten bereits Berechnungen der „NG“ gezeigt: Wenn sich der Ölpreis nicht in das nötige Verhältnis einfügt, so muss sich dann – allem nach zu urteilen – der Devisenkurs in dieses einfügen, indem er bei über 100 Rubel für einen Dollar liegt. Dies war aber eine bescheidene Einschätzung entsprechend dem Stand für September (siehe „NG“ vom 11.09.24).
Zumal, wie die Analytikerin des Unternehmens „Veles Capital“, Jelena Koschuchowa, präzisierte, der Übergang Russlands und einer Reihe anderer Länder zu Zahlungen in nationalen Währungen überhaupt nicht die Anbindung der Exportpreise gerade an die Dollarwerte aufhebe. Dementsprechend: Je höher der Dollarpreis der Exportwaren und je geringer der Rubelkurs, desto größer ist der Rubelerlös, den die Exporteure erhalten, bestätigte sie.
Obgleich sich hier eine Frage ergibt: Wie kann man da die Balance zwischen dem fallenden Rubelkurs, der die Inflation negativ beeinflusst, und das Bestreben der Zentralbank, diese Inflation gerade mit Hilfe des Leitzinses zu drücken, der scheinbar weitaus mehr die Perspektiven des Business als die eigentlichen Preise beeinflusst, bewahren?
In diesem Fall hat der Finanzminister auch schon natürlich eine scherzhafte Antwort im Geiste der psychotherapeutischen Marathons von irgendwelchen Trainern aus dem Bloggerbereich parat. „Warum warten alle auf eine Anhebung des Leitzinses? Man darf keinerlei solche zusätzlichen Erwartungen auslösen“, zitierte die russische staatliche Nachrichtenagentur TASS den Minister. „Wissen Sie, wenn man viel daran denkt, wird es wahr. Daher muss man an das Entgegengesetzte denken“. Obwohl Siluanow da auch präzisierte, dass die Inflation für die Bevölkerung ein ernsthafteres Problem als der hohe Leitzins der Bank Russlands sei. „Daher muss man heute wirklich die Frage hinsichtlich der Inflation lösen“.
An Gründen für das Einbrechen des Rubels gibt es mehrere, inklusive und vor allem das neue Sanktionspaket der USA. „Die Hauptursache für die weitere Abwertung besteht darin, dass aufgrund der jüngst verhängten Sanktionen hinsichtlich des Bankensektors der Russischen Föderation Kanäle für die Zahlungen unterbrochen wurden. Daneben üben der saisonbedingte Anstieg der Nachfrage nach Importen, die für das Jahresende charakteristische drastische Zunahme der Haushaltsausgaben, die akute Geopolitik und die Stärke des Dollars an sich auf dem Weltmarkt Druck aus“, meinte Alexander Schepeljow, Börsenexperte des Unternehmens „BKS – Welt der Investitionen“.
Mehrere Analytiker halten es aber für wichtig, auch andere Nuancen besonders hervorzuheben. „Nach unserer Ansicht besteht der Schlüsselfaktor für die Schwäche des Rubelkurses in der Lockerung der Normative für die Rückführung der Devisenerlöse“, erklärte der Analytiker des Unternehmens „Finam“, Alexander Potawin, gegenüber der „NG“. „Heute ist es für die russischen Exporteure ausreichend, nur 40 Prozent ihrer Erlöse zu repatriieren und in Russland lediglich 25 Prozent der Devisen von jedem Exportvertrag zu verkaufen. Insgesamt führt dies zu einer Verringerung des Angebots von Devisen auf dem Binnenmarkt, was sich negativ auf den Rubelkurs auswirkt“.
Nach seinen Worten wollten die russischen Offiziellen im Herbst vergangenen Jahres einen stärkeren Rubelkurs sehen. Daher wurde ein Erlass über die Verschärfung der Devisenkontrolle in Bezug auf die Exporteure verabschiedet. „Heutzutage sehen wir ein entgegengesetztes Bild. Die Offiziellen haben die Forderungen zur Kontrolle der Devisenströme gelockert“, betonte Potawin.
„Die Toleranzgrenze der Offiziellen der Russischen Föderation hinsichtlich einer Abwertung ist nicht offenkundig. Wahrscheinlich ist, wenn der drastische Einbruch des Rubels bei den nächsten Börsengeschäften andauert, die Finanzaufsichtsbehörden Maßnahmen für dessen Begrenzung ergreifen müssen. Wann dies aber erfolgen wird, ist vorerst schwer zu sagen“, meint Koschuchowa.
Wie ein Teil der Experten hofft, könnten die Offiziellen eine Rückkehr zu einer härteren Norm für die Repatriierung der Devisenerlöse erwägen. Freilich, dies werde nunmehr wahrscheinlich bereits weniger effektiv sein, da zeitweilig Schwierigkeiten bei der Überweisung ausländischer Devisen ins Land vor dem Hintergrund neuer Sanktionen beobachtet werden könnten, präzisierte Dmitrij Babin, Experte für den Effektenmarkt im Investitionsunternehmen „BKS – Welt der Investitionen“.
Ein Fazit ziehend, fügte Koschuchowa hinzu, dass man als Hauptrisiko für den aktuellen Einbruch des Rubels das unkontrollierte Ansteigen der Preise und gar die damit verbundenen „potenziellen sozialen Unruhen“ ansehen könne. Es gibt aber auch andere Meinungen. Nach Aussagen von Alexander Abramow von der Präsidentenakademie sei der Einfluss des Dollarkurses auf das Leben der einfachen Bürger Russlands heutzutage dennoch übertrieben.
Wie bereits am Mittwochabend bekannt wurde, hat die Bank Russlands beschlossen, ab 28. November und bis Ende des laufenden Jahres keinen Erwerb ausländischer Devisen auf dem Inlandsdevisenmarkt im Rahmen einer Spiegelung der regulierenden Operationen des Finanzministeriums, die mit einer Umsetzung der Haushaltsregel zusammenhängen, vorzunehmen. Die Entscheidung wurde zwecks Verringerung der Volatilität der Finanzmärkt getroffen.