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Russlands geringe Inflationsrate hat sich als eine statistische Illusion herausgestellt


Im April hat die aufs Jahr hochgerechnete Inflationsrate laut Berechnungen des Zentrums für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung einen neuen, für Russland ungewöhnlich geringen Stand erreicht – 2,4 bis 2,5 Prozent. Diese erlaube der Zentralbank, wie das erwähnte Zentrum meint, zu einer Stimulierung eines investitionsaktiven Wachstums überzugehen. In der Zentralbank versicherte man am Montag, dass der Regulator nicht anstrebe, um jeglichen Preis die Inflation zu unterdrücken. Die von der „NG“ befragten Finanzexperten warnen aber: Bald würden die Offiziellen aus dem Finanzbereich beginnen, auf andere Art und Weise zu reden, schließlich werde die Inflation sich zu beschleunigen beginnen. Es werde sich die Abwertung des Rubels auswirken. Und dabei werde die Wirkung der hohen Basis des vergangenen Jahres zu helfen aufhören. Die heutige geringen Inflationswerte seien lediglich eine statistische Illusion.

Die April-Inflationsrate kann auf das Jahr hochgerechnet 2,4 bis 2,5 Prozent ausmachen, berechnete man im Zentrum für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung, wobei man von der zum gegenwärtigen Moment vorliegenden Statistik ausging. Und dies ist „beinahe weniger als die Hälfte des Zielwertes der Bank Russlands“.

Es sei daran erinnert: Wenn man die Jahresinflationswerte entsprechend den Ergebnissen verschiedener Jahre nimmt, so hatte es 2,5 Prozent nur einmal gegeben, im Jahr 2017. Wie damals erläutert wurde, hätten dies eine Rekordernte und eine Stärkung des Rubels bewirkt. Aber nicht nur. Ausgewirkt hatten sich ebenfalls die moderat-strenge Geld- und Kreditpolitik der Zentralbank und der nicht erst das erste Jahr andauernde Rückgang der Realeinkommen der Bevölkerung, der die Verbrauchernachfrage unterdrückte.

Übrigens, laut einer Präzisierung durch Artjom Tusow vom Invest-Unternehmen „IVA Partners“ werde der Wert für eine geringe Inflation gewöhnlich als etwas Positives für die Wirtschaft der Russischen Föderation ausgelegt. Unter den Bedingungen der schleppenden Zunahme des BIP bedeute jedoch eine geringe Inflation ein Nachlasen der Nachfrage in der Wirtschaft und einen Verlust der Kaufkraft der Bürger. Faktisch sei dies ein Anzeichen für das Verlöschen von Aktivität.

Wie dabei aus der Übersicht des Zentrums für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognostizierung folgt, hat sich gegenwärtig vor dem Hintergrund einer so geringen Inflationsrate möglicherweise ein geeigneter Moment ergeben, damit die monetären Offiziellen der Russischen Föderation zu einer „Politik eines Stimulierens eines investitionsaktiven Wachstums“ überzugehen.

Freilich hat Dmitrij Beloussow, Leiter der Richtung für Analyse und Prognostizierung makroökonomischer Prozesse des ausgewiesenen Zentrums, auch gewarnt, dass die „Erfolge des ersten Quartals bei einer Zügelung der Dynamik der Preise aufgrund der sich vollzogenen Abwertung des Rubels zunichte gemacht werden können, wenn dieser Prozess nicht ausreichend schnell eingeschränkt wird“.

Gerade das Schwächeln des Rubels, das sich im April entgegen der Zunahme der Erdöl-Notierungen ereignete, wurde für befragte Wirtschaftsexperten zu einem der Argumente gegen die Version, dass die Zentralbank auf einmal zustimme, aktiv das Wachstum zu stimulieren. Dem sei die anhaltende geopolitische und wirtschaftliche Unbestimmtheit hinzugefügt.

Im Endergebnis sei, wie der Experte für den Börsenmarkt aus dem Invest-Unternehmen „BKS Welt der Investitionen“, Dmitrij Babkin, einschätzt, die Wahrscheinlichkeit dessen, dass die Aufsichtsbehörde zu einer aktiven stimulierenden Politik übergehe, „keine im Bereich von Null, aber eine relativ geringe“. „Die hauptsächliche Inflationsgefahr geht vom Devisenmarkt aus“, präzisierte er, wobei er auf die Wiederherstellung des Imports und dabei eines Absackens des Exports hinwies. „Eine mögliche Entscheidung wird die Bewahrung des Leitzinses auf dem gegenwärtigen Stand oder seine Anhebung sein“, vermutet Olga Belenkaja, Leiterin der Abteilung für makroökonomische Analyse der Investitionsfirma „Finam“.

Am Montag hatte Zentralbank-Chefin Elvira Nabiullina bei einem Auftritt in der Staatsduma (dem Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) erstens bestätigt, dass der Regulator im Jahr 2023 eine Inflation im Bereich von fünf bis sieben Prozent erwarte. Zweitens teilte sie mit, dass der Regulator derzeit nicht anstrebe, die Inflation um jeden Preis zu dem Ziel von vier Prozent zu bringen. Und drittens präzisierte sie, dass der Regulator jedoch dieses Ziel auch nicht aufgebe, denn die Bank Russlands ist der Auffassung, dass solch eine Inflationsrate für die Gewährleistung einer Zugänglichkeit langfristiger Kredite wichtig sei. „Bei einer hohen Inflationsrate gibt es keine langfristigen zugänglichen Kredite“, erläuterte Nabiullina den Abgeordneten.

Außerdem haben Experten die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass sich die heutige ungewöhnlich geringe Jahresinflationsrate an und für sich lediglich als eine statistische Illusion erwiesen hätte. Diese Werte seien jetzt laut Aussagen von Belenkaja wenig repräsentativ, da das Einzige, was sie reflektieren würden, die Wirkung der hohen Basis des vergangenen Jahres mit seinem zweistelligen Anstieg der Preise sei.

Und bald werde solch ein Effekt verpuffen. „Bereits im zweiten und dritten Quartal des Jahres 2023 werden ausgehend von der Berechnung der offiziellen Inflationsrate die Spitzenmonate der Inflation des vergangenen Jahres erreicht. Und sie wird beginnen, das reale Bild wiederzugeben. Schon in wenigen Monaten beginnt sie, zum Bereich von vier bis sechs Prozent aufs Jahr hochgerechnet zurückzukehren“, erwartet der Analytiker Wladimir Tschernow von der Firma „Freedom Finance Global“.

Im Ministerium für Wirtschaftsentwicklung hatte man Ende letzter Woche die Erwartungen hinsichtlich der Inflation für das Jahr 2023 verbessert, wobei man sie auf einem Stand von 5,3 Prozent anstelle der zuvor für dieses Jahr erwarteten 5,5 Prozent voraussagte.

„Durch was (wird sich das Ansteigen der Preise verlangsamen – „NG“)? Es wird keine Indexierung der Tarife geben“, erläuterte Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow. „Im vergangenen Jahr haben wir eine gute Ernte eingebracht. Und wir erhalten bereits positive Einschätzungen vom Landwirtschaftsministerium für dieses Jahr. Die Dämpfer wirken weiterhin, die den Binnenmarkt vor äußeren Preisschwankungen schützen“.

Die Prognose des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung hinsichtlich der Inflationsrate kommt der unteren Grenze der Schätzungen der Zentralbank nahe, wie Belenkaja jedoch präzisierte, sei unter Berücksichtigung des Schwächelns des Rubels, der weiteren Sanktionsfaktoren und der „recht optimistischen Erwartungen der Institution hinsichtlich der Dynamik der realen Löhne und Gehälter sowie der Verbrauchernachfrage in diesem Jahr die Prognose für die Inflationsrate in einem Bereich von sechs bis sieben Prozent logischer“.

Und eine geringe Inflationsrate kann – wie auch in der Prognose des Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung – dem Szenario gerade einer schwachen Verbrauchernachfrage entsprechen, was die aktualisierte Prognose der Institution dagegen nicht vorsehe, betonte Belenkaja. Schließlich sage das Ministerium für Wirtschaftsentwicklung eine Zunahme der real zur Verfügung stehenden Einnahmen der Bevölkerung der Russischen Föderation im laufenden Jahr um 3,4 Prozent und der realen Löhne und Gehälter um 5,4 Prozent voraus.