Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Russlands Herrschende kommen der Opposition mit einer Lustration zuvor


Nach dem Gesetzentwurf „Über die Kontrolle der Tätigkeit von Personen, die sich unter einem ausländischen Einfluss befinden“, der durch die Staatsduma (Russlands Unterhaus – Anmerkung der Redaktion) am 7. Juni in erster Lesung verabschiedet wurde, wird nun vorgeschlagen, Verbote für sogenannte ausländische Agenten in 16 geltenden Gesetzen zu billigen. Es ergibt sich da das Bild einer anstehenden Lustration derjenigen, die nicht mit dem Regime einverstanden sind, da man bald jeglichen unzufriedenen Bürger zu einem ausländischen Agenten ernennen werden kann, und nicht nur Oppositionelle. Das heißt: Der schon lange bestehende Traum der außerparlamentarischen, nicht zum aktuellen System gehörenden Kräfte über künftige Säuberungen realisieren die Herrschenden vor ihnen. In dieser gleichen Vorlage wird auch das ohnehin nichtliberale Gesetz über Kundgebungen (Meetings) stark verschärft.

Die neue Initiative ist von etwa der gleichen Zusammensetzung von Abgeordneten gestartet worden, die für den Entwurf über ein einheitliches Register der ausländischen Agenten plädiert und unterschrieben hatten. Diese sogenannten Volksvertreter und Senatoren sind nicht nur professionelle Kämpfer gegen eine äußere feindliche Einmischung, sondern auch erfahrene Parlamentarier.

Und daher haben sie in den rein technischen Wortlaut Änderungen für das Gesetz über Kundgebungen integriert, die scheinbar real das verfassungsmäßige Recht auf Versammlungsfreiheit beeinträchtigen. Es sei daran erinnert, dass die Staatsduma am 7. Juni in erster Lesung für den Gesetzentwurf „Über die Kontrolle der Tätigkeit von Personen, die sich unter einem ausländischen Einfluss befinden“ gestimmt hatte. Sein Wesen besteht darin, mit der umfassenden und verwirrenden Zusammenfassung von Einschränkungen für die sogenannten ausländischen Agenten Schluss zu machen, Ordnung in den entsprechenden Registern zu schaffen, die Verbotsnormen und -vollmachten der staatlichen Behörden zu verstärken und schließlich die Haftung aller Kandidaten für diese Gesetzgebung zu verschärfen. Wenn man sich kurzfasst, so sind die relativ harmlosen Zeiten, als man entsprechend einer Gesamtheit von ausländischer Finanzierung und politischer Tätigkeit zu einem ausländischen Agenten wurde, nunmehr in der Vergangenheit.

Eingeführt werden umfangreichere Grundlagen in Gestalt eines „ausländischen Einflusses“ und einer „ausländischen Unterstützung“, die maximal frei formuliert worden sind. Die Handlungen aber, wegen denen der Status eines ausländischen Agenten verpasst wird, können jegliche beliebige sein. Das Wichtigste ist, dass die Herrschenden diese für solche halten, die gegen sie selbst gerichtete sind, das heißt gegen die Sicherheit des Staates, der Gesellschaft und des Volkes. Genannt sei ein Beispiel: In dem bereits gebilligten Ursprungsentwurf wird die Verbreitung von Informationen unter einem unbestimmten Personenkreis ganz und gar nicht in einem professionellen Rahmen – durch Massenmedien, Blogger, Aggregatoren usw. – qualifiziert. Eines medialen oppositionellen Charakters (also mit Hilfe von unterschiedlichen Medieninstrumenten) kann jeglicher Bürger verdächtigt werden, der aktive Accounts in sozialen Netzwerken hat. Wonach solch einer zu einem ausländischen Agenten wird. Und für ihn und ihm gleichartige werden viele Lebensbereiche und Sphären für eine Arbeitstätigkeit verschlossen.

Gerade sie sind auch ausführlicher in dem Dokument aufgezählt worden, das am 9. Mai in die Staatsduma eingebracht wurde. Es geht um eine Korrektur von 16 geltenden föderalen Gesetzen. Angefangen wird bei den Militärangehörigen. Sie können keine ausländischen Agenten sein, wenn es dafür natürlich keine spezifische Notwendigkeit gibt. Für politische Parteien wird jegliche Verbindung mit ausländischen Agenten zu einer Verderbnis, besonders eine finanzielle. Und den eigentlichen ausländischen Agenten wird der Weg zu Wahlen als Organisatoren, Agitatoren, Beobachter usw. versperrt. Kandidaten können sie scheinbar vorerst sein, wie auch Wähler. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass die zweite Lesung dieses Pakets bevorsteht.

Wie auch im Basisentwurf ausgewiesen wurde, versperrt man den ausländischen Agenten die Möglichkeit, Angestellte des Staates und sogar kommunale Beamte zu werden. Weggenommen wird ihnen auch ein wichtiger Banken-Bonus in Gestalt einer Versicherung von Bankeinlagen, obgleich er den natürlichen Personen, wenn auch gegenüber Russland feindlichen, doch belassen worden ist. Die ausländischen Agenten werden auch keine vollständige Freiheit für Investitionen im Land sowie Präferenzen im Bereich der staatlichen Einkäufe und der sozialen Aufträge besitzen. Und natürlich wird man sie auch nicht zu einer Arbeit mit minderjährigen Staatsbürgern zulassen. Der professionelle Bereich, der mit einer Erziehung und Ausbildung von Kindern verbunden ist, wird für solche gleichfalls gesperrt.

Kurz gesagt, es ist scheinbar nur ein technischer Text, der keine besonderen Neuerungen enthält. Jedoch fügt er endgültig all diese weiteren Schritte der Herrschenden in ein verständliches Bild ein. Scheinbar wird in Russland eine harte Kampagne zur Lustration eines großen Kreises derjenigen vorbereitet, die mit dem heutigen Regime nicht einverstanden sind. Eine Chance, unter diese zu geraten, haben nicht nur sture außerparlamentarische, nicht zum System gehörende Kräfte, die beispielsweise nach wie vor gegen die Sonderoperation Russlands in der Ukraine protestieren, sondern auch eine unbestimmte Zahl einfach mit den Herrschenden unzufriedener Bürger. Bezeichnend ist, dass die Lustration überhaupt einer der Pläne der radikalen Opposition gleich nach Beginn des sattsam bekannten „herrlichen Russlands der Zukunft“ (eine Formulierung aus dem Munde von Alexej Nawalny – Anmerkung der Redaktion) gewesen war. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass dieses Instrument gegen sie selbst angewandt werden wird, und genauer gesagt: gegen jene, die sich als ein Anhänger oder Verehrer dieser neuen Welle von Politemigranten aus der Russischen Föderation ansehen.

Daher fallen die das Gesetz über Kundgebungen verschärfenden Änderungen im Großen und Ganzen nicht aus der schlüssigen Reihe der anderen Normen des Gesetzentwurfs heraus. Es geht wieder um eine Einengung des gesellschaftlichen Raums, den man für Proteste nutzen könnte. Während aber die Meinungen über ein Verbot, an Gebäuden von Behörden der Staatsgewalt Meetings zu veranstalten, noch unterschiedliche sein können, wird es hinsichtlich einer der anderen vorgesehenen Normen wahrscheinlich schon keine Dissonanz geben können. Denn sie schmälert scheinbar real das in der Verfassung garantierte Recht auf Versammlungsfreiheit. Gemeint ist die Bestimmung darüber, dass „zusätzlich die Plätze bestimmt werden, an denen die Abhaltung von Versammlungen, Meetings, Umzügen und Demonstrationen verboten ist, wenn dies durch die historischen, kulturellen oder anderen Besonderheiten des Subjekts der Russischen Föderation bedingt wird“. Und sie wird einfach den Behörden der unteren Ebene für totale Einschränkungen freie Hand lassen.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Eigentlich sollte man kein Geheimnis aus den „Helden“ der neuen Gesetzesinitiative machen. Zu ihnen gehören solche Vertreter der Kremlpartei „Einiges Russland“ wie Andrej Klimow, Wladimir Dschabarow und Wassilij Piskarjow. Diese „Volksvertreter“ haben schon früher durch restriktive Gesetzesentwürfe auf sich aufmerksam gemacht und dabei mitunter auch deutlich demonstriert: Die Verfassung des Landes kann weiter für kurzfristige politische Interessen und Ziele ausgehöhlt werden. Dabei ignoriert man gleichfalls gern die Meinung der Öffentlichkeit. Aus der Russischen orthodoxen Kirche kam beispielsweise am Freitag eine Reaktion zur geplanten Einschränkung der Versammlungsfreiheit in Russland. Die Leiterin der Rechtsabteilung der Russischen orthodoxen Kirche, Äbtissin Xenia (Tschernega), verwies auf eine Reihe von Widersprüchen zum föderalen Gesetz über Glaubensfreiheit hin. Entsprechend diesem Gesetz könnten beispielsweise Gottesdienste und andere religiöse Zeremonien ungehindert in Kultgebäuden und auf deren Territorien, aber auch an Pilgerorten durchgeführt werden. Ob freilich solche und andere Beanstandungen von den Parlamentariern berücksichtigt werden, ist heute schwer zu sagen.