Erkrankungen des Kreislaufsystems belegen traditionell den ersten Platz in der Struktur der Sterblichkeit der russischen Bevölkerung und machen gegenwärtig 47 Prozent aus. Entsprechend dem föderalen Projekt „Bekämpfung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ sollte die Sterblichkeit aufgrund von Kreislauferkrankungen von 573 Fällen je 100.000 Einwohner des Landes im Jahr 2018 bis auf 450 Fälle im Jahr reduziert werden.
Wie heißt es doch: „Der Mensch denkt, Gott (bzw. das Schicksal) lenkt“. Die Anzahl der Todesfälle aufgrund von Erkrankungen des Kreislaufsystems in Russland geht nicht nur nicht zurück, sondern im Gegenteil: Sie nimmt zu. Von 2014 bis einschließlich 2019 sind diese Werte wirklich gesunken – im Durchschnitt um jährlich 16.872 Fälle. Aber im vergangenen Jahr haben sie drastisch zugenommen. Laut Angaben des russischen Gesundheitsministeriums machte die Sterberate aufgrund von Erkrankungen des Kreislaufsystems im Zeitraum Januar-Oktober 2020 620,7 Fälle je 100.000 Einwohner, was um 6,6 Prozent höher lag als im analogen Zeitraum des Jahres 2019.
Laut Angaben des nationalen medizinischen W.-A.-Almasow-Forschungszentrums sind im vergangenen Jahr in Russland 944.843 Menschen an Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems gestorben, was 643,9 Fälle je 100.000 Einwohner entspricht. Dies berichtete beim Russischen Pharmazeutischen Forum der Leiter des Lehrstuhls und der Klinik für Fakultätstherapie der Militärmedizinischen S.-M.-Kirow-Akademie, Professor Wadim Tyrenko.
Während der Coronavirus-Pandemie haben sich im Jahr 2020 die Anzahl der Fälle eines akuten Koronarsyndroms und der Anteil der Aufnahme von Patienten zur stationären Behandlung in den ersten zwei Stunden verringert. Während beispielsweise im April des Jahres 2019 43.650 Menschen mit einem akuten Koronarsyndrom in Krankenhäuser eingeliefert wurden, so waren es im April letzten Jahres 33.156. Im Mai der beiden ausgewiesenen Jahre – 41.138 bzw. 29.054.
Nach Aussagen von Wadim Tyrenko habe sich eine analoge Situation auch in anderen Ländern, u. a. in Europa ergeben. Dies hänge damit zusammen, dass die Hauptkräfte des Systems des Gesundheitswesens für den Kampf gegen das Coronavirus eingesetzt wurden.
Wie dem nun auch sein mag: Jetzt müssen für das Erreichen der Ziele des föderalen Programms „Kampf gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ jährlich 71.768 Todesfälle aufgrund des akuten Koronarsyndroms in Russland verhindert werden. Der Zielwert für das Jahr 2020 – 525 Fälle je 100.000 Einwohner – sollte auf Vorschlag des Gesundheitsministeriums vom Dezember letzten Jahres durch eine reale Zahl korrigiert werden – 610 Fälle je 100.000 Einwohner.
Zuvor hatte Vizegesundheitsminister Oleg Salagai erklärt, dass aufgrund der Pandemie die Pläne zur Verringerung der Sterblichkeit geändert werden müssten. Nach seinen Worten würden die Zielwerte aufgrund objektiver Ursachen einer Korrektur bedürfen. Dabei müsse man aber von der Möglichkeit einer Umsetzung zusätzlicher Maßnahmen ausgehen, die helfen würden, die angepeilten Zielwerte zu erreichen.
Nach Meinung der Teilnehmer des Expertenrates sei eine Realisierung des föderalen Projekts „Kampf gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ ohne eine Vervollkommnung der medizinischen Hilfe, insbesondere ohne eine Einführung einer vergünstigten Medikamentenversorgung der Patienten mit chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht möglich. Und die Nichterfüllung der Zielvorgaben in den Jahren 2019-2020 bestätigen lediglich diese Notwendigkeit.
Erst seit dem letzten Jahr hat man begonnen, Mittel für eine vergünstigte Medikamentenversorgung der Patienten mit kardiologischen Erkrankungen bereitzustellen, nach dem Beschluss der russischen Regierung Nr. 1569 „Über die Vornahme von Änderungen am staatlichen Programm der Russischen Föderation „Entwicklung des Gesundheitswesens““ vom 30. November 2019. Dies tangierte jedoch nur die Patienten, die akute Herz-Kreislauf-Zustände – einen Infarkt des Myokards oder Störung des Hirnblutkreislaufs (Schlaganfall) – überstanden hatten. Spezialisten betonen aber, dass die Patienten mit chronischen Herzerkrankungen nicht weniger einer vergünstigten medikamentösen Therapie bedürfen würden.
Wichtig ist sich dessen zu erinnern, dass sich akute Zustände stets zu chronischen entwickeln — mit einem weiteren letalen Ausgang im Ergebnis plötzlicher Verschlimmerungen. Zumal der Anteil der akuten Formen ischämischer Herzkrankheiten und der Infarkte an der Zahl der Sterbefälle aufgrund von Herzkreislauf-Erkrankungen bei Männern und Frauen über 50 Jahre in der Russischen Föderation 10,3 bzw. 7 Prozent ausmacht, während der Großteil der Todesfälle aufgrund von Erkrankungen des Kreislaufsystems eine Folge chronischer Erkrankungen ist. Eine chronische Herzinsuffizienz beispielsweise ist das Finale praktisch aller Erkrankungen des Kreislaufsystems. Und ihr Anteil an den Todesfällen in der Struktur der Sterblichkeit aufgrund von Herz-Kreislauferkrankungen macht rund 40 Prozent aus.
Nach Aussagen von Akademiemitglied Jewgenij Schljachto, Präsident der kardiologischen Gesellschaft Russlands, habe die Coronavirus-Pandemie den Verlauf der Umsetzung des föderalen Projektes stark beeinflusst. „Heute stehen die Fragen nach einer Hilfe für die Patienten mit Erkrankungen des Kreislaufsystems besonders akut. Das Jahr 2020 wurde für alle, darunter für die Kardiologen, zu einer ernsten Herausforderung, die kreative, nichtstandardmäßige Lösungen forderte“.
Wie das Akademiemitglied unterstrich, habe die Pandemie die Notwendigkeit einer Entwicklung der Technologien in der Medizin demonstriert. „Besonderes Augenmerk muss man den Patienten mit chronischen Herzkreislauf-Erkrankungen schenken. Die einschränkenden Maßnahmen haben eine Zunahme der Dekompensation (Versagen der körpereigenen Gegenregulations- und Reparaturvorgänge im Verlauf einer Erkrankung – Anmerkung der Redaktion) unter den Kranken mit solchen Formen der Erkrankungen nach sich gezogen, eine Zunahme der Sterblichkeit in dieser Kategorie von Patienten im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten bei einem Zugang zu einer Therapie ausgelöst und die Notwendigkeit einer Entwicklung telemedizinischer Technologien und eines Fernmonitorings des Zustands der Kranken bewiesen“.