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Russlands Innenpolitik löst sich in der Sonderoperation auf


Zum Hauptergebnis der Reise des 1. Stellvertreters des Leiters der Präsidialadministration, Sergej Kirijenko, in die neuen Subjekte der Russischen Föderation während der Weihnachtsfeiertage (entsprechend dem russischen Kirchenkalender – Anmerkung der Redaktion) sind solche Erklärungen geworden: Die Aufgaben der militärischen Sonderoperation, die durch den Präsidenten gestellt wurden, „werden unbedingt erfüllt“. Allem nach zu urteilen hat er damit das „Urbi et orbi“ bekräftigt, dass gerade auf Anweisung von Wladimir Putin die vier Regionen und die Krim aus irgendwelchen möglichen Friedensverhandlungen mit der Ukraine ausgeklammert werden. Und dies bedeutet wahrscheinlich, dass sie auch in der nächsten Zeit nicht abzusehen sind. Kirijenko selbst aber, der für die Innenpolitik zuständig ist, unterstützt und promotet augenscheinlich jene ihrer Akteure, die eine vollständige Unterordnung unter die Interessen der militärischen Sonderoperation Russlands in der Ukraine demonstrieren.

Einerseits sah die Inspektionsreise in die neuen Regionen wie eine routinemäßige Arbeitsveranstaltung des Kreml-Dispatchers für die innenpolitischen Prozesse aus. Andererseits war sie umfangreicher als gewöhnlich, dabei aber aus informationsseitiger Sicht akkurat gecovert worden. Kirijenko sprach sich betont nicht so sehr über die Kampfhandlungen als vielmehr über die Perspektiven des friedlichen Aufbaus-Wiederaufbaus aus. Und eben bereits vor diesem Hintergrund zeigte er sich über die Handlungen der Kiewer Offiziellen erschrocken, die es abgelehnt hatten, auf christliche Art und Weise in der Zeit des von Moskau einseitig verkündeten Weihnachtswaffenstillstands zu handeln.

Möglicherweise sind gerade deshalb eine Reihe von Beobachtern zu dem Schluss gekommen, dass es scheinbar die Aufgabe Kirijenkos gewesen sei, das Ausbleiben zumindest eines Bestrebens der Ukraine nach einer Konfliktlösung zu konstatieren. In der Art: Sie hätte ja auch eine Zurückhaltung bezüglich der Kampfhandlungen demonstrieren können. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass durch eine der Aufgaben solch ein Konstatieren vorgesehen worden war. Jedoch wurde ihre Umsetzung offenkundig in einen weiteren Kontext eingebunden. Die Entscheidung Putins über eine kurze Waffenruhe war, woran erinnert sei, wirklich schlecht durch die Außenwelt aufgenommen worden, die Russland keinen Glauben schenkte. Und innerhalb des Landes, besonders unter den Ultra-Patrioten, war die Reaktion auf die verkündete Feuerpause vor allem eine empörte. Und vor Ort wurde die einseitige Waffenruhe de facto und gänzlich ignoriert: Freilich, in den Meldungen von der Front war von Antwortschlägen die Rede.

Dabei wurde zum Schlüsselstatement Kirijenkos die Formulierung solcher Herangehensweisen an mögliche Friedensverhandlungen, die kaum helfen werden, in der nächsten Zeit in dieser Richtung voranzukommen. „Die Aufgaben, die durch den Präsidenten in der militärischen Sonderoperation gestellt worden sind, werden bestimmt erfüllt werden. Und es wird unbedingt einen Sieg geben. Und ein normales, ein würdiges Leben“, solche seiner Worte zitierte die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS. Bezeichnend ist, dass Kirijenko diesen Satz nach dem Besuch des Verwaltungsgebietes Cherson formuliert hatte – nach Meinung sowohl des Westens als auch Kritiker der militärischen Sonderoperation im Land der für Russland problemreichste territoriale Erwerb. Dennoch ist schon seit langem klar, dass zusammen mit einem Teil des Verwaltungsgebietes Saporoschje dies der Hauptabschnitt für die Schaffung und Bewahrung einer „Land“-Brücke zur Krim ist. Daher erklingen im Kreml auch unzweideutige Andeutungen: Die Ukraine müsse den bestehenden Realitäten zustimmen. Und dies ist der Anschluss der Donbass-Republiken DVR und LVR sowie der Gebiete Saporoschje und Cherson an die Russische Föderation.

Die Offiziellen der letzten neuerworbenen russischen Region propagieren hinsichtlich der Ergebnisse des Kirijenko-Besuchs aktiv die Tatsache, dass der 1. Stellvertreter des Leiters der Präsidialadministration persönlich die Errichtung einer gewisser künftigen Stadt auf der Arabat-Landzunge (Arabat-Nehrung) betreue. Möglicherweise wird sie zur Hauptstadt irgendeiner angenommenen Verwaltungsregion Taurien. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass dies nicht mehr als eine PR-Konstruktion ist. Obgleich selbst Kirijenko ebenfalls gern über die bevorstehenden Bauarbeiten spricht. „Hier muss man sowohl Architekten die Möglichkeit geben, Geld zu verdienen, als auch den Menschen, die hier leben, den Unternehmen, die hier tätig sind, und den Investoren, die hierherkommen. Bei uns sind schon sehr viele daran interessiert, um zu kommen und in die Entwicklung, die Infrastruktur und den Wohnraum zu investieren“. TASS zitiert ebenfalls seine Worte über die Einmaligkeit des für die Stadt ausgewählten Ortes „hinsichtlich der Verbindung von Natur- und heilenden Faktoren“. „Hier ist es sehr wichtig, alles für Jahrhunderte zu tun. Einerseits muss man sich sputen. Und dies ist verständlich. Die Menschen brauchen Wohnraum, die sich entwickelnden Territorien brauchen Möglichkeiten. Aber Hektik wird hier nicht gebraucht. Man muss wirklich solch eine Stadt errichten, in der man leben möchte. Hier wird eine gute Stadt entstehen, eine große, neue Stadt“, zitiert ihrerseits die staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti Sergej Kirijenko. Freilich sei daran erinnert, dass früher der amtierende Gouverneur des Verwaltungsgebietes Cherson, Wladimir Saldo, gesagt hatte, dass die Stadt für 30.000 Einwohner ausgelegt sein werde. Und dies ist sowohl hinsichtlich ukrainischer als auch russischer Maßstäbe keine sehr große Ortschaft.

Die Weihnachtsvisite Kirijenkos in den neuen Gebieten erfolgte genauso überraschend wie auch seine früheren Reisen in diese Region. Sie werden aufgrund von Sicherheitserwägungen nie vorab angekündigt. Die Berichte über sie sehen spärlich aus. Dieses Mal aber war neben dem Besuch der Bauarbeiten in der Stadt Jenakijewo mit dem Oberhaupt der DVR, Denis Puschilin, und eines Gottesdienstes zusammen mit dem bereits erwähnten Saldo der im Kreml für die Innenpolitik zuständige Vertreter noch in der geheimen Einheit „Kaskade“ zu Gast. „Man berichtete über die Situation an unserem Frontabschnitt, über die Arbeit, die ununterbrochen erfolgt, und darüber, wie wir die Sicherheit der Unterbringung des Personalbestands gewährleisten“, teilte der Staatsduma-Abgeordnete Dmitrij Sablin (Kreml-Partei „Einiges Russland“) in seinem Telegram-Kanal mit. Er ist einer der Organisatoren dieses speziellen Dienstortes für Parlamentarier, die freiwillig an der militärischen Sonderoperation teilnehmen.

Im Internet wurden gleichfalls Fotos vom Besuch Kirijenkos gepostet, von denen eines zeigt, dass er keine Angst vor einer Fahrt zur vordersten Frontlinie gehabt hatte. In der letzten Zeit widmet er überhaupt den Militärs besondere Aufmerksamkeit. Aber jetzt war er zum ersten Mal am Standort des Sonderbataillons der Abgeordneten zu sehen. Sein Auftauchen dort an sich wurde, wie es heißt, dank gerade seiner Entscheidungen möglich. Somit hat Kirijenko jetzt scheinbar neben dem Projekt „Spitzenkräfte Russlands“ einen zweiten politischen Lift. Es ist nicht ausgeschlossen, dass, je länger die militärische Sonderoperation andauert, eine größere Zahl amtierender Abgeordneter und Senatoren des Einberufungsalters diesen Lift betreten muss. Und dies wird umso mehr jene betreffen, die lediglich auf eine Parteikarriere Anspruch erheben. Wobei dieser Trend wohl kaum nur im Rahmen der Partei „Einiges Russland“ bleiben wird.