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Russlands Justizministerium öffnete das Verzeichnis der „ausländischen Agenten“ für die Anwaltschaft


Die Anwaltscommunity hat von Russlands Justizministerium eine Bestätigung für die pessimistischsten Prognosen bekommen. Zur Grundlage für die Einstufung des bekannten Verteidigers Iwan Pawlow (der in der Russischen Föderation ins Verzeichnis der sogenannten ausländischen Agenten unter den Massenmedien aufgenommen wurde) als erster Anwalt im Status eines ausländischen Agenten im Land sind laut einer Erläuterung des Ministeriums Anwaltshonorare aus dem Ausland und Interviews für Medien, die bereits einen analogen Status, geworden. Nach Meinung von Experten sei dies ein politischer Schritt, der zeigen würde, dass man widerspenstige Juristen sowohl aus konkreten Fällen als auch überhaupt aus dem Beruf verdrängen könne.

Ausländische Finanzierungsquellen sind Gelder aus dem Ausland „als eine Auszahlung eines Arbeitsverdienstes und von Honoraren“. Und Gespräche mit Medien im Status sogenannter ausländischer Agenten über Fälle von Mandanten sei eine „Beteiligung an der Schaffung von Materialien bzw. Beiträgen“.

In der eigentlichen Gemeinschaft der Anwälte Russlands bewertet man solch eine Vorgehensweise als den Versuch der Ausübung von Druck und des Loswerdens jener Vertreter des Berufsstands, die eine prinzipielle Haltung einnehmen und aktiv Mandanten in Verfahren, besonders in sensiblen für den Staat, verteidigen. Das heißt: Die Entscheidungen des russischen Justizministeriums sind ein gewisser politischer Akt, wobei die gesamte Situation im Zusammenhang mit den sogenannten ausländischen Agenten unter den Anwälten der Natur und der Logik ihrer Tätigkeit widerspricht. Ihr Wesen ist im weiten Sinne ein Consulting, in diesem Falle ein juristisches. Und Ärzte kann man beispielsweise als medizinische Konsultanten bzw. Berater ansehen, denn sie behandeln schließlich auch Oppositionsvertreter und sogar verdächtige Ausländer. Bedeutet dies das, dass jetzt auch „ausländische Agenten in weißen Kitteln“ auftauchen werden, was es bereits einst in unserem Land gegeben hat?

Ein Verteidiger, der für irgendeinen politisierten Fall engagiert wurde, kann in keiner Weise a priori als ein Anhänger bestimmter Anschauungen angesehen werden. Sagen wir einmal: Es wird keinem in den Sinn kommen, jene Anwälte als Pädophile anzusehen, die in einem Strafrechtsprozess Bürger vertreten, denen diese Verbrechen angelastet werden. Und das Honorar für einen real arbeitenden Anwalt von einem ausländischen Mandanten darf natürlich nicht als eine ausländische Finanzierung angesehen werden. Zumindest diese zwei Argumente, die für eine Aufnahme ins Register der ausländischen Agenten erforderlich sind, müssen durch Beweise und nicht Behauptungen untersetzt werden.

Es macht Sinn zu betonen, dass Russlands Justizministerium lange seine Entscheidung nicht publizierte. Augenscheinlich war die Pause dafür erforderlich, um sich klar hinsichtlich jener Kriterien festzulegen, die offensichtlich weiter in einer umfangreicheren Praxis getestet und angewandt werden. Und der Antwort des Ministeriums nach zu urteilen, wird man jetzt viele als einen ausländischen Agenten einstufen können. Beispielsweise haben Juristen mehrfach betont, dass öffentliche Auftritte, wobei meistens kritische, einen untrennbaren Bestandteil der Anwaltstätigkeit darstellen würden, besonders in Bezug auf spektakuläre Fälle. Und es ist klar, dass der Erhalt eines Honorars von Mandanten – russischer und ausländischer – genau solch ein Bestandteil von ihr ist.

Laut Informationen der „NG“ werden die Erläuterungen des Justizministeriums allem nach zu urteilen die Ausarbeitung von „Anwalts“-Änderungen zum Gesetz über die ausländischen Agenten veranlassen. Unter anderem wird es um eine strikte Präzisierung gehen. Die Vergütung der beruflichen Tätigkeit, aber auch eine Teilnahme an internationalen Konferenzen und Briefings können nicht als eine ausländische Finanzierung angesehen werden. Und natürlich wird vorgeschlagen werden, eine außergerichtliche Aufnahme von Anwälten in jegliche Register ausländischer Agenten zu verbieten.

Der geschäftsführende Partner der Anwaltsfirma AVG Legal Alexej Gawrischjow stimmt dem zu, dass durch das Justizministerium ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen worden sei und die gesamte (Anwalts-) Gemeinschaft in Gefahr gerate. Und er besteht darauf, dass die Anwälte berechtigt seien, ihre Tätigkeit nach eigenem Ermessen vorzunehmen und den Mandanten Leistungen zu erbringen, für die sie es für nötig halten, darunter auch für natürliche und Rechtspersonen, was „die Anwälte nicht zu Ausführenden von „Aufgaben“ im Interesse ausländischer Staaten macht“. Der Experte erinnerte daran, dass Anwälte oft Interviews und Kommentare in Medien geben würden, was „in keinem Fall die Möglichkeit gibt, deren Tätigkeit mit der Tätigkeit der Presse gleichzusetzen“. Und dies sei übrigens eindeutig in der Gesetzgebung über die Anwaltschaft beschrieben worden. Zur gleichen Zeit ist sich Gawrischjow sicher, dass solch eine Lage der Dinge ausschließlich durch den politischen Hintergrund diktiert werde. Und das Justizministerium realisiere gerade einen politischen Willen. Und dies bedeute: Die Wahrscheinlichkeit dessen, dass solche Fälle eine breite Anwendung in Bezug auf Anwälte erfahren, sei äußerst gering.

Wladimir Kusnezow, Vizepräsident der Assoziation der Juristen für Registrierungs-, Liquidierungs- und Insolvenzfälle sowie für eine Vertretung vor Gerichten, wies darauf hin, dass „durch russische Gerichte recht oft Fälle mit einer Beteiligung ausländischer Rechtspersonen verhandelt werden, deren Interessen unter anderem russische Anwälte vertreten“. Die Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken und Kommentare für unterschiedliche Medien seien nach seinen Worten auch eine Norm, die „von ihrem Wesen her und losgelöst von anderen Faktoren nicht auf die Vornahme einer politisch inakzeptablen Tätigkeit ausgerichtet ist“. Besondere Aufmerksamkeit verdiene aber jene Tatsache, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keinem gelungen sei, die Entscheidung des Justizministeriums über eine Aufnahme ins Register der ausländischen Agenten anzufechten, was „in der Gesamtheit und mit der „Flexibilität“ der Kriterien für eine Zurechnung der einen oder anderen Person zu dieser Kategorie bedeutet, dass dies über alle wie ein Damoklesschwert schwebt“. Er pflichtet dem bei, dass die prinzipiell ungünstige Tendenz zu einem Instrument für die Ausübung von Druck auf die Community insgesamt werden könne. „Die Perspektive für viele Anwälte sieht bei weitem nicht erfreulich aus. Bleibt zu hoffen, dass die Änderungen an der Gesetzgebung vom Staat akzeptiert werden“.

Ilja Schablinskij, Mitglied der Moskauer Helsinki-Gruppe, erinnerte die „NG“ daran, dass überhaupt die Verleihung des Status eines „ausländischen Mediums, das die Funktionen eines ausländischen Agenten wahrnimmt“ an eine natürliche Person nicht bloß ein zum Himmel schreiender Blödsinn sei, sondern auch ein offenkundiger Bruch mit den geltenden Normen von Gesetz und Verfassung. Unter einem Massenmedium verstehe das Gesetz, merkte er an, eine Form der Verbreitung von Masseninformationen in Form – sagen wir einmal – von Fernsehprogrammen oder Internet-Medien. Wie könne man aber eine natürliche Person als eine Form anerkennen? Nach Meinung von Schablinskij frustriere auch jene Tatsache, wie „die Schaffung von Materialien eines ausländischen Massenmediums“ interpretiert worden sei: Jetzt stelle sich heraus, dass, wenn du einem in Ungnade gefallenen Medium ein Interview gewährst, du daran teilnimmst. Wie der Experte erklärte, „ist dies absolut falsch. Jegliches Interview, das durch einen Journalisten vorbereitet wird, ist ein Objekt seiner Autorenrechte“. Schablinskij äußerte die Vermutung, dass das Justizministerium Russlands sowohl Journalisten als auch deren potenziellen Gesprächspartner einschüchtern wolle, und unterstrich, dass das Wort „Agent“ nach wie vor bar jeglichen juristischen Sinns sei. „Somit erinnert das Justizministerium daran, dass durch die Gesetzgebung der Russischen Föderation doch nicht die Notwendigkeit des Bestehens einer unbedingten Verbindung zwischen dem Erhalt einer ausländischen Finanzierung und der Schaffung und Verbreitung von Meldungen und Materialien vorgesehen ist. Nur von nun an werde diese Auslegung der Gesetze auch gegen Anwälte angewandt.

Wie gegenüber der „NG“ Alexander Inojadow, Leiter für die Strafrechtspraxis in der Anwaltsfirma „BMS Law Firm“, anmerkte, habe das Ministerium den Erhalt der Vergütung für Leistungen gemäß Vereinbarungen, was im Großen und Ganzen durch das Gesetz nicht verboten wird, und eine gesellschaftliche Tätigkeit nicht abgegrenzt. Obgleich bei Ausbleiben einer bewiesenen Verbindung zwischen einer Finanzierung und solch einer Tätigkeit der Status eines ausländischen Agenten nicht als ein bestätigter aussehe. „Wichtig ist, keine formale Verleihung des Status von ausländischen Agenten an Verteidiger zuzulassen. Und die Anwaltscommunity muss aufmerksam und prinzipiell auf Verletzungen der Rechte der Anwälte reagieren, da die Unabhängigkeit eines der Schlüsselprinzipien ihrer Tätigkeit ist“, unterstrich er.

Der Leiter des Juristenkollegiums „Weiße Eule“ Denis Chusiachmetow zweifelt jedoch an einer Konsolidierung der Anwaltsgemeinschaft, da er davon überzeugt ist, dass es sie nicht gebe. Die Anwaltskammern seien nach seinen Worten nicht bereit, die eigenen Mitglieder weder vor Gericht noch vor dem Justizministerium zu verteidigen. Es gebe auch keine Geschlossenheit unter den Anwälten an sich. Jeder sei der Auffassung, dass, wenn man zu irgendwem auch gekommen sei, bedeute dies, ganz bestimmt nicht zu ihm. Mit dem Status eines ausländischen Agenten sei jedoch, wie der Experte unterstrich, im letzten Jahr Vieles klar geworden. Und in erster Linie das, dass man sich nicht ausschließlich auf die Buchstaben des Gesetzes stützen dürfe. Eine ausländische Finanzierung als solche sei nicht das bestimmende bei der Erlangung dieses „Ehren“-Status. Im Unterschied zu einer kritischen und prinzipiellen Haltung zu dem Geschehen im Land oder, im Falle mit den Anwälten, zu einer Teilnahme an spektakulären Fälle, zu einer Verteidigung von Mandanten entgegen dem Druck der Untersuchungsbehörden sowie zu einer Vertretung in internationalen Gerichtsinstanzen. Chusiachmetow wies gleichfalls darauf hin, dass ungeachtet der Klagen und Beschwerden nicht eine einzige Entscheidung über die Erklärung einer Person zu einem ausländischen Agenten als ungesetzlich anerkannt worden sei. „Wird die Praxis des Erklärens von Anwälten zu ausländischen Agenten zu einer gewöhnlichen Erscheinung? Ich denke, dass ein einziges Kommando nicht zum letzten in dieser Reihe wird“. Zur gleichen Zeit merkte er an, dass es keinen Sinn mache, von den Anwälten mit solch einem Status eine massenhafte Emigration zu erwarten, womit die Herrschenden augenscheinlich auch rechnen würden, da „sie bestimmt nie Schwierigkeiten gefürchtet haben“.

Der stellvertretende Vorsitzende des Moskauer Anwaltskollegiums „Zentrjurservice“ Ilja Prokofjew ist dagegen der Auffassung, dass es für die Anwaltsgemeinschaft tatsächlich keinen Sinn mache, in Panik zu verfallen. Die Einstufung von Vertretern von ihr als ausländische Agenten seien bisher einmalige Fälle. Die staatlichen Behörden, besonders jene, mit denen die Anwälte meistens als Prozessopponenten konfrontiert werden, würden sich die ganze Zeit unterschiedliche Methoden für ein „Herausdrängen“ des Verteidigers aus dem jeweiligen konkreten Fall ausdenken. Und dafür gebe es weitaus einfachere Methoden als die Einstufung als ein ausländischer Agent, betonte der Experte. Dabei fügte Prokofjew hinzu, dass, da ein Anwalt ja doch ein unabhängiger professioneller Berater für Rechtsfragen sei, das „Verfassen von Posts in den sozialen Netzwerken durch ihn und das Kommentieren des Falls in den Medien tatsächlich nicht nur nicht zum Gegenstand des übernommenen Auftrags zur Verteidigung gehört, sondern auch wenig mit einer Anwaltstätigkeit in Beziehung steht“. Folglich ist er davon überzeugt: „Fälle einer Einstufung von Anwälten als ausländische Agenten, auch wenn es sie geben wird, werden einen vereinzelten Charakter tragen. Und möglicherweise werden sie durch nicht ganz korrekte Handlungen eines Anwalts aus professioneller Sicht verursacht werden“. Wahrscheinlich würden die Selbstverwaltungsgremien der Anwälte für die Anwälte bestimmte Empfehlungen ausarbeiten, vermutete der Experte, bei deren Einhaltung das Risiko, als ein ausländischer Agent anerkannt zu werden, bis auf Null ohne irgendeinen Schaden sowohl für die Vornahme der Tätigkeit hinsichtlich eines konkreten Falls als auch insgesamt reduziert werde.