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Russlands Kirche hat man mit einem Friseursalon verglichen


Das Moskauer Patriarchat macht schwere Zeiten durch. Auch die Kirche bittet den Staat um Hilfe, darunter auch um finanzielle. Dabei führen einige Vertreter der Russischen orthodoxen Kirche aus irgendeinem Grunde eine ziemlich merkwürdige Argumentation an, wonach die Kirche keine gesellschaftlich relevante geistliche Institution ist, sondern eine Business-Korporation, die aufgrund der Pandemie-Restriktionen keinen Gewinn erzielte.

„Im Zusammenhang mit den festgelegten Einschränkungen haben wir auch erhebliche Verluste erlitten und bedürfen einer staatlichen Unterstützung, die übrigens – sagen wir einmal – allen Friseursalons, allen Beauty-Salons, allen Museen und so weiter gewährt wird“, erklärte die Leiterin der Rechtsverwaltung der Moskauer Patriarchie, Äbtissin (Hegumene) Xenia (Tschernega). „Aber aus irgendeinem Grunde gibt es gegenüber den religiösen Organisationen solch eine selektive Vorgehensweise. Nur, wenn du bereits eine staatliche Unterstützung seit 2017 erhalten hat, bist du berechtigt, sie (auch) im Zusammenhang mit COVID zu bekommen. … Wir bestehen darauf, dass allen religiösen Organisationen – den zentralisierten und den zu ihrer Struktur gehörenden – Unterstützung bereitgestellt wird“, sagte die 50jährige Kirchenjuristin Tschernega. Zur gleichen Zeit teilte sie mit, dass die Russische orthodoxe Kirche einzelnen Kirchen- und Klostergemeinden verboten habe, aus dem Bestand der zentralisierten Organisation auszuscheiden. Das heißt, alle voraussichtlichen Zuschüsse werden gerade für die Kasse der Patriarchie bestimmt sein.

Zum Teil ist der Staat schon der Kirche entgegengekommen. Die russische Vizeregierungschefin Tatjana Golikowa berichtete von dem Vorschlag, aus dem Gesetz über den Besuch öffentlicher Orte und Einrichtungen mit einem QR-Code die religiösen Organisationen auszuschließen. Zumal jüngst Patriarch Kirill aufgerufen hatte, keine Angst davor zu haben, in den Gotteshäusern durch COVID-19 zu erkranken, da man dort einschränkende Maßnahmen einhalten würde und Gottes Gnade zugegen sei. Außerdem ist hier der Wunsch zu sehen, eine Lockerung für jene vorzunehmen, die sich fürchten, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Es ist kein Geheimnis, dass es unter den Gläubigen mehr solcher Menschen als sonst noch wo in Russland gibt. Obgleich die Hierarchen regelmäßig die Anti-Vaxxer verurteilen, sind sie gezwungen, die Stimmungen des Kirchenvolkes ins Kalkül zu ziehen.

Genauso kann auch der Staat nicht die finanziellen Probleme der größten religiösen Organisation des Landes ignorieren. In den schweren COVID-Jahren hilft die Regierung von Premier Michail Mischustin verschiedenen sozialen Schichten und Instituten. Theater, Museen und Bibliotheken bedürfen einer Unterstützung. Die Religionen, die Geistlichen und die Kirche sind ebenfalls berechtigt, mit bestimmten Vergünstigungen zu rechnen. Und dies ist normal, denn die Bewahrung eines religiösen Instituts ist im Interesse der gesamten Gesellschaft.

Das Gewicht der Kirche in der Gesellschaft ist ein großes. Und deren Stabilität ist für die Bewahrung der sozialen Ordnung wichtig. Die Kircheneinrichtungen müssen an die Mitarbeiter Gehälter und Löhne auszahlen. Unterstützt werden muss der soziale Dienst, die Unterstützung für die Menschen, die in eine schwierige Lebenssituation geraten sind. Gegenwärtig, unter den komplizierten wirtschaftlichen Umständen ist dies besonders aktuell.

In den Worten von Äbtissin Xenia (Tschernega) gibt es jedoch so etwas, was Unverständnis auslöst. Und zwar der Vergleich der Kirche mit einem Friseursalon und einem Beauty-Studio. Wozu solch eine vorsätzliche Abwertung des Status der Religion? Nicht im Friseursalon, sondern in der Kirche werden von Generation zu Generation Ideale und der Glaube an Gott weitergegeben. Die Schönheitssalons erheben keinen Anspruch auf die Bestimmung und Bewahrung der geistig-moralischen Werte.

Durch die Verwendung solcher Vergleiche simplifiziert die Chefkirchenjuristin in starkem Maße das Thema, reduziert die Bestimmung einer religiösen Organisation auf die Erbringung von Dienstleistungen. Und dass solch eine Taktlosigkeit eine Vertreterin der Kirche und kein angenommener Newsorow (Alexander Newsorow, ein russischer Journalist, Reporter, Moderator und Publizist, der mit seinen mitunter provokativen Aussagen Probleme zuspitzt und gesellschaftliche Diskussionen auslöst – Anmerkung der Redaktion) zulässt, löst Befremden aus. Schließlich erklären gerade die radikalsten Kritiker der Russischen orthodoxen Kirche, dass ihr einziges Ziel die Einnahme von Geldern für Kerzen und Amtshandlungen von Geistlichen (z. B. die Taufe, Kommunion, das Reichen von Sakramenten bzw. des Abendmahls – Anmerkung der Redaktion) sei.

Der Dialog zwischen der Kirche und der Gesellschaft in Russland erfolgt – nur man kann aber nicht sagen: sehr glatt. Peanuts in diesem Kommunizieren gibt es da nicht. Die inakkurat von Äbtissin Xenia (Tschernega) gefundenen Worte können das Image des Moskauer Patriarchats weitaus erheblicher als die Kritiken von anderen Seiten her ankratzen. Die Kirchenvertreterin hätte sich der evangelischen Worte „Im Anfang war das Wort…“ (Joh. 1,1) erinnern müssen.